Sanrstag, I t. Dezember
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Adreßdebatte in der badischen ersten
Kammer.
(Schluß.)
SlaatSministek Stabel: Die Regierung
g)aubteauf Uebcretnstimmung mit ihrem Env-
ziele rcchnen zu dnrfen. Die Bundesregierun-
gen haben, wie das Recht, so auch die Pflicht
der Jniiiativc, und es ist die hochste Zeit
dazu, soferne sie nicht zur Zeit der Gefahr
den Faden aus ihrer Hand verlieren wollen.
Ueber die Mittel sind wir allein nicht Herr;
die Rcgicrung gab deßhalb kein Programm,
zumal ste ihrc Handlungsweise sehr verschie-
denen Auslegungen ausgesetzt sieht. Sic kennt
keinen Weg als den alleinseligmachenden an;
sie muß sich eincn freien Stondpunkt bewahren
und überläßt es dem Haüse, inwicweit dieses
bestimmte Formen angeben will.
Frhr. v. Gemmingen: Das Herbeiziehen
vvn Ocsterreich als bloßcn Alliirten zerstört
den gcographischen Begriff von Deutschland.
Jollp: Das Endzicl des Strebcns dürfc
von der Kammer ausgesprochen werden. als
einer hohen politischen Körperschaft, der eine
Meinlingsäußerung zustehe. Man dürfe die
Einheit nicht dem Zufalle überlaffen, svndern
man müffe ihr durch organische Einrichtungen
die rechte Form der Entstehung sichern. Hält
man die Nothwendl'gkeit des einheitli'chen Wil-
lens fest, so ist Bundesversammlung, Dualis-
mus, Trias rc. Alles gleich möglich.
Graf v. Bcrlichingen: Kein Deiitschland
ohnc Oesterreichl Jede Abtretung cines Ho-
heitsrechtes an Preußen wird im Landc Wi-
derstand findcn. Wir sind deutschc Badener
und wvllen kein preußisches Protectorat. Dcr
Redncr will nicht, daß sich die leitenden Kreise
einer Jlluston hingeben und spricht stch erregt
gcgen die Grundtendenz der Adreffe aus.
Dcr Präsident des auswärtigen Ministe-
riums, v. Roggenbach, schlicßt sich im Wesent-
lichen der Erklärung v. Stabel an. Die Re-
gierung wird das Bedürfniß des deutschen
Volkes vertreten, damit sci'ne Macht, sein An-
schen und sein Recht durch den Nachdruck eines
einheitlichen Willens zur Geltung komme. Die
Regierung wird die Souveränetätsrechte ängst-
lich zu wahren wiffen; sie wird dic Zustim-
mung der Stände, wo sie derselbcn bedarf,
erhcischen. Allein schon durch die Pundesacte
hat sede Regicrung gewiffe Servituten auf
sich genommen. Die Politik ist die Kunst des
Erfolges, und erreicht die Regierung diesen,
s» ift sie der allgemeinen Zustimmung gewiß.
Dic Summe der Einzelintereffen ist noch lange
nicht das Gesammtinteresse; es ist Haupter-
forderniß, daß der Wille der „festen und khat-
fähigen Organisation" von dem Gewiffen der
Nation in Bewegung gcsetzt werde. Kcinem
alliirten Staate wird die Regierung eine Su-
prematie cinräumen und auch Preußen müßte
sich dem allgemeinen Gedanken unterordncn.
Berlichingcn: Wenn Preußen sich nicht ma-
jorisiren laffen will, so wird es tprannisiren
wollen. Er müßte beklagen, wollte Oestcr-
reich sich freiwilligzurückziehen. Baden würde
dann die allergrößte Gefahr drohen und Preu-
ßen« könne uns nicht schützen. Vom Katheder
laffe sich lcicht predigen.
Türkheim: Dic Mittcl und Wege müßten
offen bleiben; Rom sei Jahrhunderte von zwci
Consuln regiert worden.
Bluntschli bedauert, Gemmingen gegcnüber,
daß der Begriff nur cin geographischer sci,
er wünschte, daß es ein politischer wäre; er
bctont wiederholt die Gränze der Möglichkeit
und nimmt für alle Parteiev die Reinheit ihrer
Absichten in Anspruch; für die des deutschen
Bundesstaates noch ganz besvnders die Eigen-
schaft der Opfcrfähigkeit. Preußen ist ein
moderner Staat; für seine Haltung liegt ein
großer Theil der Entschuldigung darin, daß
finanziell, militärisch, geistig, Aües auf das
Höchste gcspannt ist und bleibem muß, bis zur
Lösung der deulschen Fragc. Das Ziel wird
nur erreicht werden, wenn der mvderne Gcist,
der dcn Staat erschuf, auch sortwirkt. Die
Frage ist: Will man im Geistc der Thronrede
die Adreffe annehmen oder nicht. Herr von
Bexlichingen vertritt den gcgentheiligen Stand-
punkt, den östcrreichischen (Rufe: „Nein —
großdcutsch!").
Minister des Jnnern, Lamep: Daß die
Frage vom Markte genommen ist in die Jni-
tiative der Regierungen, darin iiegi die hohe
Bcdeutung der Thronrede. Dcr Strich des
Passus ist weit unbedeutender, als das Motiv
dieses Striches. Zm Wesentlichen sei gegcn
diese Streichung nichts cinzuwenden. Wer
die Adreffe in Wien oder Berlin leje, werde
in derselben kurzweg ein Vcrtrauensvotum a»
dic Regierullg sinden; wer die Dcbatte mit
angchört, wcrde den Zwiespalt der Meinun-
gen zn ermessen wiffen. Die erregte Färbung
der Discussion sei geeignet (und er spreche
Pem Herzen das Rccht nicht ab, sich in diesc
Fragen zu mischen) zu zeigen, wie bedeutend
die Schwierigkeiten der Lösung, wie bedeutcnv
für alle Theile dic Fähigkeit, dem gemeinsamen
Ziele Opfer bringcn zu können.
Zolldirektor Kirchgeßner erinnert an die se-
gensreiche Friedenszeit der 49 Bundesjahre;
der Bund bedürfe zu seinem Ruhme gar nichts,
als daß er aufhöre, zu eristiren; dann erst
werde man seiner Segnungen gedcnken.
Das Schlußergebniß ist bekannt. (F. I.)
Deutfchland
^ Hei-elberg, 12. Dec. Die hiesigen
Wahlmänner haben stch geeinigt, für die Wie-
derwahl des Herrn Hoffmeister zu stimmcn,
und hat derselbe sich zur Annahme bcreit
und die bisher eutgegenstehenden Hinderniffc
zu beseitigen erklärt.
Bom Oberrhein, 10. Dez. Eines dcr
größten Werke der Eisenbahnbauten äus der
Strecke Waldshut-Schaffhausen, das 70' hohe
Brückengewölbe über die Steinach, wurde
gestern vollendet.
Aus Württemberg, 10. Dezbr. Die
Fortschritkspartei des Lanoes vcrsammelt sich
am 15. d. zu Plochingen. Die bevorstehenden
Abgevrdnetenwahlen sollen besprochen, cin
Wahlprogramm soll berathen und ein Couiite
bestellt werden> das für Zustandekvmmen srei-
sinniger Wahlen thätig ist,
Kaffel, 8. Dez. ELnem Gerüchte zufolge
will die Regierung, wenn die demnächst zu-
zusammcntretende ll. Kammer abermals sich
für inkompetent erklärt, dieselbe sofort auf-
lösen, einen weitcren Versuch, einen will-
fährigen Landtag zu bekommen, nicht machen
und ohnc Stände regieren.
Aus Thüringen. In dem preußischen
Thüringen t'st (nach der „Cöb. Z.") jetzt
zum nicht geringen Verdruß der Bevölkerung
cine angeblich auf eine allerh. Ordre gestützte
Verfügung des evangclischen Oberkirchenraths
in Bcrlin bekannt geworden, welche den
Geistlichen gebietet, „sich der kirchlichen Weihe
dcr Fahnen der Schützeiigesellschaften unv
ähnlicher Vereine zu entyalten."
Berlin. Der Polizer^ Oberst Patzke und
der Buchdruckereibesitzer Nietack haben gegen
das Srkeniitniß des yiesigen Schwurgerichts
die Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt.
Berlin, 9. Decbr. Ein sicheres Urtheil
über das Gesammtergebniß sämmtlicher Wah-
len wird besonders durch de» Umstand er-
schwert, daß bei weilem die größere Hälfte
der Mitglleder neu in die Kammer eintritt,
und nur 140 Abgeordndte wicdergcwählt wor-
den sind. Nach eincni uns gedruckt vorlie-
genden Verzeichniffc zählte in der letzten Kam-
mer die Fraktion Blankenburg (Feudale) 20,
die Fraction Pückler (Conservative) 30, die
Falkenstein.
Von Hermann Schmid.
(Fvrtschung.)
Mit Wallner war inzwischen cine ebenso rasche
als auffallcnde Veränderuiig vorgegangcn. Das
Gesicht war tödtlich blaß, die Augen abcr flamm-
ten von unnatürlichcm innern Feucr und dte große
kräftige Gcstalt war mit einem Male wic von einer
ungeheuern Last vernichtet und gebeugt. Serene
bemerkte es zuerst und geleitete ihn mit Engelbert,
da er schwankte, an einen Stuhl. „Um Gott, cdler
treuer Mann, was ist Euch?" rief fie. „Erhebt
Euch, daS Glück mitzugenießen, das Jhr gegründet."
„Jch dank Euch", erwiderte Wallner mit Anstren-
gung, „aber meine Zeit hier gcht zu Endc. Jhr
wcrdet gkücklich sein ohne mich. Der Hcrr Richter
aber muß erst noch Antwort haben auf scine Fragc.
Jch habe geschwiegen, weil ich mcinem Hcrrn mit
Wort und Eidgelobthabe, cs zu thun, und
nicht ehcr zu rcden, als bis cr selberwte-
der komme, odereineStunde vormeinem
etgeneii Tode. Er ist nicht gekommen, und so
lange eS fich nur um Geld und Gut handelte, die
Wtllibald verlieren sollte, habe ich treulich gcschwie-
gcn — daS AlleS hätte er ja wieder erhalten kön-
ncn — aber das Unhetl, das er nun beging, ließ
mir ntcht länger zuwartcn. Jch mußtesagen, was
tch wußte, um ihn «icllcicht vom schmählichen Tode
zu rettcn — aber ich war auch entschloffen,Micin
Wort zu halten, und weil ich crst etne Stundc vor
mcinem eigcnen Tode redcn durftc, befchloß ich fel-
ber zu stcrbcn. Jn dcm Bccher, den ich vorhin ge-
leert, war Gist, dasselbe, Willibald, das ich Dtr
entriß, ich fühle, daß eS bald seine Wirkung gethan
habcn wird."
Vom ticfsten Schmerz zerriffen, warf sich Willi-
bald nehen dem Leidenden nieder. Serene zerfloß
tn Thränen.
„Weinet nicht", erwiderte Wallner, immer schwä-
cher werdend... „ich habe mcine Pfltcht gcthan...
für den Ausgang bin ich dem Himmel ntcht ver-
antwortlich... Lebct wohl, meine Lteben... gcden-
ket meiner in Eurem Gebet... und wcnn Euer
Vater cinmal zurückkommt, so sagt ihm, wie ich ge-
storben bin."
Znzwischen «ar Pater Macartus zum Troste des
Sterbenden herbeigerufen wordcn. „Unglücklicher",
rtef er, „waS habt Jhr gethan?"
„Zch habe Euern Rath bcfolgt", erwiderte der
Sterbende mtt der letzten Kraft, „ich habe gethan,
was mir das Nächste schien, Gott wird mir ver-
zcihen, daß ich mit der Sündc dcs Sclbstmords vor
ihn trcte, er ist gerccht und gütig, ich hofsc von ihm
zu hören, geh' ein zu mir, Du trcucr Knecht, denn
Du hast redlich Wort gehalten..."
Dic letzten Laute verloren sich in etnen schweren
Seufzer, mit dem er zurücksank und die Seele aus-
hauchte. ^
7.
Das lieberraschende und Uncrhörte »on Wallners
Erzählung sowohl, als sctn Tod und die Art des-
selben hattc nicht verfehlt, den gewaltigsten Ein-
druck auf die ganzc Zuhörerschaft zu machcn. Rich-
ter und Schöffen vcrließen ihre Sitze, und die Ge-
richtsverhandlung war mit Einem Schlage tn etn
ganz andcrcs Bild umgewandelt. Um den Todten,
der mit der Miene deS tiefsten Friedens dalag,
hatte sich eine bewegte Gruppe voll Tpauer und
Mitleidens gcbildet; das Volk aber strömte, laut.
erregt und im tauscndzüngrgen Gcspräche aus dem