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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 19.1908

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Scheffers, Otto: Über die Richtung des Ornamentes
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https://doi.org/10.11588/diglit.7478#0248

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INNEN-DEKORATION

ARCHITEKT CARL WITZMANN— WIEN.

Halle im Holcl Kaiser v. Österreich—Klagen-
furt. Ausgeführt von A. Riedel'—Klagenfurt.

ÜBER DIE RICHTUNG DES ORNAMENTES.

VON OTTO SOlIEh'KKKS — I »ESSAU.

Die Frage, nach welcher Richtung hin Ornamente
auf Fußböden, Teppichen, Tischplatten, Zimmer-
decken, Wänden, Behängen, Kleidern, Gesimsen, Gefäßen,
Beleuchtungskörpern, Buchdeckeln, Schriftseiten usw.
anzuordnen sind, ist von Kunsttheoretikern meines
Wissens immer nur gestreift worden. Wirklich be-
merkenswerte Äußerungen darüber finde ich eigentlich
nur in Sempers »Stil«, doch auch dort vermisse ich
das Zurückführen der angegebenen Gesetze auf wenige
einfache, natürliche Grundursachen, außerdem sind die
Ausführungen dieses scharfsinnigen Denkers wegen der
schwerverständlichen Form und der vielen Fremdwörter
für Künstler wenig genießbar. In »Die Elemente der
Gefäßbildnerei« von Gmelin sind neben den Figuren
wohl Pfeile angegeben, welche die vom Ornamente ein-
zuhaltende Richtung an den verschiedenen Teilen der
Gefäße andeuten, aber keine allgemeingültigen Gesetze
— und doch gibt es solche. Ich habe schon früher
darauf hingewiesen und den Versuch gemacht, sie zu
begründen, da es jedoch nicht in einer Zeitschrift ge-
schah, welche von ausübenden Künstlern gelesen wird,
für die diese Gesetze doch besonders wichtig sind, so
gestatte ich mir, die Frage auch in der Innendekoration
zu beleuchten; vielleicht, daß der Gedankengang diesem
oder jenem etwas Neues bietet und zu weiterem Nach-
sinnen anregt, vielleicht auch, daß einer noch bessere,
durchschlagendere Gründe für die in der Tat auffälligen
Gesetze findet.

* * *

Viele freischwebende Ornamente und Einzelteile
von Ornamenten machen den Eindruck, als ob sie ge-
rade im Begriffe ständen, sich nach einer bestimmten
Richtung hin fortzubewegen. Bei genauerem Zusehen
finden wir, daß es sich in diesen Fällen stets um
Formen handelt, die mehr oder weniger zugespitzt sind,
und daß die Bewegungsrichtung regelmäßig nach der

zugespitzten Seite hin liegt. Die Entstehung dieser
Bewegungsillusion ist bedeutsam genug, um das Suchen
nach der Ursache zu rechtfertigen. Diese erkennen wir
bald, wenn wir außer Ornamenten auch andere spitze
Dinge an unserem Geiste vorüberziehen lassen: Beil,
Messer, Meißel, Nagel, Nadel, Pfriemen, Schraube,
Bohrer, Lanze, Pfeil, Schneepflug, Schiff, allerlei Tiere
mit spitzen Schnäbeln oder Schnauzen, Schwalbe,
Fuchs, Maulwurf, Schlange, Hecht und einzelne Teile
dieser Tiere, Nägel, Krallen, Hörner usw. Alles das
bewegt sich entweder aus eigener Kraft oder wird be-
wegt und muß spitz sein, um Hindernisse, Luft, Wasser,
Erde, Holz usw. leicht forträumen zu können. Da nun
fast alle Dinge, die sich wirklich bewegen, nach der
Bewegungsrichtung hin spitz sind, so erwecken auch
alle ruhenden Dinge, welche spitz sind, in uns unwill-
kürlich die Empfindung, als ob sie sich gleichfalls fort-
bewegten oder wenigstens bewegen wollten und zwar
nach der Richtung ihrer Spitze hin. So ausgesprochen
ist diese Empfindung in uns, daß wir beim Zeigen
nicht nur den Arm möglichst weit vom Körper ab-
heben, sondern auch die Hand durch Vorstrecken des
Zeigefingers noch spitzer machen, als sie unter gewöhn-
lichen Umständen schon ist.

Zu dieser Bewegungsillusion gesellt sich eine zweite
nicht minder wichtige. Sie beschleicht uns beim An-
blick aller Ornamente, die mit einem Ende auf einer
festen Grundlage »wurzeln?. Diese Ornamente scheinen
sich zu recken, zu strecken, sie scheinen zu »wachsen«
nach der der festen Grundlage entgegengesetzten Richtung
hin und zwar auch dann, wenn sie sich nach dem freien
Raum hin verbreitern und »verästeln«. Daß diese
Illusion durch den Vergleich mit der uns umgebenden
Pflanzenwelt hervorgerufen wird, ist ohne weiteres klar;
schon die eben betonten Worte »wurzeln, wachsen,
verästeln«, welche häufig benutzt werden, deuten darauf
 
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