27«.
Srfchtiüt, MMtagS ausgenommen, taglich.
Preis- vierterfährlich 54 kr.
Samstag, 23. November
Insertiollsgeöühren für dit 3spaltige Petit-
, zeile werden mit 2 kr., bezw. 3kr. berechnet.
L8«L.
C Die Krifiü i« Preußen.
I
Zst dic gegenwärtige Wahlbeweguiig in
Preußen an sich schon cin sehr intekcffäntes
und impvnirendes Schauspiel, se!hst Vann, wenn
wir von weiteren Bezi'ehungen gänzlich ab-
seheN, so gewinnt dreselbe noch eine um so
größere Bedeutüng durch die Wirkllngen, die
ste nicht nur auf Prcußcn, sondern wahrschein-
kich auf ganz Deulschland ausüben dürfte.
Denn von den jetzigen Vorgängen iu Preußen
hängt cs offcnbar ab, ob in die so unklare
Lage Dcutschlands irgend einc Entscheidung
zum Bcsseren kommt, oder ob wir noch
länger in der gegenwärtigen Situation ver-
harren, oder endlich, ob wir wieder mehr
oder weniger rückwärts schreitcn. Trilt
der zweite dieser Fälle dann cin, wenn die
Wahlcn tn ihrer Mehrheit rm conservativ-li-
beralen vder ministeriellcn Sinne ausfallen,
so ist dagegen die Möglichkeit' der beiden an-
deren Fälle durch einen Sieg der sogenanntcn
Fortschriitspartei gegeben, indem ein fvlcher
unter den bestehenven Verhältuiffen ebenso
leicht Fortschritt als Rückschritt bedeuten dürfte.
Denn es ist wvhl kcine Frage, daß die sogc-
nannte Fvrtschrittspartei, wenn sie auch wirk-
lich das Minifierium nichk zu stürzen beab-
sichtigt, dasselbe doch sowohl bezüglity der in-
neren, als auch ver äußeren Politik möglichst
vorwärts drängen will. Es sollke nach ihrer
Jnteiltion offenbar nicht nur mit der Umge-
staltung des Herrenhauses, rnit ver Ausmer-
zung reaktionärer Elemente in der Beamten-
wrlt ein größerer Ernst entwickelt, sondcrn
auch dic deutsche Frage endlich cinmal in
Angriff genoinmen werven, abgesehen davon,
daß auch noch hinsichtlich der Heeresorganisa-
tion eine Differenz zwischen der ministeriellen
und der demvkratischen Partei obherrschen mag.
Aber wie, wenn der König einem Wahlsiege
der lctztercn keine Rechnung trüge; ja, wenn
imGegentheil dann eben derangedrohte„Bruch"
einträle? Jn diesem Falle würde nothwendig
ein Ministerium der Rechtcn das Rudek er-
greifen, und das preußische Staatsschiff ebenso
schr »der noch niehr wicder rückwärts se-
geln, als es seit einigen Jahren vorwärts
gegangen war. Wenn wir nun fragcn, welche
von diesen vrei Alternativen am ehcsten mög-
lich sei, so ist die letzte, nämlich der Umschwung
im reaktionärcn Sinn, viclleicht wahrschein-
licher als man glauben möchte. Denn der
König hak sich einmal eine feste Grenze ge-
steckt, über die hinaus cr sich absvlut nicht
drängen kaffcn will. Er scheint zu dcm in
dem Jrrthiim befangen zu sein, als ob die
sogenannte demokrätische oder Fortschrittspartei
noch ganz die nämliche, wie im Jahre-1848
wäre, daß sie, wenn auch nicht äuf cine Re-
publik, io döch auf cine wesentliche Schwä-
chling der Krone hinarbeite. Daß aksr dcr
König in letzterem Punkte nicht mit sich spüffen
läßt, wer will es leugnen? Die handgrcifliche
Züustration zu der Krönungsrcde möchte vicl
eher gegebell werden, als Manchem lieb scill
dürfte. Unv cs könnte sich nur zu bald zci-
gen, daß dieselbe noch viel mehr Politik, als
Religion enkhalten habe. Odcr habcn diejeni-
gen nicht Recht gchabt, welche jene Rede da-
hin deutetrn, daß sie eine Demonstration gegen
die demokratischc oder wahrhaft constitutionelle
Partei sei, d. h. gegen diejenige Partei, welche
in Preußen ein eigentlich parlümenta-
risches Spstcm begtüiiden möchte, welche
also dafür hält, daß nicht nur das Laiid mit
dem Könige, sondern auch der König mit dem
Landc gehen, beziehungsweise dem geseßli'chen
Ausdtuck der Meinungen und Wullsche des
Landcs. auch dann nachgeben sollte, wenn ste
auch etwas gegen seine persönlichen Absichten
glngen? Allerdings ist die Rcgierung des Kö-
nigs immerhin eine liberale. Aber doch nur,
weil eben der König es so wollte. Allerdings
betont. er bei jcder Gelegenheit die Nothwen-
digkeit, vaß KrvNe und Lattd in Einheit und
EiNigkcit zusammengehe. Abet er scheint dies
doch nur so zu verstehen, daß das Vvlk mit
ihm, also nur soweit, als er, gehe. Der König
will demnach illillicr, bezuglkch dcr inneren rmd
äußcrcii Politik, die volle Znitiakive habcn,
und immer als die Alles bestimmcnde Macht
dastehen, der sich vas Volk mehr nur anzu-
schmiegcn hätte, als daß es, wie es z. B. in
England und Belgien der Fall ist, der Regie-
rnng seine Politik aufnöthigte.
So niuß denn dic nächste Zeit erst den BcweiS
liefcrn, ob ein constitutionelles Leben in Preu-
ßen bestehe, vder ob das Spstcm nur cin per-
sönliches seü Mit der Phrase, daß ja der
König die Coitstitution beschworen habe, und
er den Eid gewiß halten werde, ist blutwenig
gcsagt. Wir AUc wiffen jä nur zu gut, was
m.in mrt einer Verfaffung machen kanu, ohne
daß uiaü nur Einen Buchstaben davon ver-
letzc. Gerade deshalb sprechen wir von einer
Kri-fis in Preußen, weil die nächstc Zeit
es zeigell muß, ob dic Cvnstitution dasclbst
eine Wahrhcit, oder nur ein Schein sei, ob
sie dem Volk die Macht gebe, auch dann seine
Wünsche zur Geltung zu bringen, wenn fle
Nicht gerade im vollen Einklangc mit dencn
der Krone sind, oder ob die Verfaffüng nur
dazu da sein sollc, die Jntentio.Nen der Kröne
zu uüterstützen, ohnc dem Völke eiNe selbst-
ständige Bühn zu ermöglichell. Es liegt
klät zu Tüge, daß da von keinem constitütio-
nellen Leben die Rede sein könnte, wo dem
Vdlke nur die Wahl gelaffen wäre, entweder
zwischen dieser Unterstützung oddr eiNem Bruche
mit der Krone, wo es nicht einmal in eitt-
zelnen Fragen einer voü der Anstcht der
letzteren abweichenden Anschauüng praktische
ANerkennitng zu verschaffen bcrcchtigt sein
sollte, währeüd doch die G ruüdpriNcipieu
des Staates gänzlich außerhalb bes Staakes
bleiben. Ans diesem Grunde ist die gegen-
wärtigc Wahlbewegung von gerädezu vitaler
Bedeutung, sowvhl für Preußell, wic für das
übrige Deutschland.
Derltschianp.
<? Vom Neckar, 21. Nov. Nachdem
seit der Aufsehen erregenden finanziellcn Äen-
dernng im Schooße des Tuilerienkabinets eine
Reihe von Tagen umfloffen, und hierdurch
Zeit geboten ist, die "zu Grunde liegenven
äußeren Thatsachen und deren innere Mon've
mit Ruhe und Sorgfalt zu prüfrn und zu be-
achten, werben, namentlich im Brreiche dcr
deutschen und englischen Preffs doch, viele.
Stimmen laut, wclche iN jener Modification
mehr oder weniger nur einen neuen, Effect
errcgenden Coup des Buonapartismus nnd
durchaus nicht unbedingt eine fichere Gewähr«
leistung für einc daucrnde Friedenspolitik er-
blicken woüen. So viel ist sichcr, daß Na-
polcon III. nicht in dem Maaße, wie man
bishcr noch hänstg glaubtes die Lage der Dinge
in grankreich, wie in Europa übrrhaupt in
seiner Gewalt hattc, daß er vielmehr nur
allzu oft von den Verhältniffen selbst getrieben
und geschoben wurde. Auch so viel steht
fcst, daß von den zwei RichtungeN, welchc
stch am kaiserlichen Hofe bis jetzt gegcnüber-
standen, und wechselseitig um dcn Vorrang
bekämpften, der friedlich conservativen und
kricgerisch revvlutionären (wclche Letztere Per-
signp und dcn Prinzen Napolcon zu ihrcn
Häuptern zählte), für jetzr die Erstere im
Rathe des Kaisers gesicgt hat. Ob auch im
Herzen deffclben und ob für längere Dauer,
cheses wirv wohl kaum der Mann an der
«Seine selbst mit völliger Zuversicht, geschweige
denn ein anderer Sterblicher bcjahend bchaup-
tcn woüen. Wie leicht kann in Jtalien und
Die Bettlerm an der Rialtobriickc oder vcne-
tiamsche Justiz.
Novelle von Feodor Wehl.
(Fortsetzung.)
„Wir laffcn Vittore Dandolo äuf Schritt und
Tritt bcwächen", uicldete er thr; „wir werdm ihn
in diescn Tagen auf trgend eine Art von Dir ent-
fernt zu halten wiffen, und wcnn Dn durch Einen
der Unscren ein Stück blaues Papier zugesteckt et-
haltst, so mache Dich gleich auf und kommc zur
Rialtobrückc, wo Du in die Gondel steigen magst,
aus der Du nach der Seitc dcS Ufers zu cin «eißcs
Tuch heraushängen schen wtrst. Eine Unterreduirg
von einer Viertelstunde wird genügen, unS zu vcr-
ständigen und uns die nvthtge Uebcreinkunft füt
die baldige Flücht treffcü zu laffen.
Da allc meine Bitten nnd Bcschwörungen Nichts
hclscn, schrieb Domenica zurück, und Sic, Unglück-
seliger, durchaus Zhr Verdcrbcn wollen, so sci eS
dcnn! Jch werde auf das vcrabrtdete Zeichen kom-
mcn und Sie schen. Ach, ich wciß cs, es wird zum
letzten Male sein. Jch blicke in eine Zukunft voll
Biut, Mord und Verzweistung. Wenn Sie Er-
barinen mit einer Unglücklichen haben wvllen, so
geben Ste daS Zeichen nicht, so retsen Sic, und
dcr Segen deS Himinels möge mit Jhnen und Jhrem
FreuNde scin!
Jean d'Anbign» hörte auf diese WarnuNg nicht;
die Gluth und Heftigkeit setner Letdenschaft «ar
st grvß; daß er darübrr alle BesinNung »erlor und
aus DomeNica'S Bricfen nicht einmal dic Zwet-
dcutigkeit hcrauSmerkte, mit der darin fast imirler
die bciden Freundrzusammcn erwLhntwUrdcn. Die
DenetianeriN wüßte augenscheinlich nicht, wer Aean
d'Aubigny uNd wer dcr Fürst von Craon war. Aus
drm Ton und Mystcrtösen Rückhalt threr Briefe licß
sich schlicßen, das ihr Herz für den Einen mehr als
den Anderii spreche. Wclcher vöckBeiden aber wär
der Glückltche?
Iules dc Eraön, als cr die Briefe der ltnglück-
licheN las, legte sich im Sttllen dicse Frage vor.
Jn der Seele seincs Freundcs dagegcn unterlag cs
keinem Zweifcl, daß er Derjentge sein müffc, dcm
daS Herz der VenctiancrlN zugehöre, und da diescr
Glsnbc oder dtese Voraussctzung fich so fcst tn ihm
gestaltet hatte, daß sein Reisegefährte b'efürLten
mnßte, durch GrschüttcrNNg derseiben thn um Ver-
stand und Lcben zu bringen, so restgnirtr er, der
Zcit und Domenica sclbst Aufklärung und Ent-
scheidung überlaffend.
Nach cin paar Tagen, während wclcher die Spione
Vittore Dandolo unauSgesetzt auf den Fcrfen gc-
wesen waren, erfuhren die Franzoscn, daß Zencr
mit ctntgen Andern seineS Gelichters in einer cnt-
sernten Lagunen-Taverne eine große Orgie zu bc-
gehcn in Absicht habe. Natürlich ward nun augeN-
blicklich scstgesetzt, daß während dieser Zeit Zean
mit Domenica die verabrcdcte Zusammenkunft in'
dcr Gondel habcn sollte, und zu dicsem Ende dteser
das verabredete blaue Papier gcsendct.
Die Freunde waren übcrcingekommen, daß in dic
Gondcl mit dem herauswehendcu weißen Tuchc Zca»
d'Aubigny steigen und darin Domenica Delfino er-
wartcn sollte, während Iules de Craon in einer
zweiten Gondcl jener zu folgen und fie zu bewa-
chen habe.
Es war spät gcgen den Nachmittag hin, als dic
Gondeln an der Riva der Rialtobrücke bereit stan-
den, und Domentca tief »erschleiert und zitternd
in die mit dem weißen Tuche bezeichnetc einstteg.
Als fie Zean d'Aubigny uuv nicht JuleS dc Lraon
Srfchtiüt, MMtagS ausgenommen, taglich.
Preis- vierterfährlich 54 kr.
Samstag, 23. November
Insertiollsgeöühren für dit 3spaltige Petit-
, zeile werden mit 2 kr., bezw. 3kr. berechnet.
L8«L.
C Die Krifiü i« Preußen.
I
Zst dic gegenwärtige Wahlbeweguiig in
Preußen an sich schon cin sehr intekcffäntes
und impvnirendes Schauspiel, se!hst Vann, wenn
wir von weiteren Bezi'ehungen gänzlich ab-
seheN, so gewinnt dreselbe noch eine um so
größere Bedeutüng durch die Wirkllngen, die
ste nicht nur auf Prcußcn, sondern wahrschein-
kich auf ganz Deulschland ausüben dürfte.
Denn von den jetzigen Vorgängen iu Preußen
hängt cs offcnbar ab, ob in die so unklare
Lage Dcutschlands irgend einc Entscheidung
zum Bcsseren kommt, oder ob wir noch
länger in der gegenwärtigen Situation ver-
harren, oder endlich, ob wir wieder mehr
oder weniger rückwärts schreitcn. Trilt
der zweite dieser Fälle dann cin, wenn die
Wahlcn tn ihrer Mehrheit rm conservativ-li-
beralen vder ministeriellcn Sinne ausfallen,
so ist dagegen die Möglichkeit' der beiden an-
deren Fälle durch einen Sieg der sogenanntcn
Fortschriitspartei gegeben, indem ein fvlcher
unter den bestehenven Verhältuiffen ebenso
leicht Fortschritt als Rückschritt bedeuten dürfte.
Denn es ist wvhl kcine Frage, daß die sogc-
nannte Fvrtschrittspartei, wenn sie auch wirk-
lich das Minifierium nichk zu stürzen beab-
sichtigt, dasselbe doch sowohl bezüglity der in-
neren, als auch ver äußeren Politik möglichst
vorwärts drängen will. Es sollke nach ihrer
Jnteiltion offenbar nicht nur mit der Umge-
staltung des Herrenhauses, rnit ver Ausmer-
zung reaktionärer Elemente in der Beamten-
wrlt ein größerer Ernst entwickelt, sondcrn
auch dic deutsche Frage endlich cinmal in
Angriff genoinmen werven, abgesehen davon,
daß auch noch hinsichtlich der Heeresorganisa-
tion eine Differenz zwischen der ministeriellen
und der demvkratischen Partei obherrschen mag.
Aber wie, wenn der König einem Wahlsiege
der lctztercn keine Rechnung trüge; ja, wenn
imGegentheil dann eben derangedrohte„Bruch"
einträle? Jn diesem Falle würde nothwendig
ein Ministerium der Rechtcn das Rudek er-
greifen, und das preußische Staatsschiff ebenso
schr »der noch niehr wicder rückwärts se-
geln, als es seit einigen Jahren vorwärts
gegangen war. Wenn wir nun fragcn, welche
von diesen vrei Alternativen am ehcsten mög-
lich sei, so ist die letzte, nämlich der Umschwung
im reaktionärcn Sinn, viclleicht wahrschein-
licher als man glauben möchte. Denn der
König hak sich einmal eine feste Grenze ge-
steckt, über die hinaus cr sich absvlut nicht
drängen kaffcn will. Er scheint zu dcm in
dem Jrrthiim befangen zu sein, als ob die
sogenannte demokrätische oder Fortschrittspartei
noch ganz die nämliche, wie im Jahre-1848
wäre, daß sie, wenn auch nicht äuf cine Re-
publik, io döch auf cine wesentliche Schwä-
chling der Krone hinarbeite. Daß aksr dcr
König in letzterem Punkte nicht mit sich spüffen
läßt, wer will es leugnen? Die handgrcifliche
Züustration zu der Krönungsrcde möchte vicl
eher gegebell werden, als Manchem lieb scill
dürfte. Unv cs könnte sich nur zu bald zci-
gen, daß dieselbe noch viel mehr Politik, als
Religion enkhalten habe. Odcr habcn diejeni-
gen nicht Recht gchabt, welche jene Rede da-
hin deutetrn, daß sie eine Demonstration gegen
die demokratischc oder wahrhaft constitutionelle
Partei sei, d. h. gegen diejenige Partei, welche
in Preußen ein eigentlich parlümenta-
risches Spstcm begtüiiden möchte, welche
also dafür hält, daß nicht nur das Laiid mit
dem Könige, sondern auch der König mit dem
Landc gehen, beziehungsweise dem geseßli'chen
Ausdtuck der Meinungen und Wullsche des
Landcs. auch dann nachgeben sollte, wenn ste
auch etwas gegen seine persönlichen Absichten
glngen? Allerdings ist die Rcgierung des Kö-
nigs immerhin eine liberale. Aber doch nur,
weil eben der König es so wollte. Allerdings
betont. er bei jcder Gelegenheit die Nothwen-
digkeit, vaß KrvNe und Lattd in Einheit und
EiNigkcit zusammengehe. Abet er scheint dies
doch nur so zu verstehen, daß das Vvlk mit
ihm, also nur soweit, als er, gehe. Der König
will demnach illillicr, bezuglkch dcr inneren rmd
äußcrcii Politik, die volle Znitiakive habcn,
und immer als die Alles bestimmcnde Macht
dastehen, der sich vas Volk mehr nur anzu-
schmiegcn hätte, als daß es, wie es z. B. in
England und Belgien der Fall ist, der Regie-
rnng seine Politik aufnöthigte.
So niuß denn dic nächste Zeit erst den BcweiS
liefcrn, ob ein constitutionelles Leben in Preu-
ßen bestehe, vder ob das Spstcm nur cin per-
sönliches seü Mit der Phrase, daß ja der
König die Coitstitution beschworen habe, und
er den Eid gewiß halten werde, ist blutwenig
gcsagt. Wir AUc wiffen jä nur zu gut, was
m.in mrt einer Verfaffung machen kanu, ohne
daß uiaü nur Einen Buchstaben davon ver-
letzc. Gerade deshalb sprechen wir von einer
Kri-fis in Preußen, weil die nächstc Zeit
es zeigell muß, ob dic Cvnstitution dasclbst
eine Wahrhcit, oder nur ein Schein sei, ob
sie dem Volk die Macht gebe, auch dann seine
Wünsche zur Geltung zu bringen, wenn fle
Nicht gerade im vollen Einklangc mit dencn
der Krone sind, oder ob die Verfaffüng nur
dazu da sein sollc, die Jntentio.Nen der Kröne
zu uüterstützen, ohnc dem Völke eiNe selbst-
ständige Bühn zu ermöglichell. Es liegt
klät zu Tüge, daß da von keinem constitütio-
nellen Leben die Rede sein könnte, wo dem
Vdlke nur die Wahl gelaffen wäre, entweder
zwischen dieser Unterstützung oddr eiNem Bruche
mit der Krone, wo es nicht einmal in eitt-
zelnen Fragen einer voü der Anstcht der
letzteren abweichenden Anschauüng praktische
ANerkennitng zu verschaffen bcrcchtigt sein
sollte, währeüd doch die G ruüdpriNcipieu
des Staates gänzlich außerhalb bes Staakes
bleiben. Ans diesem Grunde ist die gegen-
wärtigc Wahlbewegung von gerädezu vitaler
Bedeutung, sowvhl für Preußell, wic für das
übrige Deutschland.
Derltschianp.
<? Vom Neckar, 21. Nov. Nachdem
seit der Aufsehen erregenden finanziellcn Äen-
dernng im Schooße des Tuilerienkabinets eine
Reihe von Tagen umfloffen, und hierdurch
Zeit geboten ist, die "zu Grunde liegenven
äußeren Thatsachen und deren innere Mon've
mit Ruhe und Sorgfalt zu prüfrn und zu be-
achten, werben, namentlich im Brreiche dcr
deutschen und englischen Preffs doch, viele.
Stimmen laut, wclche iN jener Modification
mehr oder weniger nur einen neuen, Effect
errcgenden Coup des Buonapartismus nnd
durchaus nicht unbedingt eine fichere Gewähr«
leistung für einc daucrnde Friedenspolitik er-
blicken woüen. So viel ist sichcr, daß Na-
polcon III. nicht in dem Maaße, wie man
bishcr noch hänstg glaubtes die Lage der Dinge
in grankreich, wie in Europa übrrhaupt in
seiner Gewalt hattc, daß er vielmehr nur
allzu oft von den Verhältniffen selbst getrieben
und geschoben wurde. Auch so viel steht
fcst, daß von den zwei RichtungeN, welchc
stch am kaiserlichen Hofe bis jetzt gegcnüber-
standen, und wechselseitig um dcn Vorrang
bekämpften, der friedlich conservativen und
kricgerisch revvlutionären (wclche Letztere Per-
signp und dcn Prinzen Napolcon zu ihrcn
Häuptern zählte), für jetzr die Erstere im
Rathe des Kaisers gesicgt hat. Ob auch im
Herzen deffclben und ob für längere Dauer,
cheses wirv wohl kaum der Mann an der
«Seine selbst mit völliger Zuversicht, geschweige
denn ein anderer Sterblicher bcjahend bchaup-
tcn woüen. Wie leicht kann in Jtalien und
Die Bettlerm an der Rialtobriickc oder vcne-
tiamsche Justiz.
Novelle von Feodor Wehl.
(Fortsetzung.)
„Wir laffcn Vittore Dandolo äuf Schritt und
Tritt bcwächen", uicldete er thr; „wir werdm ihn
in diescn Tagen auf trgend eine Art von Dir ent-
fernt zu halten wiffen, und wcnn Dn durch Einen
der Unscren ein Stück blaues Papier zugesteckt et-
haltst, so mache Dich gleich auf und kommc zur
Rialtobrückc, wo Du in die Gondel steigen magst,
aus der Du nach der Seitc dcS Ufers zu cin «eißcs
Tuch heraushängen schen wtrst. Eine Unterreduirg
von einer Viertelstunde wird genügen, unS zu vcr-
ständigen und uns die nvthtge Uebcreinkunft füt
die baldige Flücht treffcü zu laffen.
Da allc meine Bitten nnd Bcschwörungen Nichts
hclscn, schrieb Domenica zurück, und Sic, Unglück-
seliger, durchaus Zhr Verdcrbcn wollen, so sci eS
dcnn! Jch werde auf das vcrabrtdete Zeichen kom-
mcn und Sie schen. Ach, ich wciß cs, es wird zum
letzten Male sein. Jch blicke in eine Zukunft voll
Biut, Mord und Verzweistung. Wenn Sie Er-
barinen mit einer Unglücklichen haben wvllen, so
geben Ste daS Zeichen nicht, so retsen Sic, und
dcr Segen deS Himinels möge mit Jhnen und Jhrem
FreuNde scin!
Jean d'Anbign» hörte auf diese WarnuNg nicht;
die Gluth und Heftigkeit setner Letdenschaft «ar
st grvß; daß er darübrr alle BesinNung »erlor und
aus DomeNica'S Bricfen nicht einmal dic Zwet-
dcutigkeit hcrauSmerkte, mit der darin fast imirler
die bciden Freundrzusammcn erwLhntwUrdcn. Die
DenetianeriN wüßte augenscheinlich nicht, wer Aean
d'Aubigny uNd wer dcr Fürst von Craon war. Aus
drm Ton und Mystcrtösen Rückhalt threr Briefe licß
sich schlicßen, das ihr Herz für den Einen mehr als
den Anderii spreche. Wclcher vöckBeiden aber wär
der Glückltche?
Iules dc Eraön, als cr die Briefe der ltnglück-
licheN las, legte sich im Sttllen dicse Frage vor.
Jn der Seele seincs Freundcs dagegcn unterlag cs
keinem Zweifcl, daß er Derjentge sein müffc, dcm
daS Herz der VenctiancrlN zugehöre, und da diescr
Glsnbc oder dtese Voraussctzung fich so fcst tn ihm
gestaltet hatte, daß sein Reisegefährte b'efürLten
mnßte, durch GrschüttcrNNg derseiben thn um Ver-
stand und Lcben zu bringen, so restgnirtr er, der
Zcit und Domenica sclbst Aufklärung und Ent-
scheidung überlaffend.
Nach cin paar Tagen, während wclcher die Spione
Vittore Dandolo unauSgesetzt auf den Fcrfen gc-
wesen waren, erfuhren die Franzoscn, daß Zencr
mit ctntgen Andern seineS Gelichters in einer cnt-
sernten Lagunen-Taverne eine große Orgie zu bc-
gehcn in Absicht habe. Natürlich ward nun augeN-
blicklich scstgesetzt, daß während dieser Zeit Zean
mit Domenica die verabrcdcte Zusammenkunft in'
dcr Gondel habcn sollte, und zu dicsem Ende dteser
das verabredete blaue Papier gcsendct.
Die Freunde waren übcrcingekommen, daß in dic
Gondcl mit dem herauswehendcu weißen Tuchc Zca»
d'Aubigny steigen und darin Domenica Delfino er-
wartcn sollte, während Iules de Craon in einer
zweiten Gondcl jener zu folgen und fie zu bewa-
chen habe.
Es war spät gcgen den Nachmittag hin, als dic
Gondeln an der Riva der Rialtobrücke bereit stan-
den, und Domentca tief »erschleiert und zitternd
in die mit dem weißen Tuche bezeichnetc einstteg.
Als fie Zean d'Aubigny uuv nicht JuleS dc Lraon