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Heidelberger Zeitung — 1861(Juli bis Dezember)

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Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.2815#0071

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Srscheint, Montags auSgenommen, taglich.
Preis viertelMrlich 54 kr.

Areitag» 1S. Zuli

Jnsertionsgebühren für die Zspaltige Petit-
zeile werden mit 2kr„ bezw. 3 kr. berechnet.

L8«1.

Zeitungsfchau.

Aus einigen außerbadlschen Blättern heben
wir sotgenve, durch ihre Reuhcit nicht unin-
teressante Ansichten über verschicdene poiitische
Berhälwiffe der Gegenwart näher hervor:

Die in München erschetnende „Süddeutsche
Zeitung" euthielt vor Kurzem cinen von ei-
nem süvdeutschen Offizier verfaßten AufsaK
übcr die Veriheidiguug Deutschlands gegen
Frankreich. Der Bcrsaffer legt hierin, sehr
vcrschieden von den meisten andern bisher laut
gewordeneu Ansichten, keinen sonderlichen Werth
auf eine militärische Besetzung des Oberrheinö
von dcutscher Seite für den Fall cines aus-
brcchenden KriegeS. Jn früheren Zeiten hat
wvhl Krankreich seine mächtigsten Stöße dort-
hin gertchtet. Damals aber war es in der
Regel im kriegerischen Confiicte mit Oester-
reich begriffen und es galt dieser Macht ge-
genüber hauptsächlich cinc Operationsbasis in
«üdveutschlanb zu gewinnen. Jetzt aber sei
der Sachvcrhalt anders. Jn einem aberma-
ligcn Kriege mit Deutschland wäre das'Äu-
genmerk Frankreichs vor Allem gegen Preußen
und auf die Eroberung des linken Rheinufers
gerichtet, und vvn dentscher Seite müßten da-
yer vorzugsweise die Vandestheile an diesem
linken Ufer, mithin der Mittel- und Unterrhein
stark besetzt und wohl geschützt wecden. Oc-
sterreich werdc vvn Frankreich jedenfalls in
Ftalien lahm gelegt werden, und sollte diese
letzlere Macht dennoch eine DivcrsioN auch
am Oberrhein machcn, so werde viese nnr in
untcrgeordnetem Maßstabe, viell«chl als ein
bloßcr Scheinangriff ersolgeir, dem man schvn
durch die Aufstellung eineö einzelnen Truppen-
corps, etwa in der Gegend vvn Donaueschin-
gen, erfolgreich begcgnen könne. (Die Redac-
rion d>s odigen Blaites theilt diesc Ausichtcn
nur mit cinem gcwiffen Borbehalte und einer
Art von Einschrankung von ihrer Seile mit.)

Der in Ludwigshafen erscheinende, „Psälzer
Courier" sprichl sich in einem Lestartikel, nach
einer fummarischen Erzählung der Verfaffungs-
geschichte UngarnS entschieden für die Wünsche
dieses Landes, insbesonkere für die bloße
Personalunion mit Otstekreich auS. Er
führt htefür unter Anderem das längere Zu-
sammengehören Englands und Irlands unter
. vieser staatsrechtlichen Forur än. Allerdings
war dieses bis zu Ende beö vorigtn Zahr-
hunderts der Fall. Allein man stieß in Folge
diescr britischen Personaluüion aus so viele
Mißstände, besonderö wegen der getrennlen,
zuweilen widcrstreitende Beschlüffe saffenden

Parlamente, daß dsese Form aufgehoben, und
Jrland mit England und Schottland in ein
Reich verschmolzen wurde. Zm Laufe dieses
Jahrhnnderts eiztstand zwar eine mächtige Par-
tei in Jrland, unter Führung des bekannten
O'Connel, welche wirder anf Zurückführung
der früheren Zustände und auf eine aber-
malige Trennung (Koziosl) hinarbeitete.
Aüein die engltsche Regierung stemmte sich
mit allek Macht wider dieses Ansinnen, und
würde gewiß vor den äußcrsten Mitteln ihrer
Kraft, um diesem ersolgreich zu begegnen, nicht
zurückgeschreckk sein, wcnü nicht verschiedene
ZufäÜigkeiten, wie O'Conncls Tod, Spaltung
unv Zerfaü der irischen Repealpartei u. s. w.
die Bemühungen der Letztern gelähmt uud er-
folglvs gemacht hätten.

Daß eine solche Personalunion mit dem
Wesen einer Macht, dic auf einc Großmacht-
stellung Anspruch macht, fich nicht verträgt,
da cine einheitliche Kraft des Handelns hiebei
nicht recht aufkommen kann, - hierüber ist
man jetzt überhaupt, in der Wiffenschast, wie
in der Praris deö Staatskechts, ziemlich ei-
nig. — Bei Slaaten, welche Vermoge ihrer
mindern Bcdcutung odcr ihrer entferntern,
dcn politischen Fragen ver Neuzeit weniger
zugänglichcn Lagc solche Ansprüche nicht er-
hcden, wie z. B. Schweden und Norwegen,
mag sich dieses anders verhalten und auch
eine Personalunion mit Erfolg durchgeführt
werden kvnnen.

Die in Wien crscheinende Zeitschrift „Preffe"
bringt einen AuSzug und eine Critik cincs
ueueren Werkes Proudhon's, eines bekanntlich
sehr antinapolconisch-grsinnten Schriststellcrs,
unter dem Titel: „Krieg oder Frieden". Dcr
Versäffer geht hierin die politischen Ziistände
der einzelnen Ländcr Europa's der Rcche nach
durch, nnd stellt als das für ihn lritende Prin-
cip übcrall dic Freihett voran, die es übcr die
Natiönalität stellt. Letztere ist nach seiner An-
sicht mehr ein Jdol, nach welchem noch min-
der cultivirte, erft im Werden unb in der
Heranbilvung begriffene Rationen zu streben
haben, Erstere aber svll das am meisten be-
gchrungswerthe Gut civilisirter Nationen sein.
Daß bei dieser Anschauung die polizeilichcn
Schcinnationalitätstendcnzen veS Buonapar-
tismus schlecht hinwegkommen, und einer her-
ben Kkitik nntkrliegen, versteht stch von selbst.
Den Verträgen von 1815 erkennt Proudhon
jedeilsalls eine cbensvgroßc Berechtignng zu
als dicsen Tcndenzen und den Jdeen des Iah-
reS 1789. Der Grundgedanke der Verträge
von 1815 ist nach Proudhon vorerst vic Her-

stellung des politischen Gleichgewichts zwischen
den Mächten Europa's, und sodann in zwci-
ter Linie und als Garantie dieses Gleichgc-
wichts dse Einsührung des Constitutionalis-
mus. 4)ie Vcrträge von 1815 hätten somit
die Jdcen des Zahres 1789 nur fortgesetzt und
entwickelt. (Diese Anschauung der Dinge ist
selbstrcdend sehr verschieden vvn dcn sonstigen
sranzösischen Ansichten hierüber, und.es dürfte
in Bälvc der sonst entschieden democratische
Proudhon in Frankreich ebenso als Renegat
und Abtrünnling vcrschrieen werden, wie ctwa
Fröbel in Deutschland.) — Was Oester»,
reich betrifft, so gesteht Proudhon die Mög-
lichkeit einer constitutioncllen Neugestaltuug
dieses Staates zu und erklärt zugleich Vcne-
tien und die Stellung am adriatischen Meere
als eiue Nothwcndigkeit sür Oesterreich und
für Deutschland. — Es dcnkt somit in dieser
brynnenden Tagessrage ein Franzosc deutscher
als viele Deutsche! —

Der Prozeß Mires

(Fortsetzung.)

sparis, 3. Zuli. „„Mires odet meine
Collegen"", schreibt Chaffkpot „„mögen ja
nichl glauben, daß ich dic Mission in Madrib
nicht angenommen habe, weil ich dic Reise-
mühen scheutc unb an meiner Kraft, sie zu
erfüllen, zweifelte."" Was Herrn de Chaffe-
pot adhielt, war der Gedankc, daß die „t-sisss"
seine Dienstleistungen bezahlen würde. Seine
Wlchde war vadurch verletzt worden und seine
Empfiudlichkeit gerechtfcrtigt. Herr de Chaffe-
pot fügt hinzu: „„Möge Herr Simeon ein
glückliches Resultat in Rom erzielen; er hat
dazu einen Namen, der ihn beglaubigt. Jst
er nicht der Sohn eines Senators und der
Sohn des Concordates?"" Der StaatS-An-
walt wirft den Mitgliedern dcs Ueberwa-
chungs-Ausschuffes vor, in der Affaire der
römischen Eisenbahnen aus den 57,60V reser-
virten Actien Nutzen gezogen zu haben. Er
wirft ihnen auch vor, gestaltet zu haben, daß,
was die römischen Eisenbahnen anbelangt, in
den Rcchnungsabschlüffen die Commission von
8,750,000 Franken sigurirc, vie nicht realisirt
waren und die io der That nie realisirt wur-
den. Er macht ihnen fcrner dcn Vorwurf,
zugegeden zu haben, alö sie wußten, daß die
„Duisss" im Deficit war, daß man in den
Rechnungsabschluß jene Ziffcr des Mehrwcr-
theS für die Zmmobilicn und die Kunbschafl
zuschrieb. Nun auf den Rechnungsabschluß
von 18Ü0 ubergehcnd, setzt der Staats-An-

Ein Wirnrr Gannrrstückchr».

(Kortsetzung).

Ern beengendeS Gefühl packte ihn zwar, als er
Hcrrn v. Mayer so da lrcgen sah, dic rothe Nase
kühn rn dic Luft geschwungen und schnarchend, als
vb es gelte, mit dcr Posaune Zericho'S um bie Wette
zu blasen, allcin bald wurbc er Herr seiner sclbst
und schnell sich orientirend, ergriff cr vor Allem die
goldcne llhr mit schwerer Kette, die neben dem
Schlafenden lag, und angelvckt durch dcn Zipsel
einer Brieftasche, die unter dem Kopfkisscn hervvr-
sah, machtc er auch, vertrauend auf dic lauten Tvnc
des Schlafenden, deren Bekanntschaft. Lcise, wie
er gekommen, schlich Meister Stipitz wiedcr von
dannen, vcrschloß die Thüre und lcgtc den Schlüffcl
au dcn altcn Ort. — Eine Stunde verging, die
Welt ging ihren gewohnten Gang, Herr v. Mayer
lag in den lctzten Zügen — deS SchlafeS, noch ein
gurgslnder Donncrton entrang sich dcr hauSherr-
lichen Brust und jctzt — doch ber freundliche Leser
erlaube mir die Scene, die nun folgtc, mit prag-
matischer Klarheit zu schildern.

Nächbem der Hausherr bas erste Lebenszeichrn

wlcder von sich gab, war sein crstes GcsHäft, daß
er sich die Augcn rleb, feine Glieder nach allen
Sctten hin streckte, und mlt schmuNzelndcm Tonc,
halb gähnend, vor sich hin sprach: „Ah, hcute hab'
ich a mal wieder gut geschlafen; wie spat mag's
wohl scin?" Sprach's, wollke auf die Uhr schen,
— doch wer beschreibt sctn Staunen, als er dic llhr
vermißte, wcr bcschreibt seinen Schreck, als er die
Brieftasche, dte vielgcliebte, nicht fanb! Anfangs
glaubtc cr fich noch im Schlafe und zwicktc sich tn
bcidc Ohren, um fich zu übcrzeugen, daß Alles
wahrer, bitterer Ernst sei. — „Die Uhr weg, di«
Brtcftasche wcg, wer mag dieS gethan haben? Viel-
leicht Urs—, doch das ist nicht möglich." Er ging
zur Thüre und fand fle verspcrrt, wie gcwöhnlich.
Mit ficbcrhafter Ungcduld wartctc er auf Ursula,
und jc länger cr wartete, desto mehr steigertc fich
der Vcrdacht gcgen fie, denn wer außer thr konntc
wohl die Gclegcnheit, ihn zu bestehlcn, benützt
habcn? —

Unterdeß hielten Frau Ursula mU Frau Gevat-
terin Gcricht über sämmtliche Rachbarn, und von
der Hofräthin, die tm zweiten Stocke wohnt, bis
zur Greißlerin, die zu ebener Erde thront, vom

Schneider ln der Mansarde bis zum Schuster da
hintcn tm Hofe, sic alle mußten vor das Forum
ihreS strengen Gerichts und «enige fanden Gnade
in ihren Augcn.

Arme, gerechte Ursula, was erwartet dich in der
nächsten Minute! —

Die Zcit zum Aufbruche kam, Frau Ursula erhvb
sich und nach einem Seufzer übcr die jctzige sün-
digeWclt und einem warmen Händedruckc der Frau
Nachbarin ging sie von dannen — ihrem Schick-
sale entgegcn. — Als ste zur ThürethrerWohnung
gelangte, hörte fie etnigc unarticulirtc Töne, dte
ihr Meister und Gebieter aussticß. Voll Verwun-
dcrung darübcr, griff sie nach dem Schlüffel; er
lag an Ort und Stelle, sie öffnete und trät mit
ihrem gcwöhnlichcn „gut geschlafen, 'r Gnaden?"
in die Stube.

Der Hausherr blieb stumm und seufztc, endlich
sah er sic fiarr an, und rief mit eincm Tone, ähn-
lich dcmjenigcn, mit welchem einst JuliuS Cäsar
sein berühintcs„auch Dir, Brutus?" aussttcß: „also
Du, Ursula, Du weißt von nichts!"

„Was um Gotteswillen, Eu'r Gnaden, «as ist
den» passirt?"
 
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