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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Niebelschütz, Ernst von: Massenwille und Persönlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0358

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Massenwille tmd Persönlichkeit

JOSE DE TOGORES

»SCHLAFENDE FRAU«

es bei den Bestellern erregte, begreiflich zu
finden. Denn nun setzte der Massenabfall der
„guten Gesellschaft" ein. Längst war die Zeit
der Kathedralen und der Werkgemeinschaft
vorbei. In einer bürgerlichen Kultur aber schafft
der Genius nicht ungestraft. Mit diesem Bilde
beschreitet Rembrandt seinen Dornenpfad.

Wie erklärt sich diese Erscheinung ? Mit
Recht werten wir die „Nachtwache" heute doch
als eine jener kunstgeschichtlichen Großtaten,
die der Physiognomie eines Landes das kenn-
zeichnende Gepräge geben. Ohne die Nacht-
wache kein Rembrandt, und ohne Rembrandt
keine holländische Malerei. Denn mit ihr hat
Rembrandt nicht allein sich selber gefunden,
nicht nur alles Schwache und Nachgiebige, d. h.
das Kollektivempfinden in sich überwunden —
er hat mit diesem Werke erst die wahre, die
eigentliche Seele Hollands entdeckt. Das ist
nämlich das merkwürdige, alles „Rebellische"
der geschichtlichen Tat mit einem wundersam
versöhnlichen Schimmer umkleidende Moment
des „Sündenfalls": was alle dunkel ahnen, was
der Gesamtgeist unbewußt in sich trägt, aus
Mangel an Einsicht aber, aus Trägheit und
Selbstzufriedenheit aus sich herauszustellen

nicht fähig ist — das leistet in den entschei-
denden Augenblicken des historischen Werdens
die große Persönlichkeit. Nicht der Zufall wirft
sie empor. Sie ist der im einzelnen Menschen
sichtbar werdende, zur Besinnung seiner selbst
gelangte nationale Genius — im Gegensatz zum
„Milieu", in dem das Nationale nur oberfläch-
lich, nur als Firnis und gleichsam im Zustand
der Bewußtlosigkeit Form gewinnt. Erst der
persönliche Genius weiß, was er tut. Er nimmt
das Kreuz auf sich, zu sagen, was keiner zu
sagen wagt, obwohl es doch gerade das ist, dem
sich alle — nur ohne eine klare Vorstellung zu
haben — innerlichst verbunden fühlen.

Wir sehen an diesem einen Beispiele, das
sich beliebig erweitern ließe: indem Einer den
verborgenen Inhalt seines eigenen Lebens und
seiner Zeit aus der dunklen Schicht der Ge-
fühle und Ahnungen entschlossen heraushebt
in eine Sphäre freier und wesenhafter Gestal-
tung, vollzieht er zwar einen Abfall von dem
bisher Geltenden und Althergebrachten — nicht
aber verneint er damit das eigentliche Wollen
und Sehnen der Zeit. Im Gegenteil: er allein er-
kennt es. Der Widerspruch ist nur ein äußer-
licher und scheinbarer.............e. v. n.

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