Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

DOI Artikel:
Breuer, Robert: Der Lehrer als Organisator
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0183

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

165

ENTWURF UND AUSFUHRUNG: KARL HILGERS NACHF.—DÜSSELDORF.

Teil-Ansicht der Diele auf Seite 164.

von ausgesprochener Persönlichkeit sind meist schlechte,
ja gefährliche Lehrer. Sie lehren nicht, die Natur
sehen; sie verführen den Schüler zu dem Ornament,
das sie aus der Wirklichkeit hoben und ihr eigen nennen.
Es liegt aber unendlich viel daran, daß der Schüler
die Anschauungsformen von der Welt aus und durch sich
selbst gewinnt. Lehren heißt nicht schöpferisch
tätig sein; lehren heißt: organisieren!

Nicht jeder Schüler kann das leisten, was das
Reglement fordert; das bedeutet aber nicht im ent-
ferntesten einen Mangel an Begabung. Die von den
Unterrichtsbeamten zugeschnittene Uniform ist für die
Mittelmäßigkeit berechnet. Der weise Lehrer geht
nicht von dem Stundenplan, sondern von den Schülern
aus; er sucht vor allem zu erfahren: mit wem er es
eigentlich zu tun hat. Es ist notwendig, die schwachen
und starken Anlagen aufzudecken und dem Schüler be-
wußt zu machen. Wie ein Stahlbad wirkt solche Ehr-
lichkeit. Durch das törichte Vorpredigen einer be-
stimmten Unzulänglichkeit aber wird der Novize gelähmt,
wird er oft genug entmutigt, die besonderen Keime,
die in ihm ruhen und die allen Mangel zehnfach wett
machen, nach Herzenslust zu entfalten. — Gewiß, auch
schwache Gaben wollen gepflegt sein. Übung stärkt.
Harmonie des Könnens nützt der speziellen Stärke.
Aber wichtiger als die Harmonie ist der Charakter, und
der Charakter ist determiniert. Die wichtigste Pflicht
des Lehrers ist es: den Charakter des Schülers zu ent-
decken und als ein Heiligtum zu achten.

Jedenfalls: es soll nur das gepflegt werden, was
sich mit einiger Sicherheit auf Erfolg ausbilden läßt.
Hierfür Instinkt zu haben, das macht die Güte und den
wahrhaftigen Erfolg des Lehrers aus. Der Lehrer soll
der Kunst des Schülers als Geburtshelfer dienen.
Auch schwache und unansehnliche Kinder haben ein
Recht zu leben. Besser ein simples Menschlein als eine
pompöse Maschine. — Dem Schüler den ihm prä-
destinierten Weg finden zu helfen, das ist die
vornehmste Existenzberechtigung des Lehrers.
Dann ist es an ihm, die Stationen vorauszuahnen, durch die
des Schülers Weg mit einiger Sicherheit hindurch muß, und
dafür zu sorgen, daß immer das Notwendige, das gerade
für diese Phase der Entwicklung Zweckmäßige betrieben
wird. Der Lehrer soll auf die innerlichen Erlebnisse
und künstlerischen Ereignisse, die nach des Schülers
Veranlagung mit Wahrscheinlichkeit eintreten müssen,
taktisch vorbereiten. So wird er Katastrophen zwar
nicht verhindern, aber mildern. So wird er helfen,
jeglichen Sturm fruchtbar zu machen. Er wird dem
Schüler den Kampf nicht abnehmen; aber er wird als
ein weiser Vater neben dem Erschütterten stehen und
sagen: Schau', du hast noch Waffen in deinem Arsenal
und Kräfte in deiner Brust, hier ist ein Weg und dort
ist ein Weg, versuch's mit diesem und wag's auf jenem.
— So kann der Lehrer ein Führer zum Leben werden,
ein Befreier des Lebendigen im Schüler; die meisten
aber finden es bequemer, Totengräber zu sein. -

BERLIN-WILMERSDORF. ROBERT BREUER.
 
Annotationen