I7L.
Gamstag, 27. Zuli
JnsertionSgebührea für die Zspaltige Petit-
zeile werden mit 2 kr., bezw. 3 kr. berechnet.
L^LL.
O 3« den bcvorstehenden Kammer-
wahlen.
Ein Thkil der badische» Prcffe hat an die
Regierung das Verlangcn gestellt, daß dieselbe
die zweite Kammcr auflöse, iiidem dieselbe »n-
ter dem Druck eines inzwischen gefallenen Re-
gierungsspsteins gewählt, nicht als die wahre
Vertrekerin des badischen Volkes, als das
ächte Organ seines WlÜens betrachttt werden
könne. Ohne das Gewicht der Gründe, welche
für dieses Ansinnen sprechen, zn unterschätzen,
darf man doch nicht verkcnnen, daß gewichti-
gere, näherliegende, realere Gründe gegen
dasselbe vorhanden sind. Es ist wahr, die
zweite Kammer in ihrer dermaligen Zusam-
mensetzung ist ein Erzeugniß des alten Sy-
stems; aber war sie es nicht, die durch ihre
wackere Haltung in der Concordatfrage we-
sentlich zum Sturz des alien Systems und
zur Heraufführilng der nenen Aera beitrug?
Jst es nicht die Masorität von vrei Vier-
theilen dieser Kammer, aus welcher unsere
gegciiwärtlge volksthümliche Regierüng her
vorging? Hat diese' Mehrheit nicht sämiüt-
llche zeitgemäße Gesetze sanctionirt, welche die
jetzige Regiernng ihr zur Befestigung des neucn
Zustandcs der Dinge vorgelegt? Wäre es
politisch klug und schicklich, wenn vie Regie-
rnng jetzt, nachdem all Dics geschehen, gegen
eiutn constitutionellen Staatskörper, der iich
so über alles Erwarten trefflich gehalte», je-
nes Schiller'sche Citat in Anwendung brachte;
„Der Mohr hat seine Arbeit gkthan, der
Mohr kann gehen"? Eine Kammerauflösung
bedeutet eine Appellation der Regierung von
der Volksvertretung an das Volk. Zn einer
solchen aber liegt auch nicht der mindeste An-
laß vor. Thäte Lie Regiekung einen solchen
Schritt, so wäre es, als ob in einem Civil-
proceß die gewinnende Partei gegen das
zu ihren Gunsten lautende Urtheil Berufung
einlegen woüte. Ein solcher Schritt wäre
ein Wiversinn, cin Uuving.
Anderseils aber sind wir weit cntsernt, die
Nothwendigkeit in Abreve zu steüen, daß neue,
frische, belebende Elcmente in den genannten
Staatskörper gelangen. Mit vem noihwen-
digen politischen Gleichgewicht unter den Fac-
toren des coiistitulionellen Staatslebens, mit
der naturgeinäßkn, harmonischen Entwicklung
dcs letzteren, mit ber dauernden Sicherung
der Volksintereffcn ift es unverträglich, daß
der Beamtenstanv in einer an Ausschließlich-
keit grenzenven Ueberwucht in eincr Bolks-
kammer vertreten sei. Wie gern wir die un-
eigennützige, furchtlose, überzeugnngstreue Hal-
tung der großcn Mehrheit dcr dem Beamten-
staude augebörigen Bolksvertreter währenv dcs
letzten Ländtages äncrkennen, so wcnig dürfcn
wir uns der Erkenntniß verschließen, wte hoch
es an der Zeit ist, daß durch den gesctzlichen
Austritt eincs Biertheils dcr Abgcvrdneten
jenem neuen ElemeNte Raum wcrde. Das-
selbe wird vorzugsweise zu suchen sein unter
den jungeren Männern der Wiffenschaft. und
dcr Jndustrie, und Dlejenigen, deren Sache
es zunächst ist, werdcn hoffcntlich nicht gesäumt
haben, zcitig Umschau zu halten nnter der
jüngen und nnabhängigen Znkelligenz des Lan-
des.' Hierunter aber begreifen wir die hö-
here politisch e Jntcllig cnz. Z» Tagcn,
wie sic uns Dcutschen aller Wahrscheinlichkeit
nach bevorstehen, ist dem Volke nicht mit Ver-
tretern gedient, wie sie dic deutschcn Kam-
mcrn bis jetzt in überwiegender Mehrheit auf-
zählen, Männern, dercn Blick nicht allzuweit
über den Horizonk einer bestimmten Bcrufs-
psticht und der Jntereffen ihres Wahlbezirkes
hinausreicht. An ihrcr Stelle bedarf es be-
wcglicher Kräfte, die freien geübtcn Blicks
das Ganze der großen und kleinen Politik
überschaucn, systcmatischer Köpfe, die von all-
geineiNen Principien ausgehenv, alle Dinge in
ihrem'Bezug zu denselben aufzufaffen und zu
wiirdigen vermögcn, energischer Gcmülhcr, die
solche Erkenntlilß practisch zu bethätigen die
Festigkeit, den Opfermuth besitzen. Es bedarf
für die Tage, bie entschkidenb scin werven für
die Geschickc ver Nation, um cs in Kürze zu
sagen: politischer Capacitäten, poli-
tischcr Charactere.
Der Prozeß Mir« s
(Fortsetzung.)
, 6. Jult. Mtrös überretcht hterauf Herrn
Plocque etne Nole mit der Bttte, sie mitzuthetlcn, ehe
er scine Vertheidigungsrede fortsetzt. Herr Plocque ent-
spricht dtesem Wunsche:
Uebersicht der Berlusie, welche dte Catffe tn Folge der
Denunctation des Herrn von Pontalba erlttten hat:
1) Auf. die Pampcluna-Bahn wegen
Realtsation der eingegangenen Ver-
bindltchketten. 3,414,439 FrcS.
L) Auf die türktsche Anlethe aus dem-
selben Grunde. 2,500,000 „
3) Äuf die römtschen Bahnen aus
demselben Grunde. 8,000,000 „
4) Verlust auf dte Kunden . . . 939,638 „
5^ Vermtnderuug dcs Porteseuille-Jn-
haltes. 14,000,000 „
6) Verlust auf die laufenden Rech-
nungen, besonders tn Folge der
Entwerthung der Papiere deS Hau-
seS, auf welche Vorschüffc gegeben
waren .. 12,000,000 „
7) Verfügbarer Saldo . . . . . 8,000,000 „
48,854.077 Frcö.
- 8. Zult.
Beim Beginn der heutigen Sitzung gab -er Präfident
dem Advocaten Leon Duval, Vertheidtger des Grafen St^
meon, Mttglted deS Ueberwachungs-Ausschuffes, daS Wort.
„Zch vertrete" — sagt derftlbe — „einen Ehrenmanü, den
der öffentltche Ankläger, tch mctß nicht, warum, in etne
schmutzige Geschtchte hinetngezogen hat. Tiefe Entrüstuug
erfüüt ihn sctt der Eröffnung diefer Debatten. Der kat-
serliche Procurator hat denselben vorgeladen," ich' ctttre-
hter dtese Vorladung: „„Jm Namen der Herren Solär und
MtreS und für dte Betden zur Last gelegten Thatsachen
verantwortltch, und wetl er der Verthetlung ffctiver, -ntcht
erworbener Divtdenden seine Zusttmmung gab) und end-
ltch, wetl er in den Rechnungö-Abschlüffen dritter Personcn
nachtheilige Ungenautgketten zuließ ... .^"
Herr Mongtnot hat dte Entdeckung gemacht, daß Herr
Graf von Stmeon in der Marseiller Hafenangelegenheit
von Herrn Honorat, dcm Maire von Marseille, 30,00V
Franken empfangen hat. Metn Gott, ich hübe ntchts
gegen Herrn Mongtnot und beabfichtige keineSwegs, ihm
etne Unannehmltchkett zu bereittn, tch mache ihm nut einen
Etnwurf, daß, wenn er die m.it so vtelem Znteressanten
angefüllte Geschichte begann, warum er sie ntcht bts anS
Ende durchführte. Es sind ntcht 30,000 Franken, die er
als von Herrn v. Simeon empfangen zü constattren gehabt
haben würde, sondern 100,000 Franken, uud er hätte
htnzufügen müffen, daß dtese 100,000 Frankeu, gelegener
Zeit, vor nunmehr 1?/z Jahre, zurmkgegrben wurden.
Dte Beziehungen seines Clienten zu der römtschen Etftn-
bahn-Angelegenhett entwickelte Hr. Duval dayin, daß der
Graf zur Zeit 1000 Actien zu 540 Franken verkauft,
dann aber, als er das Steigen der Courft gewahrte, zu
548 bts 550 Franken wieder zurückkaufte, also 12,857
Franken dabet. verlor. Nach dem Gesagten — meint er
weiter — werde man sich wohl ntcht verwundern, wenn
eine hochstehende und mächtige Persölilichkett, der Hr. Se«
nats-Präsident, an den Grafen geschrteben habe: „Jch
zwetste ntcht, daß auS den bevorstehenden Verhanvlungeu
Zhre Rechtfertigung und Zhre Loyalität unverfthrt hervor-
gehen werde."
Laffen Sie unS nun einen Bltck auf die Geschäfte wer-
seu, mtt denen der UeberwachungS-Ausschuß bekannt ge-
macht wurde. Ueber dteseS Terratn, auf dem man mir
zuvorgekommen ist, kann ich leicht htnweggletten. ES han-
delte sich darum, 400,000 MetreS am Meere anzukaufen,
diefts Meer allen Flaggen der Welt durch die Pforten von
Suez zu eröffnen. Niemals unternahm etn Bankier etne
größere Sache. Hr. Mir^S hat aber nun mehr gcthan,
alS es zu unternehmen, er hat es zu Ende geführt, und
dte Erbauung deS Hafens Napoleon tst heute etne vollen-
dete Thatsache. — Herr Duval besprtcht nun der Rethe
nach dte übrigen Sachen, deren Nützltchkeit er bewetst.
„Und wie tst nun Graf Stmeon tn den UeberwachungS-
rath der 6niss6 cles eüemins cks ter gekommen?"
Der Verthetdtger setzt aus etnander, wte Herr v. St-
meon wohl in Handelsbüchern u. dgl. ein Neultng setn
mochte, aber er hatte doch gesunden Menschenverstand, und
dieser sagte ihm, daß er Zutrauen haben dürfe bet Ge-
schästen, die tn der That großarttg, nützltch und frucht-
brtngend waren. „Und was hat denn in Wtrkltchkeit Mirös
gestürzt? Jch denke, wtr wissen das jetzt alle. Es war eine
Combtnatton, dte vortrcffttch war, fich aber als zu schwer/
zu hochgehend für thn ergeben hat; er wollte die römtschen
Etsenbahn-Actien zurückkaufen. Za! Hr. MtröS hatte da
etne schöne Zdee, dte kühn war und Hetl bringen sollte.
Ertnnern Ste sich nicht der Werth-Verminderung' der Actten
unsercr besten Bahnen während der Bauzett? Und Sie
kennen doch auch den heuttgen Werth derftlben. Wohlan!
Herr Mires wollte dteser Werth-Verminderung vorbeugen;
er wollte eS, aber das Glück kehrte ihm den Rücken!"
Mir die Ehrmänner in's Wirthshaus
kommen.
(Schluß.)
Alles dies seranlaßt ihn, scine Mißstimmung zu-
erst durch ein leises Brummen 'knnd zu geben, «el-
ches schlicßlich so stark wrrd, daß die' ohnehin ge-
plagte Frau sich eincs Abends nicht mehr haltcn
kann und in die Wortc ausbricht: „ZeKt höre end-
lich einmal auf, das ist ja nicht zum Aushaltcn!"
Bis hierher wäre AlleS gut, abcr nun kommt noch
„Gehc nur einmal zu Deinen Freundcn, damit Du
auf anbere Gedanten kommst", und somit ist dcnn
dcr Würfel gefallen, das war offenbar gcfehlt;
denn da gcht er hin und wird »on seinen Freunden
und Schrcksalsgcnoffcn mit einem furchlbarcn Halloh
empfangen. Di« allseitige Frage ist nun gieich:
,,Na! «ie ist's?" - „Ach Gott, ich hab's recht fart,
dieses Geschrei, die Kosten" — „Aha! Haben wir
Dir es ntcht gesagt. Sichst Du, Du wolltest ja
nicht hören; wir waschen unsere Hände in Unschulb."
Wenn man die Leute so reden hört, müßte man
glaubm, der Ehestand ist eine Hölle, und doch,
Hand aus's Herz, sind alle MLnner froh, daß sie
ein Weib gmommen und licbe Kinderchen haben.
Was sic aber da sagen, heißtsie der reine Egoismus
rcdm: sie möchten allcrdings die Freuden dcS Ehe-
standeS gcnießen; die Unbequemlichkeitcn und Lei-
den aber gern den Fraucn allein überlaffen.
Doch zurück zu unscrcm Gatten und Vater. Ob-
glcich er's sehr satt hat, so hindcrt thn daS doch
nicht, ein paar Glas Bier zu trinkcn, die ihn in
eine so fröhliche Stimmrmg versetzen, daß er den
andcrn Morgen den übrigen Familien-Mitglicdcrn
wiedcr liebenswürdig und ihm selbst AUcs im alten
Lichtc erschcint. Da dieses Erperimmt so gute
Früchte getragcn hat, so mtschließt sich die Frau,
dieses crcellmte Mittel öftcrs anzuwcnden und er?
Bci ihm regt fich «ieder die altc Gewohnheit; auch
er findet wieder Geschmack daran, und bald ist es
ein altcr Freund, bald cin nothwendiges GeschLft,
was ihn vcranlaßt, außerhalb der Erlaubnißtage
bic „Kncipe" zu besuchen, obgleich ihm, wie cr zu
Hausc sagt, cigentltch gar nichts daran gelcgcn ist.
Kurz, bald gewvhnt cr sich so daran, daß er eincn
Abcnd als «erloren anschcn würde, wo er nicht im
Wirthshaus etn Glas getrunken hat.
Während der Gatte tm Gcschäft und in der Kncipe
ist, plagt sich die Frau mit dcn Ktndern, zirhb'fie
groß und wird dafür mit dem Titel„Mutter" odcr
„licbe Alte" bclohnt. Schiießlich preist'bcr Ehe-
mann, da mit Ler Versorgung der Kindcr auch das
SechSzehntel wieder stcigt, dcn Ehestand, wie tm
erstcn Jahre seiner Verheirathung und gicbt fich
jedcm alten Jlmggcsellcn, ben er durch eine cnt-
fprechende alte Haushaltcrin zu Tode ärgcrn ficht,
als dcn glücklichsten Ehegatten kund. Aber was
machen denn die Ehemänner im Wirthshaus? höri
ich fragcn. Wcnig. Wmn die Ehcmänner zusam-
mcn kommen, so stnd die ersten Fragen: Was machst
du? «as machm die Kinder und was macht dciäe
Frau? Dic Frau ist natürlich immcr die Ictzt«,
nach der gefragt wird. — Dann wird entweder
Kartcn gespielt, denn wozu wäre dcnn sonst dic'nn-
zählrge Menge von Kartcnspielm erfunden wordm,
obcr es «ird politische Geographie gespielt uüd bie
Staaten nach dem Beispiel eines großen Manries
so untereinander geworfen, daß es ihsten den än-
dern Morgen oft sehr schwer werden würdc, wieder
etne gesttzlichc Ordnung in dte Landkarte zu britt-
gen. Hierzu «ird Tabak gerancht und Bier ge-
Gamstag, 27. Zuli
JnsertionSgebührea für die Zspaltige Petit-
zeile werden mit 2 kr., bezw. 3 kr. berechnet.
L^LL.
O 3« den bcvorstehenden Kammer-
wahlen.
Ein Thkil der badische» Prcffe hat an die
Regierung das Verlangcn gestellt, daß dieselbe
die zweite Kammcr auflöse, iiidem dieselbe »n-
ter dem Druck eines inzwischen gefallenen Re-
gierungsspsteins gewählt, nicht als die wahre
Vertrekerin des badischen Volkes, als das
ächte Organ seines WlÜens betrachttt werden
könne. Ohne das Gewicht der Gründe, welche
für dieses Ansinnen sprechen, zn unterschätzen,
darf man doch nicht verkcnnen, daß gewichti-
gere, näherliegende, realere Gründe gegen
dasselbe vorhanden sind. Es ist wahr, die
zweite Kammer in ihrer dermaligen Zusam-
mensetzung ist ein Erzeugniß des alten Sy-
stems; aber war sie es nicht, die durch ihre
wackere Haltung in der Concordatfrage we-
sentlich zum Sturz des alien Systems und
zur Heraufführilng der nenen Aera beitrug?
Jst es nicht die Masorität von vrei Vier-
theilen dieser Kammer, aus welcher unsere
gegciiwärtlge volksthümliche Regierüng her
vorging? Hat diese' Mehrheit nicht sämiüt-
llche zeitgemäße Gesetze sanctionirt, welche die
jetzige Regiernng ihr zur Befestigung des neucn
Zustandcs der Dinge vorgelegt? Wäre es
politisch klug und schicklich, wenn vie Regie-
rnng jetzt, nachdem all Dics geschehen, gegen
eiutn constitutionellen Staatskörper, der iich
so über alles Erwarten trefflich gehalte», je-
nes Schiller'sche Citat in Anwendung brachte;
„Der Mohr hat seine Arbeit gkthan, der
Mohr kann gehen"? Eine Kammerauflösung
bedeutet eine Appellation der Regierung von
der Volksvertretung an das Volk. Zn einer
solchen aber liegt auch nicht der mindeste An-
laß vor. Thäte Lie Regiekung einen solchen
Schritt, so wäre es, als ob in einem Civil-
proceß die gewinnende Partei gegen das
zu ihren Gunsten lautende Urtheil Berufung
einlegen woüte. Ein solcher Schritt wäre
ein Wiversinn, cin Uuving.
Anderseils aber sind wir weit cntsernt, die
Nothwendigkeit in Abreve zu steüen, daß neue,
frische, belebende Elcmente in den genannten
Staatskörper gelangen. Mit vem noihwen-
digen politischen Gleichgewicht unter den Fac-
toren des coiistitulionellen Staatslebens, mit
der naturgeinäßkn, harmonischen Entwicklung
dcs letzteren, mit ber dauernden Sicherung
der Volksintereffcn ift es unverträglich, daß
der Beamtenstanv in einer an Ausschließlich-
keit grenzenven Ueberwucht in eincr Bolks-
kammer vertreten sei. Wie gern wir die un-
eigennützige, furchtlose, überzeugnngstreue Hal-
tung der großcn Mehrheit dcr dem Beamten-
staude augebörigen Bolksvertreter währenv dcs
letzten Ländtages äncrkennen, so wcnig dürfcn
wir uns der Erkenntniß verschließen, wte hoch
es an der Zeit ist, daß durch den gesctzlichen
Austritt eincs Biertheils dcr Abgcvrdneten
jenem neuen ElemeNte Raum wcrde. Das-
selbe wird vorzugsweise zu suchen sein unter
den jungeren Männern der Wiffenschaft. und
dcr Jndustrie, und Dlejenigen, deren Sache
es zunächst ist, werdcn hoffcntlich nicht gesäumt
haben, zcitig Umschau zu halten nnter der
jüngen und nnabhängigen Znkelligenz des Lan-
des.' Hierunter aber begreifen wir die hö-
here politisch e Jntcllig cnz. Z» Tagcn,
wie sic uns Dcutschen aller Wahrscheinlichkeit
nach bevorstehen, ist dem Volke nicht mit Ver-
tretern gedient, wie sie dic deutschcn Kam-
mcrn bis jetzt in überwiegender Mehrheit auf-
zählen, Männern, dercn Blick nicht allzuweit
über den Horizonk einer bestimmten Bcrufs-
psticht und der Jntereffen ihres Wahlbezirkes
hinausreicht. An ihrcr Stelle bedarf es be-
wcglicher Kräfte, die freien geübtcn Blicks
das Ganze der großen und kleinen Politik
überschaucn, systcmatischer Köpfe, die von all-
geineiNen Principien ausgehenv, alle Dinge in
ihrem'Bezug zu denselben aufzufaffen und zu
wiirdigen vermögcn, energischer Gcmülhcr, die
solche Erkenntlilß practisch zu bethätigen die
Festigkeit, den Opfermuth besitzen. Es bedarf
für die Tage, bie entschkidenb scin werven für
die Geschickc ver Nation, um cs in Kürze zu
sagen: politischer Capacitäten, poli-
tischcr Charactere.
Der Prozeß Mir« s
(Fortsetzung.)
, 6. Jult. Mtrös überretcht hterauf Herrn
Plocque etne Nole mit der Bttte, sie mitzuthetlcn, ehe
er scine Vertheidigungsrede fortsetzt. Herr Plocque ent-
spricht dtesem Wunsche:
Uebersicht der Berlusie, welche dte Catffe tn Folge der
Denunctation des Herrn von Pontalba erlttten hat:
1) Auf. die Pampcluna-Bahn wegen
Realtsation der eingegangenen Ver-
bindltchketten. 3,414,439 FrcS.
L) Auf die türktsche Anlethe aus dem-
selben Grunde. 2,500,000 „
3) Äuf die römtschen Bahnen aus
demselben Grunde. 8,000,000 „
4) Verlust auf dte Kunden . . . 939,638 „
5^ Vermtnderuug dcs Porteseuille-Jn-
haltes. 14,000,000 „
6) Verlust auf die laufenden Rech-
nungen, besonders tn Folge der
Entwerthung der Papiere deS Hau-
seS, auf welche Vorschüffc gegeben
waren .. 12,000,000 „
7) Verfügbarer Saldo . . . . . 8,000,000 „
48,854.077 Frcö.
- 8. Zult.
Beim Beginn der heutigen Sitzung gab -er Präfident
dem Advocaten Leon Duval, Vertheidtger des Grafen St^
meon, Mttglted deS Ueberwachungs-Ausschuffes, daS Wort.
„Zch vertrete" — sagt derftlbe — „einen Ehrenmanü, den
der öffentltche Ankläger, tch mctß nicht, warum, in etne
schmutzige Geschtchte hinetngezogen hat. Tiefe Entrüstuug
erfüüt ihn sctt der Eröffnung diefer Debatten. Der kat-
serliche Procurator hat denselben vorgeladen," ich' ctttre-
hter dtese Vorladung: „„Jm Namen der Herren Solär und
MtreS und für dte Betden zur Last gelegten Thatsachen
verantwortltch, und wetl er der Verthetlung ffctiver, -ntcht
erworbener Divtdenden seine Zusttmmung gab) und end-
ltch, wetl er in den Rechnungö-Abschlüffen dritter Personcn
nachtheilige Ungenautgketten zuließ ... .^"
Herr Mongtnot hat dte Entdeckung gemacht, daß Herr
Graf von Stmeon in der Marseiller Hafenangelegenheit
von Herrn Honorat, dcm Maire von Marseille, 30,00V
Franken empfangen hat. Metn Gott, ich hübe ntchts
gegen Herrn Mongtnot und beabfichtige keineSwegs, ihm
etne Unannehmltchkett zu bereittn, tch mache ihm nut einen
Etnwurf, daß, wenn er die m.it so vtelem Znteressanten
angefüllte Geschichte begann, warum er sie ntcht bts anS
Ende durchführte. Es sind ntcht 30,000 Franken, die er
als von Herrn v. Simeon empfangen zü constattren gehabt
haben würde, sondern 100,000 Franken, uud er hätte
htnzufügen müffen, daß dtese 100,000 Frankeu, gelegener
Zeit, vor nunmehr 1?/z Jahre, zurmkgegrben wurden.
Dte Beziehungen seines Clienten zu der römtschen Etftn-
bahn-Angelegenhett entwickelte Hr. Duval dayin, daß der
Graf zur Zeit 1000 Actien zu 540 Franken verkauft,
dann aber, als er das Steigen der Courft gewahrte, zu
548 bts 550 Franken wieder zurückkaufte, also 12,857
Franken dabet. verlor. Nach dem Gesagten — meint er
weiter — werde man sich wohl ntcht verwundern, wenn
eine hochstehende und mächtige Persölilichkett, der Hr. Se«
nats-Präsident, an den Grafen geschrteben habe: „Jch
zwetste ntcht, daß auS den bevorstehenden Verhanvlungeu
Zhre Rechtfertigung und Zhre Loyalität unverfthrt hervor-
gehen werde."
Laffen Sie unS nun einen Bltck auf die Geschäfte wer-
seu, mtt denen der UeberwachungS-Ausschuß bekannt ge-
macht wurde. Ueber dteseS Terratn, auf dem man mir
zuvorgekommen ist, kann ich leicht htnweggletten. ES han-
delte sich darum, 400,000 MetreS am Meere anzukaufen,
diefts Meer allen Flaggen der Welt durch die Pforten von
Suez zu eröffnen. Niemals unternahm etn Bankier etne
größere Sache. Hr. Mir^S hat aber nun mehr gcthan,
alS es zu unternehmen, er hat es zu Ende geführt, und
dte Erbauung deS Hafens Napoleon tst heute etne vollen-
dete Thatsache. — Herr Duval besprtcht nun der Rethe
nach dte übrigen Sachen, deren Nützltchkeit er bewetst.
„Und wie tst nun Graf Stmeon tn den UeberwachungS-
rath der 6niss6 cles eüemins cks ter gekommen?"
Der Verthetdtger setzt aus etnander, wte Herr v. St-
meon wohl in Handelsbüchern u. dgl. ein Neultng setn
mochte, aber er hatte doch gesunden Menschenverstand, und
dieser sagte ihm, daß er Zutrauen haben dürfe bet Ge-
schästen, die tn der That großarttg, nützltch und frucht-
brtngend waren. „Und was hat denn in Wtrkltchkeit Mirös
gestürzt? Jch denke, wtr wissen das jetzt alle. Es war eine
Combtnatton, dte vortrcffttch war, fich aber als zu schwer/
zu hochgehend für thn ergeben hat; er wollte die römtschen
Etsenbahn-Actien zurückkaufen. Za! Hr. MtröS hatte da
etne schöne Zdee, dte kühn war und Hetl bringen sollte.
Ertnnern Ste sich nicht der Werth-Verminderung' der Actten
unsercr besten Bahnen während der Bauzett? Und Sie
kennen doch auch den heuttgen Werth derftlben. Wohlan!
Herr Mires wollte dteser Werth-Verminderung vorbeugen;
er wollte eS, aber das Glück kehrte ihm den Rücken!"
Mir die Ehrmänner in's Wirthshaus
kommen.
(Schluß.)
Alles dies seranlaßt ihn, scine Mißstimmung zu-
erst durch ein leises Brummen 'knnd zu geben, «el-
ches schlicßlich so stark wrrd, daß die' ohnehin ge-
plagte Frau sich eincs Abends nicht mehr haltcn
kann und in die Wortc ausbricht: „ZeKt höre end-
lich einmal auf, das ist ja nicht zum Aushaltcn!"
Bis hierher wäre AlleS gut, abcr nun kommt noch
„Gehc nur einmal zu Deinen Freundcn, damit Du
auf anbere Gedanten kommst", und somit ist dcnn
dcr Würfel gefallen, das war offenbar gcfehlt;
denn da gcht er hin und wird »on seinen Freunden
und Schrcksalsgcnoffcn mit einem furchlbarcn Halloh
empfangen. Di« allseitige Frage ist nun gieich:
,,Na! «ie ist's?" - „Ach Gott, ich hab's recht fart,
dieses Geschrei, die Kosten" — „Aha! Haben wir
Dir es ntcht gesagt. Sichst Du, Du wolltest ja
nicht hören; wir waschen unsere Hände in Unschulb."
Wenn man die Leute so reden hört, müßte man
glaubm, der Ehestand ist eine Hölle, und doch,
Hand aus's Herz, sind alle MLnner froh, daß sie
ein Weib gmommen und licbe Kinderchen haben.
Was sic aber da sagen, heißtsie der reine Egoismus
rcdm: sie möchten allcrdings die Freuden dcS Ehe-
standeS gcnießen; die Unbequemlichkeitcn und Lei-
den aber gern den Fraucn allein überlaffen.
Doch zurück zu unscrcm Gatten und Vater. Ob-
glcich er's sehr satt hat, so hindcrt thn daS doch
nicht, ein paar Glas Bier zu trinkcn, die ihn in
eine so fröhliche Stimmrmg versetzen, daß er den
andcrn Morgen den übrigen Familien-Mitglicdcrn
wiedcr liebenswürdig und ihm selbst AUcs im alten
Lichtc erschcint. Da dieses Erperimmt so gute
Früchte getragcn hat, so mtschließt sich die Frau,
dieses crcellmte Mittel öftcrs anzuwcnden und er?
Bci ihm regt fich «ieder die altc Gewohnheit; auch
er findet wieder Geschmack daran, und bald ist es
ein altcr Freund, bald cin nothwendiges GeschLft,
was ihn vcranlaßt, außerhalb der Erlaubnißtage
bic „Kncipe" zu besuchen, obgleich ihm, wie cr zu
Hausc sagt, cigentltch gar nichts daran gelcgcn ist.
Kurz, bald gewvhnt cr sich so daran, daß er eincn
Abcnd als «erloren anschcn würde, wo er nicht im
Wirthshaus etn Glas getrunken hat.
Während der Gatte tm Gcschäft und in der Kncipe
ist, plagt sich die Frau mit dcn Ktndern, zirhb'fie
groß und wird dafür mit dem Titel„Mutter" odcr
„licbe Alte" bclohnt. Schiießlich preist'bcr Ehe-
mann, da mit Ler Versorgung der Kindcr auch das
SechSzehntel wieder stcigt, dcn Ehestand, wie tm
erstcn Jahre seiner Verheirathung und gicbt fich
jedcm alten Jlmggcsellcn, ben er durch eine cnt-
fprechende alte Haushaltcrin zu Tode ärgcrn ficht,
als dcn glücklichsten Ehegatten kund. Aber was
machen denn die Ehemänner im Wirthshaus? höri
ich fragcn. Wcnig. Wmn die Ehcmänner zusam-
mcn kommen, so stnd die ersten Fragen: Was machst
du? «as machm die Kinder und was macht dciäe
Frau? Dic Frau ist natürlich immcr die Ictzt«,
nach der gefragt wird. — Dann wird entweder
Kartcn gespielt, denn wozu wäre dcnn sonst dic'nn-
zählrge Menge von Kartcnspielm erfunden wordm,
obcr es «ird politische Geographie gespielt uüd bie
Staaten nach dem Beispiel eines großen Manries
so untereinander geworfen, daß es ihsten den än-
dern Morgen oft sehr schwer werden würdc, wieder
etne gesttzlichc Ordnung in dte Landkarte zu britt-
gen. Hierzu «ird Tabak gerancht und Bier ge-