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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Michel, Wilhelm: Der Münchener Glaspalast 1926
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0367

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Der Münchener Glaspalast ig26

KIMISOECK-
MÜNCHEN.
»DAMEN -
BILDNIS«

feinste lyrische Kunstwerke herzustellen. Fein-
schmeckerisch verweilte man früher, als es noch
das impressionistische Genießertum gab, vor
den Reizen dieser Bilder. Heute fällt mehr ihr
geistesgeschichtlicher und soziologischer Ort
ins Auge: es ist noble, charaktervolle Kunst
des deutschen Bürgertums, noch gestützt auf
eine objektiv vorhandene Welt, die mit Behagen
betrachtet und wie etwas Eßbares genossen
wird; es ist noch Freude an der uralten, ge-
sicherten Schauseite der Welt, auf die noch kein
Angriff des Umsturzgeistes stattgefunden hat.
Die Bewegtheit jener Tage wirkt heute wie Ruhe,
vor der man mit erholtem Aufatmen verweilt.

S1 e vog t wirkt neben Liebermann verborgener
und geistiger; er ist bei gleicher Bestimmtheit um
einen Grad ungreifbarer, fast märchenhafter;
durch die präzisen Schilderungen des Gesehenen
schlingt sich bei ihm etwas wie eine ferne Sage,
ein Kinderlied, ein Traum, ein schwer zu fassen-
des romantisches Element, das gerade deshalb
gespürt wird, weil es sich mehr zu verbergen
als zu enthüllen trachtet. Gerade seine deut-
schen Landschaften, mit und ohne Menschen,
sind von diesem romantischen Element gewürzt,
und man denkt, daß hier der Geist seiner Wahl-
heimat, der Pfalz, ein Wort mitgesprochen habe.
— Die Kollektion Corinth reicht mit Stich-

proben von der frühesten bis in die späteste
Zeit. Man sieht die breite, dämonische Lebens-
fülle in barbarischer Naturhaftigkeit aufschäu-
men und dann farbig vergehen, bis zuletzt noch
umgetrieben im Garten der Lust und des Ge-
nießens, wenn schon die Formen schwer und
lallend ineinander schwanken und die Linie, das
Symbol des Geistigen, in der düsteren Flut der
Farbe, dem Symbol der Affekte, erstickt. Es
ist das Leben, das in lauter Lust ertrinkt, das
an sich selber zugrunde geht, mangels geistiger
Fassung und Verfestigung; Schicksal vieler Men-
schen in dieser Zeit, wertvolle Erfahrung und
verehrungswürdiges Gegenbeispiel, nicht in
einem platten moralistischen Sinne, sondern im
Sinne eines geistesgeschichtlichen Weiterkom-
mens, für das es immer wieder von unschätz-
barem Werte sein wird, wenn starke Menschen
ihr großes Irren mutig durchs Leben tragen.
Corinth ist wahrscheinlich der einzige echte
und große „Naturalist" (will sagen: Vertreter
der historischen Geistesbewegung des „Natu-
ralismus"), den die deutsche Malerei besitzt;
er allein hat das naturalistische Geschick ent-
schlossen bis zum Ende durchgelebt; er hat nicht
nur die Lust gekostet, sondern sich auch in die
Gefahr gestürzt. — Ein spätes Bild „Thomas
Corinth im Garten-Zimmer" zeigt eine mensch-

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