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Heidelberger Zeitung — 1861(Juli bis Dezember)

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Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.2815#0079

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Der Prozeß Mires

Z- Das Attentat zu Baden -Baden
und die reactionären Denuncianten.

Daß man dcn gcgen den Kömg von Preu-
ßen gerichtetcn Mordversuch, sobald er sich
als Ausfluß eines polttischcn Fanatismus her-
ausgestellt hatte, im reactionärcn Sinne aus-
beuteii wiirde, war der erste Eindruck, den
die Nachrscht von dcr unseligen That anf uns
machte. Nur eines hatten wir nicht erwartet:
daß man es wagen würde, offen und unum-
wundcn die Verantwortlichkeit für das Ver-
brechen eines verblendeten Jünglings irgend
einer Partei zuzuschieben. keider war uiiser
Vertrauen in gewiffe Leute zu gutmüthig; denn
man hat stch nicht bcgnügt, durch geheime Zn-
triguen nnd versteckte Andeutimgen in der
Preffe auf den Zusammenhang der Frevelthat
mit den Bestrebuiigen der nativnalen Partei
leisc hinzuweisen — daß dies geschehen würde,
bezweifelken wir keinen Augenblick — sondcrn
die Schildknappen dcr Reactlvn haben bereits
stch erkühnt — wir wählen absichtlich dicsen
milben Ausdruck — mit dürren Worten, in
der iinzweldeiitigsten Weise die Schuld der zu
Baden-Baden begangenen Frevelthat auf die
Schultcrn der deutschrn Rcsormpartci zu wäl-
zen. Vor uns liegt ein „geachtetes" Organ
von Diplomatcn und »Staatsmännern, die
367ste Nummer der Frankfurter Postzeitung.
Dieses ehrenwerthe Blatt entblödet sich nichl,
die „elendcn Journalistcn" mit harten Worten
anzulassen, „weil ste auf den bkklagenswerthen
jungen Mann noch die Schmach häufen, daß
sie eine berechnetc That politischer Specula-
tivu für den Act krankhaften Blödstnns und
einen Jüngling darum für wahnwitzig erkiä-
ren, weil er den Muth gehabt hatte, aus dem
leeren Schwätzen und Schwärmen zur That
überzugehen." Bemerkeii Sic wohl: in den
Spalten einer conservativen, für vornehme
Kreise geschriebenen Zeitung, müffen wir den
allgemeiii verachteten Meuchelmörder als den
Helden der That gegenüber dcn Schwäch-
lingen des Worts gepriesen schen! Wir wuß-
ten zwar schon lange, daß dic Freundc der
Frankfurter Postzeituiig sich nach rettcnden
Thaten schnen, daß ihnen aber die That
Oskar Beckers als eine svlche erscheincn werde,
die sie ven „leeren Declamationen" des Natio-
nalvereins triumphirend cntgegenstellten, dieß
zu errathen, dachten wir freilich noch lange
nicht schlecht genug Vvn unsern Gegnern. Doch
hören wir, wie das conservative Blatt scine
Anklage gegen den Nationalverein und die
ihm Gleichgesinnten begründct, denn ohne ge-

wichtig« Gründe hätte cs ja mit gutem Ge-
wiffen eiue so schwere Befchuldigung nicht er-
heben können. „Wie, sind denn das nicht
eure eigenen Lehren, ihr deutschen Zünger der
italienijchen Meister, daß in politischen Din-
gen der Zweck das Mittel heiligt, daß Königs-
mord, Eidbruch, Verrath politische Verdienste
sind, wenn sie gelingen? Bildet denn nicht
der Spott übcr das Königthnm von Gottes
Gnaden den ständigen Refrain eurer Ergie-
ßungen?" Es bedarf keiner Worte, um die
niederträchtige Persidie einer gewiffen Svrte
von politischen Egoisten zu characterisiren, wo-
mit sie cine Partei, welche offen, am hellen
Lageslicht für ihr Programm arbeitet, durch
auö der Luft gegriffene Lügen moralisch zu
vernichtcn sucht, — durch Lügen, an welche
sie selbst am wenigsten glaubeir. Nachdem
wir so die „Gründe" kennen gelernt haben,
'welche die Frankfurter Postzeitung berechtigen,
den Nationalvercin «nd seiue Mitglieder, über-
haupt Allc, die für die politische Neugestal-
tung Deutschlands thätig sind, als Urheber
des Köillgsmorbs in die Acht zu erklären, wird
uns der Schluß dcs Schandartikels nicht mehr
wundern: „Ueber die Männcr der gcifti-
gcu Arbeit, welche, zü fetg vder zu klug
zu eigener That, den Umsturz vorbereiten, vie
Beherzten aufstachcln, komme bas
Blul des uuglücklichen Jünglings,
deffen ganzes Verbrechen darin besteht, daß
er das politische Programm einer Partei aus-
zuführen, den Gang der zerstörenden Thätig-
keit zu beschlcunigen verjuchte." Wir erin-
ner« uns nicht, jemals in einem politischen
Organe einen so schamlosen Angriff auf po-
Ittische Gegner gefnnden zu habcn, als er hicr
mit Wuthgehenl und vcrgifteten Waffen vor
Aüer Augen ausgeführt wird. Fast scheint
es, alS ob die, Herolde der Reaction bereits
an den Sieg ihrer guten Sache glaubten, da
sie mit svlchem Kriegsgebrüll ihre Feinde an-
fallcn. Wir hvffen inbeß, daß ihre Sieges-
freude vcrfrüht ist; wir können uns nicht über-
reden, daß KönigWilhelmder Mann ist, derdurch
ben ifolirtcn verrückten Streich eineS Sluden-
ten bestimmt wcrden könnte, sich einer Partei
zu nähern, die gerade durch die unnennbare
Art, wir sie ein durch ganz Deutschland als
Nqtivnaluiiglück beklagtes Ereigniß in ihrem
sclbstsüchtigen Znteresse verwerthen möchte, die
Berachtung nicht allein ihrer Gegner, sondern
aller ehrlichen Leute verdient hat.

(Fntsetzung.)

Paris, 4. Juli. Foffp, ebenfalls Commis
im Hause Mires: Herr Monginot kam ins
Conto-Correnten-Bureau, wo wir zu Vieren
waren. Er sagte: Ja, ich bin der Sachver-
ständige, d. h. das giftige Thier, dazu aus-
ersehen, alles hervorzusuchen, was Herrn
Mirss verderbcn kann, und das, was bie
Wahrhert ist, im Dunkeln zu laffen. Dei;
vierte Zeuge bringt dieselben Worte in den-
selben Ausdrücken vor.

Präsident: Dieses ist abgemacht. Wenn
Herr Mathieu krank ist, so werden Sie, Herr
Plocque, wohl plaidiren.

Die Sißung wirb bis Freitag um 12 Uhr
vertagt.

Nachschrift. Nach dcm Schluffe der Ge-
richtssitzung (2^/, Uhr) herrschte reges Leben
lin 8sllo cke« PÄ8 perckll» des kllllli» cko gustivs.
Zahlreiche Gruppen hatten stch dori gcbiloet,
um die verschiedenen Vorfälle zu bcsprechen,
zu denen der Mires'sche Proceß seit gestern
Anlaß geboten hat. Man ergriff Partei für
unb wider den Angeklagten, sür und wider den
Sachverständigen Mvnginot. Man bestritt sehr
stark die Richtigkeit der Aussagen der vier
Zeugen, bie Monginot in einem so sonder-
baren Lichte habe erscheinen laffen. Viele glau-
ben, baß man ven Zeugen ihre Aussagen
einstudirt habe, weil sie alle das Nämliche in
den nämlichen Ausdrücken sagten. Ferner er-
zählte man, daß der Vertheidiger, Advocat
Mathien, deffen Unwohlsein bekanntlich die
Vertaguiig des ProceffeS auf nächstcn Freitag
zur Folge hatte, nach der gestrigen Sitzung
eine sehr lebhafle und heftigc Discussion mit
Mires gehabt habe. Schon unwohl, habe ihn
diescs so aufgeregt, daß er stch bei seiner
Nachhausekunft sofort habe zu Bctte legen
müffen. Jm Palais glaubte ma» nicht, daß
er biS Freitag wieder hergestellt sein werde.
Jn diesem Falle wird Advocat Plocque die
Vertheidigung des Herrn Mires übernehmcn.
Hcute Abends um 7 Uhr war die Menge im
Jnstizpalaste noch immer groß. Jedermann
will Neuigkeiten über den Proceß habeu, der
jeßt ganz Paris allein beschäftigt.

— 5. Zuli.

Bei Beginn der heutrgen Sißung verlangt
in Abwesenheit des Advocaten Mathieu dcr
Vertheidiger Plocque, daß Mires einige Be-
merkungen machem dürfe. Der Präsident ge-
stattet bies, und gibl hierauf dem Vertheibi-
ger Plocquc das Wort.

Frangosenherrschafi.

Von F. Fricdrich.

Es war gegen die Mitte November des Zahres
1809.

Jn Kaffel wurdcn großartige Vorbereitungen ge-
troffen, um dcS Königs Hicronymns Gcburtstag,
der auf den 1b. Nvvember fiel, in aiisgedehntester
Weise zu feicrn.

Der sogenanntc NapolconSplatz wurde mitFestons
und Laubgehängen verziert, Masten wurden crrich-
tct, die crklcttert wcrden svllten, Buden mit Eß-
waaren und den verschicdcnartigsten Sachen «urdcn
erbaut, dcnn auch das Volk sollte an des Königs
Gcburtstagsfcier Theil nchmen und dies war das
einzige Mittcl, um cs hcrbeizuziehen, da es mit
Gcwalt nicht zu dieser Feicr getriebcn «erdenkonnte.

Vielc Tausende kostete jcde solcher Fciern, wclchc
die Stadt Kaffcl und daS ausgesogcne Land be-
zahlen mußten. Dafür standen abcr in dcm «est-
Phalischen Möniteur ausführliche Berichte über dcn
Glanz nnd die Begeisterung, mit «elcher das Volk
seineS geliebten Königs Jerome Geburtstäg gefci-

rrt hätkc. Das Volk selbst wußte freilich von dicser
Liebe nichts, aber es stand im MoNiteur, von dem
dte bctreffenden Nummern nach Paris zum Kaiser
gcschickt «urden;»das genügte.

Am Abend des zweitcn Tags vor dem 15. No-
vcmber saß der Rath von Linden mit seiner jungen,
blühend schönen Frau in seinem Zimmcr. Zwei
Kindcr von ungefähr fünf und drei Jahren spielten
neben ihnen, sie waren der Aeltcrn größte Freude.
Stundenlang konnte Lindcn an Sonn- und Fest-
tagcn dem Spiel der Kinder zuschauen.

Er sclbst war ein ruhiger Character. llm so
mehr inußtc es befremden, daß er heute aufgeregt,
seine Kinder kaum beinerkend im Zimmer auf- und
abschritt. Er war am Nachmittage dicscs Tagcs
Zeuge cincS Auftritts gewefen, den er soeben seiner
Frau erzählt hatte und durch welchen sein Blut auf's
neüe in Aufregung gekommcn war. Der König,
dcr von sich gesagt hatte, er «erde sein Volk zwin-
gcn, ihn zu licben, war am Nachmittage spaziercn
geritten. Ein alter greiser hessischcr Jnvalidc, der
mehrmals vcrgebens um eine klcine Pension gebe-
ten, hatte sich dem König mit cntblößtem Haupte
genaht, um seine Gnade anzurusen. Der König

hatte des Alten Worte nicht verstanden, da sie in
deutscher Sprachc an ihn gerichtet waren, aber är-
gerlich, in der llnterhaltung mit xiner ihn beglet-
tendcn Dame gestört und von Jnvaiiden vcrfolgt
zu werden, hatte er den Greis mit dcr Reitpeitschc
so heftig in's Gesicht geschlagcn, daß ihm das Blut
aus Nase und Mund geströmt war. Dcr altc Zn-
valide war halb ohnmächtig zurückgetaumelt. Selbst
des Königs Begleiter «aren übcr dcs Königs Roh-
heit'entrüstct gewcsen, dennoch hatte keincr von
ihnen gewagt, dem Alten zu Hilfe zu springen.
Der König war weiter geritten. Ltnden hatte aus
ciner Entfernung allcs geschcn. Er war zu dem
Altcn geeilt, hatte ihn nach HauS gebracht und eine
reiche llnterstützung gcgeben; aber die schmachvollc
Handlung hatte cr nicht ungeschehen zu machcn ver-
mocht. Diese That war es, die ihn in Aufregung
gebracht hattc. Mit Abscheu dachte er an sie zurück.

„Der rohestc Mensch würde etnen Grcts ntcht
schlagen!" sprach seine Frau.

„Nennc ihn nicht Mensch!" unterbrach ihn Lin-
den noch voll Zorn, „mit dem Namen hat er nichts
gcmein! Gott mag wiffen, wic lange dte Schand-
thaten dieses-noch ungestraft hleihen soüen!"
 
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