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Heidelberger Zeitung — 1861(Juli bis Dezember)

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Juli
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Sonntag, 28. Zuli

C Kurheffen.

Untcr dkn Fragcn, welche gegenwärtig dem
deutschen Bundeskage oder dcm dcutschen Volkc
zur Lvjung vorgelegt sind, tst wohl die knr-
hessische Verfaffungs-Angelegenhei! dle aller-
drlngendste, die allerbrennendste. Handelt es
sich Loch hler um den Constitutionaltsinus, um
die Rechtssicherheit jedes deutschen Bundes-
staates. Oder wenn die Bundesvcrsammlung
die rechtliche Befugniß haben sollte, von sich
aus einc in anerkannter Wirksamkcit beste-
hende Verfaffung umzustürzen, wanke» bann
nicht alle Verfaffungen sammt und sonderS?
ist nicht jeder der feste Boden unter den
Füßen weggezogcn? Die ganze Angelegenheit
ist dahcr auch wesentlich cine Sache Les
Rechts. Wenn souiil den kurhessischen Stän-
den die liberalste Verfassung vorgelegt wor-
den wäre, eine liberalere noch als die von
1831, sie mußten dennoch jede Verhnndlung
als außer ihrer Competenz erklären, eben weil
es auf den Jnhalt hier gar nicht ankommt,
sondern lediglich auf die Form, und daher
auch nur die auf Grund der rechtmäßigen
Verfassung berufenen Stände sich für gcsetz-
mäßig und competent haltcn können. Darum
beruht es auch auf einer gänzlichen Vcrken-
nung des Kernpunktes der kurhesstschen Ver-
saffungsangelegenheit, wenn bie Meinung sich
kund gegeben hat, Oesterreich und Preußen
erstrebten hinsichtlich der vom Bunde vorzu-
nehmenden Bchandlung dieser Sache im Grunde
ein und daffelbe, da letzteres die Entfernung
der etwa bundeswidrigen Bestimmungen aus
der Verfaffung von 1831, erstcres die Auf-
nahmc der nicht bundeöwidrigen Bcstimuiiingcn
der Verfaffung von 1831 in das Verfaffungs-
gesetz von 1852 befürwortet. Dcr llnterfchicd
bestcht darin, daß Preußen, indem es das Zu-
rückgehen auf die Verfassung von 1831 be-
antragt, einen Standpunkt festhält, der als
rcchtliche Grundlage jedes weitercn Verfah-
rens die Ununterbrochenhcit dcs Nechts
wahrt und die Gesetziiiäßigkeit der bczüglichen
Bundesbeschlüffe förmlich bestreitet. Oester-
reich bagegen auf Kosten jener Ununterbrochen-
heit nur auf Zweckmäßigkeit Rücksicht nimmk,
unb das Recht der Bundesversammlung, von
sich aus unmittelbar in den Rechtszustand der
Einzelstaaten einzugreifen, nach- wie vorher
aufrecht erhält. Abcr gerade dies ist der An-
gelpunkt des Ganzen, daß ausdrücklich cnt-
schieden werde, wie ber BunbeStag in keiner
Weise in ber Art, wie es von ihm in dieser
Sache geschehen, in die Selbstständigkeit der

Einzelstaaten eingreifen darf; wie jede Ver-
faffung nur auf verfassuiigsmäßigem Wege,
also in Vereinbarung mit den rechtmäßi-
gen Ständcn abgcändert werden kann, und
somit Alles, was dcr Bundestag sowohl, als
auch die kurhessische Regierung gegen die in
anerkannter Wirksamkeit bestehende Verfaffung
von 1831 bisher gethan habcn, völlig null und
nichtig ist. Selbst die ven Unterihanen zusagend-
sten und annehmbarstkn Grundsätze einer Ver-
faffung sind werthlos, wenn ihre Abänderung
oder Aushebung uicht auf diejenige Weise gc-
schieht, welche vie Verfaffung sclbst dafür vor-
schreibt. Ueberhaupt ist bie Sicherheit bes
einmal geltenven Rechtszustandes Lie Haupt-
grundlagc eines jeden Staates. Vom Zwccke
deffelben, nämlich der Erhaltung eines Lurch
Nechtsvorschriften geordneten Znstandes, ist
aber abgewichen, wcnn die letzteren einem be-
liebigen Schwanken unterworfen sind. Alle
auf Erlangiing fcster Constitutioncn gerichtc-
ten Bestrebungen galten dahcr nicht blos ei-
nem zeitgemäßen Jnhalte der in denselben
festzusetzcnden Rechts- und Regicrungsgrund-
sätze, sondern vor Allem der darin liegenden,
allseitigcn Anerkennung der Endgilligkeit und
Dauerhaftigkeit ves Vereinbartkn, insbesondere
der Verpflichtung der Staatsgewalt zu un-
verbrüchlicher Znnehaltung des so gewonne-
nen festen Bodens.

Wenn das Volk Kurhcffens nicht aus sei-
ner völlig rechtlosen Lage Zrriffen wird, was
soll aus ihm werden? Es hat sein altes und
iheurcs Recht im Jahre 1850 in einer die
Mitwelt mit Bewunberuiig und Hvchachtung
erfüllcnden Weise vertheidigt, und zwar so
lange es irgend dazu im Stande war; es
hat dann 1850 und 1851 sich durch die rohe
Gcwalt zur Unterlaffung einer fernercn Ver-
theidigung genöthigt gesehen; cs ist durch den,
auch nach dem Abzuge der Bundestruppcn
fortdaueinden Zwang zur einstweiligen Befol-
gung ber aufgedrungeneii neuen Einrichtun-
gen gezwungen worden; aber zu einer Anerken-
nung unv Bcschwörung einer anderen Ver-
faffung als dcr von 1831, wird fich Niemaud
verstchen, da der Eid anf diese Verfaffung
Zcdermann bindet, und Jedermann auf das
unerschütterlichstc am Nechtc festhält. Durch
äußeren Zwang kann bie Beschwörung nicht
erpreßt werden; den 30,000 Menschen, wclche
seit 1852 das Land freiwillig verlassen haben,
wird eher das ganze Volk nachfolgen, als
daß es jcnem Eide untreu wird unb vom
Rechte abläßt. Aber daß es auch die aller-
höchste Zeit ist, die bisherigen Zuständc im


L8G1.

Sinne des Rechts endlich einmal zu ördnen,
das zeigt ein Blick auf die traurige Lage
des Lanves leider nur zu sehr. Denn, wel-
ches sind die Folgcn der bisherigen Büridrs-
politik? Allgemeine Unzufriedenheit, die lau-
testen Klagen des Landes; seit 1851 eine be-
merkcnswerthc Abnahme der Bevölkerung
durch Auswanderung; Darniederliegen dcs Han-
dcls und der Gewerbe; auswärts ein unsicht-
bgres Mißtrauen gegen hessische Zustände;
im Lande selbst kcinc Spur vo» Glauben an
eiue wohlwzllende Regiernngsweise, odcr vön
Verlrauen auf Rechtspstege und Rcchtssicher-
heit und so die tiefste Erschütterung des fftt-
lichen und rechtlichen Bewußtseins.

Der Prozeß Mtres

(Fortsetzung.)

Paris, 8. Juli. Herr Senard erzählt hterauf dte
schon so bekannte Geschichte der Klage deS Herrn v. Pon-
talba und verliest nun zahlretche Briefe desselben, Mires',
Solar'S, tndem er ganz besonders bet der folgendcn Stelle
verweilt ^ wo der Charakter deS Herrn Mires von Herrn
v. Merode gezeichnet wtrd:

„Sprechen Sie mtr nicht von Mtres, sagte Hr. v. Me-
rode zu Pontalba, das tst der unehrlichste (mstkonnste)
Mensch, den tch je kennen gelcrnt habe, etnen schkauern
Menschen gibt es ntcht." Die Brtefe, dte Senard vor-
trägt, bcsonderS die Briefe Solar's an Hrn. v. Pontalba
gaben'den Zuhörern östere Gelegenheit zur Hetterkeit, be-
sonders folgender, worin Solar an Pontalba schreibt: „Es
tst beffer zu Grunde gertchtet zu sein, als tn etner solchen
Ungewtßheit zu leben. Jch retse nach LondoN; leben Ste
wohl, und ztehen Ste sich aus der Sache, wenn Sie
könneu."

Nach der VertheidtgungSrede des Herrn Senard erhebt
sich Mirös und sagt: „Jch habe Herrn Senard eine Be-
mcrkung zu machen."

Präfident: Ueber was? Jst es über den Brtef des Hrn.
Ducros? (Herr Seuard hatte deffen nochmalS Erwähuung
gethan.) Der Zwtschenfall ist erledtgt.

Mires: Netn, Herr Präsident. Zch habe Hrn. Senard
etne Bemerkung zu machen, um seine Gedanken zu ver-
vollständigen.

Präsident: Die Sitzung ist aufgehoben. Morgen um
ll^/r Uhr. Während sich das Trtbunal hinweg begtvk,
sagt Herr Senard cintge Worte zu Mtrös.

Der Prqfident kehrt fich um und sagt: Aber, Herr
Senard, dte Sitzung ist geschloffen. — Herr MiröS be-
findet sich tn großer Aufregung. Es ist 6 Uhr.

Den 9. Jult.

Nach Eröffnung der heuttgen Sitzung crhtelt Advocat
Marie das Wort. Derselbe vertritt den Herrn v. Chasse-
pot. Er verspricht, sehr kurz zu sein, da der GertchtShof
beretts ermüdet und der Vertheidiger Leon Duval die Säche
des Ueberwachungsausschusscs vollständig platdtrthabe. ^Seine
Aufgabe" — metnt er — „hat Leön Duval auf eine wür-
dtge Wetse und so erfüllt, daß Licht tn den Geistvm hätte

nung haben.

„Wohl sehe ich vor mtr auf jener Bank den entthronten
Finanzkönig, der einst so einstußreich war, den, der langen
Liste der Conto-Curreuten nach zu schlteßen, so viel Mäch-
tige anflehten. Wohl sagt man unS heute, daß MireS
niemals etner der Speculanten war, deren Kühnheit, deren

Ias -eulsche Sängcrfest.

(Fortsetzung).

Nachdem der donncrnde Aubcl verrauscht, m!t
welchcm die Lcbehochrufc auf dcn König erschalli
waren, erinnerte Hr. vr. Gcrster, daß machtiger
ais alle Waffen, die nur die Materie vernichten
könnten, die Jdee sci, die übcr den Kreis dcs Ma-
tcriellcn hinaus zu schaffen und aufzubauen ver-
möge. Sie zu «ecken und zu nähren, fet Musik,
Lied und Sang dcr kriiftigsten Mittel cines. Die
Zdcc, deren Hegung jctzt am Dringendsten geboten,
sei die nationaie dcr Zusammengehörigkcit des gan-
zen deutschcn Volkes, und darum begrüße er aus
vollstcm Hcrzen die Sängcrgenoffcn, dic gewiß nicht
blos um cincs Zeugniffes ihrer Sangesfertigkeit
willen, sondern darum sich hrcr zusammcngefunden,
um ihre Ueberzeugung, daß sie eines Voikcs, hieher
und neue Bewcift hiefür von hier hinweg in ihre
Hcimath zu tragcn. Zn dicsem Sinnc habc man
thnen von der Fronte dcr Sängerhalle den Spruch
entgegenblinkcn laffcn:

„Deuisches Banner, Lied und Wort
„Eint in Liebe Süd' und Nord."

Lebhafte Zurufe antworteten dem Sprechcr, der
durch dte spätere Mittheilung eines Telegrainms
aus Riga, wödurch d!c dori zu einem „baltischen
Sängerfeste"vcrsammeltcn deutschen Gesangsvereinc
mehrcrcr knrländischer, Uefländischer und russischer
Städte den „Stammesbrüdern" dahier ihre Grüße
sandten, neuen Zubel hcrvorrief. Auch der „viä-
mifchen Stammcsgenoffen", die zum heutigcn Feste
gcladcn, an der Theilnahme aber durch d!c großc
Entfernung verhindert geweftn, gedachte der Herr
Rcdncr später mit gleichem Erfolge, der auch der
lctztcn Mitthcilung gcspendet wurde, daß die Deut-
schen in Bern unter preiscnder Anerkcnnung des
erwachcnden deutschen Nationalfinncs eincn kunst-
vollen Pokal übersandt, der dem Vereine zu Thcil
werdcn möge, der beim gegenwärtigcn Festc das
Bestc gelcistct. E!n von einem Sängcr aus Eiscnach
mit dcn grvßeü Raum nicht erfüllender Stimme
vorgetragcnes Gedicht zum Lobe des Gesangcs und
ganz bcsondcrS des dcutschen Gesangcs, cin Fest-
marsch von Lachner, Hofkapellmcister in Mannheim,
Einzclnvorträge von Gcsangvcreinen aus Königs-
berg, Erlangcn, Schwcrin und Amberg und Jn-
strumrntalmufikvorkLge füRen den Rest des Abcnds.

Durch die AuSführung cines «on F. Lur, Lapell-
mcistcr in Mainz, für das Fest componirten Fest-
marsches, in welchen Arndt's Vaterlandslicd, von
allen Sangern gcmeinschaftlich vorgetragcn, einge-
flochtcn war, wurde die fast ganz unvermindert ge-
bliebene Versammlung nahe an dte Grenzschetdc
des heutigen Tages geführt. Noch vor Mitternacht
leertc sich dic Hallc. Viele aber, die die freudige
Errcgung des Festes unter dcm gestirnteN Htmmel
nachtönen laffen wollten, traf der Sonntagsmorgen
noch auf det grünen Wiest, über welche mächtige
Kandclaber mit brennenden Holzscheiten ein ztt-
tcrndcs Licht verthetlten.

II

22. Juli. Durch die Klänge des Sängerrufes
um 5 Uhc Morgens aus kurzem Schlafe erÄcckt,
haben die Sanger fich gestern schon um 7 Uhr zu
etner Probe in dcr Festhalle versammelt. Von der
bstündigcn, ernst und emfig betriebcnen Uebüng,
«ährend «elcher cin durch plötzlichcS Unwohlwetdcn
eines SLngerS vcranlaßtcr Ruf nach. einem Arzte,
vort ernem Thetle Ver Hßrcr fälsch vcrstanden, elne
bald beschwichtigte Besorgniß einer unbestlmmten
anderen Gefahr hervorgerufen haiie, Wenden «ir
 
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