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Heidelberger Zeitung — 1861(Juli bis Dezember)

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Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.2815#0075

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Airfruf

Z«r »ationalcn Vrrtretung Deutschiands auf drr
Knndnner Kuust- nnd Industrie-Ausstelinng.

Gibt es cme prcußische und österreichische,
baperische und württembergische, sächsischc und
hannovcr'sche, badische oder hanseatische Kunst?
Wir antworten: Reini Aber es gibt eine
deutsche Kunst voll hehrer Genialität, voll
geistiger Kuhnheit und Kraft, voll Tiese und
Steichthum Ves Gemüths. Die Meister, welche
a» den Kunstmusecn und Kunstschulen von
Berlin und Dresden, Wien und München,
Karlsruhe und Düffeldors schaffen und lehren,
stnd Deutsche aus aller Hcrren Länd'ern, die
sich als Angehötige einer und derselben Nation
sühlen, die für diest Nation arbeiten und die
den künstlerischen unb literarischen, leider
nicht auch den politischen, Nuhin dicser Nation
weit über die Grenzen des grvßen gemein-
samen Laterlandes hinaus über die fernsten
Meere tragen. Und diese herrliche deütsche
Kunst wird dem bevorstehenden großen inter-
nationalen Wettkampfe in London namenlos
oder höchstens im buntscheekigen Aushänge-
schilde von mehr als dreißig verschiedenen
Staatswappen der verelnten englischen, sranzö-
sischen, italienischen Kunst gegenüber lreten,
wenn das deutsche Volk nicht rechtzeitig seine
Stimme erhebt, daß Deutschland alS ein
Ganzes auf der Londoner Weltausstellung
auftrete, daß in dem Riesentempel, welcher in
der Weltstabt für die Kunst unb ZnbustM
aüer Culturvölker ausgerichtet wird, eine
große Abtheilung für Deutschland gebildct uud
alle Aussteüungen aus dem dcutschen Bundes-
gebiet unter der Oberleitung einer gemein-
>amen deutschen Commission aufgestellt werden.

Gewiß die meisten Deutschen, welche cine
der beiden großen Weltausstellungen in London
und Paris besucht haben, werden daselbst
deim Anblick der Zersplitterung unseres Vater-
landes ein schmerzliches Bedauern eiypfunden
haben. Bei allen derartigen Aüsstellungen ist ge-
rade der erste durch Maffenhafligkeil u.Mannig-
faltigkeit hervorgerufenc Tvtaleindruck von der
höchsteii Bedeutung. DerBesucherfühltsichmeist
erst dann, wenn ihm das große Ganze einer
Abtheilung imponirt, zu einer näheren Prü-
fung der einzelnen Leistungen veranlaßt. Wie
war cs in bieser Hinsicht 1851 und 1855 in
London und Paris mit Deutschland bcstcüt?
Da wo ein deutsches Bauner häkte wchen
sollen, trat man in ein gevgraphisches Labp-
rinlh, i» dem sich kaum eln Deukscher, ge-
schweige denn ein Krcmder zurechlfaud. Man

sah allerdmgs viek tüchtige Kunst- und Jndu-
striegegenstände, als: preußrsche, österreichische,
ivürttembergischc, sächsifche Erzeugniffe auf-
gestellt, ader von Deutschland war keine Rebe,
und die große Mehrzahl der Engländer und
Franzosen, welchc alle Doppelbegriffe Veutscher
Bennungen meist nicht verstehen, hat gemeint,
es sei aus Dcutschland nichts dagewesen. Da
nun ein Hauptzweck jeder Weltaussteüung da-
hin geht, bem Besucher ein Urtheil zu er-
möglichen, wie die großen Natjonen in ihrcn
Leistungkn auf dem Gebiete der Kunst und
Jndustrie je nach Tüchtigkeit, Menge und
Mannigfaltigkcit im Range zu einander stehcn,
so mußte natürlich das Urthcil ungünstig für
die deutsche Nation ausfallen, weil sie als
solche überhaupt nicht vorhandcn war, svn-
dern in breißig verschiedene Abtheilungen aus-
einander siel.

Wer das deutsche Nakionalgefühl im Jahre
1862 vor ähnlicher Demüthigung bewahren
und dem deutschen Gewerbefleiß seinen ge-
bührenden Platz unter den großen Nationen
der civilisirten Welt sichern will, der strebe
nach einer Gesammtvertretung Deutschlands
auf der Londvner Zndustrieaussteüung. Die
materiellen Znteressen beherrschen heutzutage
bie Wrlt unv geben auch für die Politik den
AuSschlag. Die Arbeit ist die Grundlage
aller Cultur, alles Wohlstandes und mithin
auch der politischen Bedeutung jedes Volkes.
Sehen uns dic Engländer nur erst auf dem
Gebiete der Arbeit vercinigt zu einem ach-
tunggebietenden Ganzen, so werden sie dadurch
beffer als burch Hunderte von Roten und
Büchcrn unv Zeitungsartikeln enblich darübcr
anfgeklärt werben, baß Deutschland mehr ist,
als cin geographischer Bcgriff, baß es sich
mcht blos in der Welt der Zveale, sondcrn
auch auf realem Boben als ein cinziges
großes Ganze fühlt unb als solches ben
großen Nationen, mit dencn es rivalisirt,
Achtung abnöthigen will.

Offenbar kann für den Fall dcr Vereinigung
aller Bunbesstaaten auch die ganze Anord-
nung für die gesammte veutsche Ausstellung
weil großartiger, geschmackvoller und billiger
hergerichtet, unb daö Jntereffe jcdes einzelnen
Ausstellers weit besser gewahrl werden, wenn
eiue deutsche Centralkommiffion die offiztelle
Verlretung dcS GesammtvaterlandeS über-
nimmt.

Es stehen in ben nächsten Monaten große
Wanderversammlungen deutscher Künstler und
Techniker, deutscher Nakursorscher und Chemi-
ker, deutscher Volkswirthe unb Lanbwirthe

bevor. Mögc dort ein jeder Theilnehmer
dafür wirken, daß die Erzeugniffe dcs deut-
schen Bodeus, die Productc der deutschen
Technik unb Gewerbthätigkeit, die Schöpfungcn
der beutschen Kunst von der namenlosen Rolle,
welche sie bisher fremden Nationen gegenüber
spielten, endlich erlöst werden, und daß wir
in dem Wettkampfe mit andcrn Völkern unter
einem gcmeinsamen Banner auch wirklich als
das auftreten, was wir sein wollen — näm-
lich deutsche Arbeiter mit Kopf und Hand
unv Herz! (Br. Bl.)

Der Prozeß Mirvs

(Fortf-H-iig.)

Paris, ck. Zuli. Präsident: Können nichk
einigc Abvocatcn ber Mitglieder des Ueber-
wachungs-Ausschuffes das Wort ergreisen?
— Advocat Marie: Dieses ist unmöglich;
wir kennen nur einen Theil der Angriffspuncte,
auf die wir zu antworten habe» wcrben.

Plocque: Zch habc eine Pflicht zu crsüllen,
Herr Präsivenl: ich muß auf die Bernehmung
der Zeugen des Herrn Mirss bestchen, der
darauf hält. Zch bin also genöthigt, einen
Antrag zu stellen. — Präsident: Gut! redi-
giren Sie ihn.

Mirss: Jch habe cinige Bemerkungen zu
machen. — Verth. Plvcque: Erlauben Sie,
Herr Mires; wir suchen Jhren Wunsch
auf gesetzliche Weise in Ausführung zu
bringen.

Mirös: Jch will nur cin Wort sagen.

Das Tribunal suspenbirt die Sitzung. —
Mirss: Mcin Zweck war, zu vermeiden, auf
andere Weise, als burch bas Tribunal selbst,
zur Oeffentlichkeit zu gelangen.

Das Tribunal zieht sich in die Rathskam-
mer zurück.

Der Vertheidiger Plocque redigirt seincn
Antrag und übergibt ihn dem Tribunal. Der-
selbe lautet, wie folgt:

„Zn Erwägung, baß in der gestrigen Si-
tzung Namens der Staatsbehörde die Erklä-
rung abgcgeben wurbe, daß selbst bei dcr dcr-
malen vorgeschrittcnen Procedur dem Beschul-
digten jedes Rechtsmittel zurVerfügung bleibe.

„Zn Erwägung überbies, taß bic Debat-
ten bis zu diesem Augenblicke nicht als ge-
schloffcn betrachtet werden können, die Schlie-
ßung berselben auch noch nicht ausgesprochen
worden ist, baß ferncr bei einer zuchtpolizei-
lichen Sache die Debatten nur durch daS
Schlußurtheil gcschlvffen werden können, und
bis dahin dem Gerichte jebe Aufklärung, sei

Ein Wirnrr Gauncrstiickchrn.

(Schluß.)

„Nein", rief sie dann aus, „das hätte ich mlr
nicht vermuthet; ich bin doch schon vicle Jahre bei
Zhnen."

Der Hausherr dlieb kalt. —„Hörc mich an, Ur-
sula", sprach er, „wenn Du wirklich von der gan-
zen Geschichte nichts «cißt, so wird es sich auf der
Polizei bald zeigen, andcrö helfen kann ich Dir
nicht." — Sprach'S, ging zur Thür hinaus und
schloß sie ab — ürsula blieb zurück, schluchzend und
weincnd. Bald jedoch kam cr wieder, tn Beglei-
tung eines Civilwachmanncs, der schon »on allem
unterrichtet war, und llrsula mußte mit auf die
Polizei, jcdoch in einem Comfortable, — die letzte
Gnadc, die Herr v. Mayer ihr gewährte.

Acht Tage waren vergangen, die Sache wurde
stadtbckannt, und unter Allen, welche die armc
Ursula schuldig fanden, war — die Fräu Gevat-
terin die erste.

„Ja, ich hab' mir's immer gedacht", sagte sie zur
Greißlerin, ,,Fr»u Ursula ist zwar oft zu mir ge-

kommen, allein man kann doch einen Menschen
nicht hrnauswerfcn — fie hat tmmer etwas in ihrcm
Bulen (sit venia verbo) vcrborgen gchabt; der
Haushcrr, dcr Geizkragen hat auch sonst Riemanden
bei sich geduldet und darum hat sie immcr so viele
Stücke atif ihn gchalten. So, jetzt hat er's." —
Diese und ähnltche Reden circulirten, währcnd dcm
Ursula in- dcr llntersuchungshaft blieb, litt und
weinte.

Der Hausherr hatte noch keineu andern Dienst-
boten aufgenommcn, cr traute nicht, er blieb lieber
allein und der Hausmeister mußte deffen Geschäfte
vcrrichten.

Da klopfte es eines schönen Tages an seincr Thüre.
„Herein", rief cr voll Schrcck und fuhr auf. — llnd
herein trat ein unbekannter Mann, anständig ge-
kleidet, mit lächelnder Miene.

„Habe ich die Ehre mit Herrn v. Mayer? —"

„Zu dienen, das bin ich, dcr Hausherr, was
«nnschcn Sic?"

„Hm, kenncn Sic dicse Uhr?"

„Wie, was, mcine Uhr? Wahrhaftig mcine Uhr!"

Dcr Frcmde griff wieder in die Seitentasche.

„Kcnnen Si« vielleicht diese Brieftasch«?"

„Sind Sie vielleicht von der Polizei oder ein
Spitz-?"

„Mein Herr, ich bin weder von dcrPolizei noch
bin ich der Spitzbube, aber crlauben Sie mir, daß
ich mich erkläre."

Der Hausherr drückte die erschnte Brieftafche an
seine hochklopfendc Brust und erwiderte: „Erzählen
Ste, ich paß' auf."

„Vor allcm bitte ich tausendmal um Entschul-
digung wegen des schlechten Spaffes, den ich mtr
mit Zhnen erlaubte."

„Was ncnncn Sic eiuen schlechten Spaß?" er-
widerte der Hausherr, der mit zweifelhasterMiene
seine Brteftasche anfah.

„Erlauben Sie, daß ich weiter erzählc, und Sie
«erdcn den Spaß verstchen. Vor einigcn Tagen
saß ich und cinc Gescllschaft bekannter Herren tn
der NLHe von hier bcim goldenen***." Die Rede
kam auf allerlei Diebstähle, sogar Mordthaten, von
denen man heut zu Tage hört, bis endlich Jemand
auS dcr Gescllschast erwähnte, die hicfigen Dicbe
«ären ntcht so schlau, wie die Londoner und Pariser,
von dercn Gaunerstücken man so viel Pikanteö und
Witziges hört; man fände hier nur Diebe der ge-
 
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