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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Breuer, Robert: Der Lehrer als Organisator
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0182

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INNEN-DEKORATION

Tektonik und der Struktur. Und nicht minder der
Geschichtsunterricht, er will darauf hinaus: in neuen
Materialien für neue Zwecke Dinge von jener Vernunft
und Schönheit zu schaffen, die das Alte ehrwürdig
machen; er will darauf hinaus: die Welt der Gegenwart
so tief und rein zu erkennen, wie die Babylonier und
Griechen die Welt ihrer Tage erkannten. Studieren
heißt nicht stehlen, begreifen nicht auswendig lernen.
Es gilt, den Geist, der hinter den Formen steht, zu
erfassen. Die Sinne sollen denken lernen.

Daran, daß sämtliche Runzeln einer Baumrinde aut
das Papier kommen, liegt wenig. Pedanterie ist nur
Schwäche. Aber das wesenhafte Verstehen der kleinsten
Formen ist eine Lebensfrage. Der Lehrer soll sich
nicht damit begnügen, die Formen und Förmlein vor-
zubuchstabieren; er soll den Schüler anleiten, durch
die Formen hindurch zu sehen, die sich bedingenden
Wechselbeziehungen, die Kräfteparallelogramme, die
Schwerpunkte der Aktion zu erkennen. So wird das
Amt des Lehrers schwieriger, als man es zu nehmen
gewohnt ist; so verlangt es nach stärkeren intellektuellen
Kräften als häufig im Lehramt unterzukriechen pflegen.

Hier lauert eine Gefahr. Der Systematiker. Der
Lehrer, der die Gesetze, wie e r sie erkannt hat, der
sein Prinzip, seine Zahlentabellen und seine Methode
der Hilfslinien dem Schüler als ein Universalmittel ver-
erbt. Nichts ist gefährlicher, als dem Jünger Rezepte
zu geben, nach denen er eins, zwei, drei — hopla -
alle Dinge dieser und jener Welt zu ergründen, aufzu-

teilen und zu bewältigen vermag. Als ob es beim
Vogelfang auf das Netz und die Leimrute ankäme und
nicht vielmehr auf die Art zu pfeifen und zu locken.
Als ob es darauf ankäme, die Formeln zu buchstabieren,
nach denen die großen Zauberer, nach denen Michel-
angelo und RafFael, Manet und Liebermann, die Natur
gemeistert. Nur darauf kommt es an: die Tatsache zu
erkennen, daß es überhaupt Gesetze gibt. Gesetze, die
freilich immer wieder von grundauf und als neue ge-
funden sein wollen. Der Lehrer hat keine weitere
Aufgabe, als die, im Schüler das Formentier zu wecken,
den Instinkt für Rhythmus und Melodie, Ordnung und
Wiederkehr. Der Schüler soll lernen, in sich hineinzu-
horchen: was es da für Stimmen gibt und welchen Weg zu
nehmen und welche Art die Natur anzugreifen und zu er-
obern. Der Lehrer soll die Jünger zu Hörenden machen,
zu Horchenden, zu Spürhunden, die sich von den ein-
geborenen Nerven leiten lassen. Mit unendlich empfind-
samen Fingern soll der Lehrer des Schülers Sehen und
Wollen entwirren, soll dem vor vielfach schwankenden
Möglichkeiten Ratlosen zur Klarheit helfen. Nichts
darf getötet werden; es sei denn, daß eine stärkere
Anlage die schwächere Regung vernichte. Es gilt, zu
sichten und zu sammeln. Aber alle Aktivität gebührt
hierbei dem Schüler; der Lehrer ist nur ein Beratender,
im besten Falle: ein Wegbahner. Wohin es geht, das
weiß der Lehrer nicht, und wehe ihm, wenn er nach
eignem Dünkel das Ziel bestimmen wollte. Neutralität
ist die höchste Tugend des Lehrers. Künstler
 
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