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Die Gartenkunst — 4.1902

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Fritz, Carl: Durch die Centralschweiz nach Oberitalien: Vortrag gehalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.22266#0101

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IM

DIE (iAKTENKUNST

steiler Zickzackweg hinabführt zur Tellskapelle am Seeufer.
Diese kleine Kapelle, an der Stelle erbaut, wo Teil durch
den kühnen Sprung aus dein Nachen sich der Gewall des
Landvoigtes entrissen haben soll, ist nach der Seeseite zu
offen und nur durch ein eiserne? Gitter verschlossen; die
Wände zieren 4 Fresken, Darstellungen aus Schillers Teil.
Von hier wieder hinaufsteigend, biegt man rechts in die
Axenstrafse ein, um nach abermaligem zweistündigem
Marsche die Endstation Fluelen zu erreichen. Je mehr
man sich Fluelen nähert, desto schöner werden die Land-
schaftsbilder, desto weiter eröffnet sich der Blick in das
Reufsthal mit seinen grünen Matten und den riesigen
Sehneehäuptern des Bristenstockes und der beiden Wind-
gällen im Hintergrunde. Auch die Berglehnen links treten
immer mehr zurück, zeigen die verschiedensten Formationen
und kurz vor Fluelen noch zwei durch Schluchten tosend
sich hindurchwindende prächtige Wasserfälle. Nach 4 Uhr
Nachmittags hatte ich meinen Marsch beendigt und bestieg
nach kurzer Rast wieder die Gotthardbahn, um zum nächsten
Reiseziel, der Station Amstäg zu gelangen. Von dort
brachte mich nach halbstündiger Fahrt der Hotelomnibus
in den romantisch im Maderanerthal gelegenen Ort. In
diesem engen Thal hat man grofsartige Naturscenerien zu
bewundern. Der lärmende Fall des schäumenden Kärstelen-
baches, über dessen Schlucht in schwindelnder Höhe eine
2 Tunnels verbindende Brücke der Gotthardbahn hinweg-
führt, ergiefst sich hier in die wildtosende Reufs. Spazier-
gänge nach der auf steilem, aber bequemen Zickzackpfade
zu erreichenden St. Antoniuskapelle und in das Reufsthal
bieten Gelegenheit zu landschaftlichen Studien. Nach fast,
zweitägigem Aufenthalt setzte ich die hochinteressante
Fahrt mit der Gotthardbahn fort, Durch viele Tunnels
hindurch, an steilen Abhängen entlang, über tiefe Schluchten
und Gebirgswässer hinweg führt die Bahn durch wild-
romantische Gegenden immer steigend. Dieses Steigen
bemerkt man am besten, wenn man aus einem sogenannten
Kehrtunnel herausfährt und tief unter sich die Einfahrt
erblickt; die Station Vasen sieht man dreimal in verschie-
denen Höhen. Endlich ist die Höhe des bei Gesehenen
beginnenden und bisAirolo in gerader Linie durchgeführten,
2 Meilen langen Gotthardtunnels erreicht. Bis Gesehenen
hat man das Thal der Reufs immer tiefer unter sich, wäh-
rend man nach der 20 Minuten währenden Tunnelfahrl
jenseits des Gotthard allmählich bergab in das Thal des
Tessin gelangt bis zur rechtsufrigen Endstation des Lago
maggiore, Locarno. Diese anmutig an einem Bergabhange
zwischen den Thälern der Maggia und des Tessin gelegene
Stadt trägt, obwohl noch zum schweizerischen Kanton
Tessin gehörig, schon durchweg italienischen Charakter
mit seinen aus Granitplatten bestehenden Fahrgeleisen auf
den sonst schlecht gepflasterten Dämmen, ohne oder nur
mit schmalen Trottoirs, mit den die Trottoirs teilweise in
den Hauptstrafsen ersetzenden Bogengängen, welche, durch
Vorhänge vor der Sonne geschützt, ein buntes Bild durch
die vielen Verkaufstische darbieten, und mit seinen offenen,
durch Portieren verhängten Hallen der Restaurants (Risto-
rante, Trattoria, Birraria. Vendita di vino) und der Milch-
verkaufshallen (Latteria). Ich machte hier am Abend noch

einen Spaziergang durch die Stadt und gelangte, allmählich
höher steigend, in die Vorstadt mit schönen gärtenumgebenen
Villen und Rebgeländen bis zur Wallfahrtskirche. Am
Seeufer entlang gelangte ich schliefslich wieder auf die
piazza grande und somit wieder in meine Herberge, das
Hötel Suisse, von wo ich mich am nächsten Morgen zur
nalie belegenen Dampfschiflstation begab, um mein nächstes
Reiseziel, die vielgepriesene isola bella zu erreichen.

Auf dem Lago maggiore hat man zwar nicht den
grofsartigen Eindruck der Umgebung des Vierwaldstätter
Sees mit seinen grünen Bergwiesen, seinen malerischen,
teils schneebedeckten Höhen und imposanten Wäldern,
man wird aber durch andere, eigenartige Reize entschädigt,
wie durch die mehr sanften, abgerundeten Formen der
Berge, welche oft, bis zur Mitte der Höhe Kastanienwald-
ungen aufweisen, durch die ausgedehnten Rebgelände, die
idyllisch gelegenen kleinen Ortschaften mit ihren Türmen,
von denen die Glocken melodisch erschallen, durch den
tiefblauen See und den fernen Hintergrund der Alpen-
kette mit den Schneegipfeln des Monte Rosa und Simplon.
Dicht hinler Brissago überschritt das Schiff die italienische
Grenze, weswegen auch die italienischen Zollbeamten nach
zollpflichtigen Sachen fragten. Hinter Pallanza werden die
Borromeischen Inseln sichtbar. An der isola madre und
der isola dei pescatori vorbei landete ich gegen 1 Uhr auf
der isola bella.

Wenn man vom Schiffe aus den interessanten Terrassen-
bau des Borromeischen Palastgartens betrachtet, so ist
man zuerst enttäuscht, wenn man an der Landungsstelle
ein winkliges, schmutziges Fischerdorf vor sich sieht. Ich
ging auf das dem Landungssteg gegenüber liegende Risto-
rante del vapore zu, obwohl das weiter links gelegene
grofse Hotel einladender war. Der Wirt verstand zwar nur
italienisch, er brachte mir aber dennoch auf mein „vorrei
alquanto prandere" eine schlecht geschriebene französische
Speisekarte, auf welcher ich mit. Mühe ,,Cottelette" ent-
ziffern konnte: nach diesem Imbifs nebst einer kleinen
Flasche Asty begab ich mich zum palazzo Borromeo. Um
in den (iarten zu gelangen, rnufste ich mich erst für 1 Lire
durch den Palast führen lassen, worauf dem Gärtner ge-
läutel wurde, welcher für nochmals 1 Lire dasselbe Ge-
schäft im Garten besorgte. Wenn auch die Kunstver-
ständigen darin übereinstimmen, dafs der Kunstwert dieses
Terrassenbaues nur gering sei, und wenn auch den Gärtner
die hie und da sich zeigende geringe Sorgfalt in der Unter-
haltung nicht gerade angenehm berührt, so darf man doch
einen Besuch dieses an die ..hangenden Gärten der Semi-
ramis" erinnernden Gartens mit seiner unvergleichlich
schönen Aussicht und seiner üppigen Vegetation nicht
verabsäumen. Man bedenke, dafs der Boden für die ein-
zelnen Terrassen nur 2 m hoch teils mit dem Materiale
des Seeufers, teils mit dem Huden des gegenüberliegenden
Ufers mühsam aufgeschüttet wurde. Die an der Südseite
über einander zurücktretenden 10. je 3 m hohen Terrassen,
welche auf Bogen ruhen und unter welchen sich kühle
Grotten befinden, sind mit Citronen- und Orangenspalieren
bepflanzt, welche aber im Winter leicht, gedeckt werden,
an der Ost- und Westseite mit Camellien und Lorbeeren.
 
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