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Heidelberger Zeitung — 1861(Juli bis Dezember)

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August
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https://doi.org/10.11588/diglit.2815#0165

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Undtlbi'rger Itilulig.

sr is«


Donnerstag, 1S. August L8SL.

-ff- Verfassunqs'Programm.

Untcr dieser Ueberschrift crklärt die Münch-
ner „Südd. Ztg." Folgendes: Staatsverfas-
sungen sind niemals gleich Fabrikwaaren „auf
Lager" gcarbeitet worden, sondern sie ent-
stehen, wenn das Volk reif ist (vder reis zu
sein glaubt) fur eine neue Ordnung seineS
politischcn Lebens. Da die Reformpartei weiß,
daß wir in das Stadium der vollen Reife
noch nicht eingetrcten sind, da sie sich vielinehr
zur Hauptaufgabe gemacht bat, daffclbe »or-
zubereiten und zu befördern, so müßte ihr die
Ausarbeitung von Verfaffungsentwürfen zur
Stunde noch als ein bloßes Phantasiespiel
erscheinen.

Staatsverfaffungcch sind auch niemals das
Werk politischer Gcsellschafien vder publicisti-
scher Fcdern gewesen, sondern stcts das Werk
eines einzelnen Staatsmannes, der znr Lei-
tung der öffentlichen Angelegenheiten berufcn
war, odcr auch einer aus der Mltte des Vol-
kes hervorgegangenen constituirkiiben Bersamm-
lung. Die Resormpartei wciß, daß es nicht
lhre Sachc ist, dlesen Organen der Gcsehgc-
bung dqs Concept zu entwerfen. Zhre Auf-
gabe beschränkt stch auf die Verbreüung und
Befestigung der im Volksbcwußtscin leben-
den Grundgedanken. — Die deutsche Reform-
partei hat es bisher auch unterlaffen, in der
Formulirung ihrer Wünsche über die allge-
meinsten Grundlagen hinauSzugchen. Wo sie
in den Landtagen auftrat, hat sie sich rc-
gelmäßig auf die bcidcn Cardinal-Punkte:
„Ccntralgewalt, Parlament" beschränkt. Zm
Nationalverein hatsie eincn Schritt wei-
ter gethan, indem stc als nothwendige Atiri-
bute der Centralgewalt die militärische und di-
plomatische Leitung und als deren Lräger das
preußische Staatsvberhaupt bezeichnete. Ueber
dic Zusammensetzung und den Wirkungskreis
dcs Parlameuis dagegen, über die Mitwirkung
dcr übrigen Fürsien und andcre Fragen. hat
man sich bis jetzt nicht näher ausgesprochen,
auch übcr das künftige Verhältniß zu Oester-
reich nur ganz im Allqemeincn. — Cbenso
wenig hat die Preffe bis jcßt detaillirte Vcr-
faffungsprogramme gebracht. Diese Ueber-
einstiinmung hat ihre guten inncren Gründe.
Man erkennt offenbar, daß es ein Fchlcr
wäre, im jetzigen Augenblicke mlt solchen De-
tail-Programmen hervorzutrcten."

Diese Ansichten stimmen im Wesentlichen
mit dcr in der „dentschen" Verfaffungssrage
(Nr. 48 u. f. uns. Bl.) geänßertcn Meinung
übercin, und wir können derselben daher nur

'Drr Wristrrritt.

Eine Volksgeschichte »on Feodor Wehl.

(Schluß.)

Stille, Racker, heulte dcr lrhme Kaspar, indem
er scinen nngcschwollcnen und blutunterlaufencn
Hrls betastete und dazu mit seinem hölzcrnen Betne
stampfte. Wenn's denn nicht anders geht, so kommt
hervor Förster Elers, drmit ich Euch huckcpack nrch
Hruse trage. Eurc rlte Mähre dr wird, Euch so
nicht mehr im Srttel tragen. Mit dcm Wald-
reiten ist es für immer aus.

Mit dicscn Wortcn packtc der Berbrecher die Leichc
untcr dic Achseln, hob sie rus der Grube hervor
und warf sie sich über die Schulter.

Elisabcth schaudcrte zusammcn, als fie das sah
und dabei drs haumelnde, blutlose und frhle Ant-
litz der Leiche, sowie ihre strrr niederhängendcn
Gliedmaßen gewahrtc. Sie mußtc aüe Macht zu-
sammen nehmen, um nicht ohnmiichtig zu wcrdcn.

Vorwärts! befahl sie, und nun ging der schaucr-
lichste Leichenzug, dcr sich denken läßt, langsam
durch den Wald zurück, dem Dorfe Rodcwald zu.

Voran schritt humpelnd und keuchend der Mör-

beipsiichten, nicht so aber cinem von der Süd-
deutschen Zcitung über dic inneren Berhält-
niffe Oesterreichs kürzlich als unfehlbar auf-
gestellten Dilemma, welcheS da lautet: „Wer,
wie Dcutsch-Ocsterrcich es geihan, fremde
Stämme zu crobern und zu beherrschen unter-
niinmt, muß dic Conscqucnzen davvn auf sich
nehmen. Will er scinc eigene Nationalität
untcr der Maffe der Unterworfenen bewahrcn,
so muß er mehr oder wenigcr ein Militärre-
giment bleiben und auch für sich selbst auf die
Freiheit vcrzichten; will ep aber dic Freiheit
bei sich einführen, so muß «r sich mit den
Untcrworfcnen amalgamircn iind das Gesetz
der Mchrheit anerkenncn. Entweder bleibl
also Oestcrreich constitutioncll und wird dann
Vvn ciner slavisch-magparischen Mehrheit re-
giert, oder es wird im andcrn Falle, wie
früher, cin klerikales, bureaucratisches und
militärisches Regiment gehandhabt."

Bei Aufstclliing dieser Alternative und zwar
bei dem einen Satze von einem constitutionel-
Icn Oestcrreich, dcn wir als maßgcbcnd an-
nehmen müffen, hat die Süddeutsche Zcitung
vffcnbar eincn Hauptfactor außer Acht gelas-
sen, nämlich die Macht des deutschcn Geiftes
und dcutscher Culkur.

Seitdem nämlich der österreichische Absolu-
tismus gebrochen ist, scitdcm das bureaucra-
tische und militärische Einheitsband Les Nei-
ches sich als ungciiügend erwiescn hat, ist le-
diglich das deutsche Elcment als der geistige
und moralischc Kitt dcs freigcwordenen Oe-
stcrreichs zu betrachten. Um ihre Aufgabe
aber durchzuführen, haben dic Deutschen in
Oesterreich cine ungemein schwicrige Mission
zu crsüllen. Was das deutschc Schwert im
Laufc der Jahrhunderte crrungen, was der
deutsche Psiug, was dic vr'cleii Cultureinsiüssc
der deutschcn Sprache und Sitle begründct
haben, das soll jetzt behauptet, das svll ius
Wetistreit entseffclter Nationalitäten befestigt
und (dcm Laufc der Donau entlang) noch
mehr ausgedehnt werden. Der Kampf, den
das deutsche Element zur Lösung dieser gro-
ßen Aufgabe zu bestehen hat, ist cin ehrenvol-
ler Kampf; er ist ein Kampf zugleich für dic
constitutionelleii und bie freisinnigen Principien,
dencn die Zukunft gehört; ein Kampf gcgen
mitielalterliche Trümmer, gegen alte Be-
schränktheit und Barbarei, wie gegcn einen
niedrigen Völker-Egvismus.

Die Frage, wem die Spmpathieen dcs deut-
schen Gesammtvaterlandes gelten sollen, ist
hiebei ziemlich einfach zu beantworten. Doch
wohl nur den Vcrtretern der dcutschen Natio-

der, mit dem Ermorbeten auf dem Rückeis; drci
Schritt dahinter ging Elisabeth, die Flinte vor sich
hin auf den Miffethäter gerichtet; dazwischen lief
Pluto, der dann und wann ei» kläglichcs Gehcul
ausstieß, das schauerlich im Walde wiederhallte.

Dcr Mond, da cS zum Morgen ging, begann
nach und nach zu erblaffen und die Dämmerung,
in graue Nebel gehüllt, feucht «on den Zweigen
tropfend, sich übcr der Holzung auSzubreiten. Das
Stöhncn Heidlcrs, das Schwanken der Lciche, das
Heulcn Pluto'S, begleitet von dem melancholischen
Getröpfel Ler niederthauenden Feuchtigkeit, das Ge-
raschel dcr welken Blätter, der knisterndcn Zwcige,
dann und wann ein scheues Borbeiglcitcn cines
ausgejagten WildeS, — stclle man fich das Alles
lcbhaft vor und man wird das Bild deS traurig-
sten Lcichenconductes haben, den jemals die Erde
gesehcn.

Als es zum Anbruch dcs Tages ging und die
crsten Hähne tn Rodewald zu krähcn begannen,
sahcn die eben vom Schlaf crstchenden Bauern den
scltsamen Zug vor dcm Amthause anlangcn. Zm
Nu war Alt und Jung auf den Beinen, der Dorf-
richter und seine Büttel zur Hand, Kaspar Heidler

nalität in Oesterreich, die so mannhaft den
Kampf aufgenommen, und dic wohl der Zahk
nach eine Minorität, das stolze Gefühl in
flch trageu, doch einen österreichischen Reichs-
rath mit seinen Czechen, Polen, Kroaten und
(für die Folge) sclbst Magyarcn du/ch das
Uebergewicht sittlicher und gcistiger Culkur-
macht, durch das Uebergcwicht der Fortschritts-
Principien zu beherrschen. (Sehr verschieden
hievon ist so manche irrige Ansicht, die in
Preußcn und Deutschland hierüber gang und
gäbe ist.)

Und wahrlich ist dies kein kleines Uuter-
nehmen. Schon jetzt habcü die deutschen Ab-
geordneten in dem Rcichsraihe manchr hciße
parlamenlarische Schlacht gegen die Tschechen
und Polen, gegen dic Sieger, Martinitz,
Scarlsta u. s. w. geschlagen, und es fürchten
fich jene doch nicht, den Kampf auch bann
fortzusetzen, wenn noch etwa 85 Magparen in
den Rcichsrath einziehen; ja sie wünschen so-
gar diesen Einzug, um wirklich eine Vertrctung
von Gesammtösterreich zu haben, sie wünschen
ihn, weil vor dcr Macht allwaltender Civili-
sationselcmente und Fortschritls-Priiicipikn die
Sonderstcllung jener eines eigenen staatlichen
Lebens kaum fähigen Nationalitäten sich nicht
wird behaupten laffen (vgl. Nr. 179 u. Bl.).

Die beutsche Nation in Oesterreich ist aber
auch vermöge ihres äußeren Bestandes im
Stande, einen solchen hohen und kühnen Vor-
satz zu faffen. Sie verbrcitet sich über alle
Kronländer und fehlt in keinem Kreise oder
Comitate ganz. Dicses gilt «on allen Lan-
desthpilen und Provinzen slavischer und ma-
gparischer Zunge.

Das deutsche Element kann daher scho« wegen
sciner großen Vcrbreitung über das ganze Reich
einc gewiffc Superiorität, den Bcruf bean-
spruchen, dcn Kitt dcr verschicdenen Nationali-
täten abzugeben. Es kann dieses aber um so
mehr, weil es wirklich der Lchrer und Civili-
satvr dicser Völkerschaftcn gcwesen ist, weil
es mit Hülfe des deutschen Reichs sie oftmals
aüs Feindesmacht gerettet und.sich stets als
das wahre Fortschritlselement gezeigt hat.
(Daß cs unter frühern absolutistischeu Regie-
rungsmarimen mitunter zur Knechtung andercr
Nationalitäten gemißbraucht worbeu ist, stehk
hier nicht im Wcgc. Es war dieses eine be-
klagenswerthe Thatsach e, die jedoch vorüber-
gehend war, jetzt ber Vergangenhcit augehört,
und jeneu an und für sich wahren Satz «icht
umstößt.)

So aber hat jetzk die deutsche Bevölkerung
Oesterreichs eine neue, hohe und schwierigs

mit Ketten geschloffen und Elers Lciche auf eine
Bahre gelegk.

Die gute Frau sank, nachdem fic die nöthtgsten
Aufklärungcn gegrben und den ganzen Hergang deS
schrecklichen Borfalles kurz erzahlt, ohnmächtig dcn
Umstchcndcn in di« Armc und wurde i» vollstän-
dig bewußtloscm Zustande nach Hause gctragcn,
wo sie, von einem hitzigen Fieber bcfallcn, Monate
lang mit dem Tode rang. Als sic endlich genas,
war ihr Haar weiß «ie Schnce und die Klarheit
ihrcS Geistes erloschen. Still und lautlos ging sic
umher, mir stiercm, glastgen Blick Menschen und
Welt betrachtend. NiemalS hat man sie wirder
lächeln sehen oder auch »ur cinen einzigen Laut
über dte Lippcn bringcn hörcn. Dte Angst und
die Schauer jcner Nacht hatten, wtc es schicn, alleS
Lcben aus ihrcm Herzen gcscheucht und fie zur «an-
delnden Mumie gcmacht.

Kaspar Heidler wurde in der K'reiSstadt Böhlau
mit dem Schwcrtc hingcrichtet; scine Frau aber
nahm ihr contractcS Kind auf dcn Rücken und
wandcrte, Nicmand «eiß wohin. Wie sic inNvde-
«ald sagen, ist fie nach Aegyptenland zurückgckehrt.
 
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