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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Lang, Heinrich: In Weißenburg am Nachmittag des 4. August 1870: aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0021

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Weißenburg LIN Nachmittage des 4. August 1870

Davor war ein großes Wehr, an dem ich ein famoses
Reiterstückchen beobachtete. Artillerie fuhr durch das
Wasser und ließ dabei die Pferde saufen; einer ihrer
Unteroffiziere, der auf das vielleicht 2 Fuß hohe Wehr
geraten, zwang sein Pferd zu einem gewaltigen Satz in
die Flut, ein Übereifer, der ihm wohl meine Bewun-
derung, aber auch einen tüchtigen Rüffel von feite seines
Hauptmanns zuzog. In der Mühle wimmelte es von
Soldaten, auf der Straße dito, eben wimmelten auch
noch die Ulanen über das Brückchen und in diesem Ge-
wimmel, während es draußen noch tüchtig krachte, wollten
alle, darunter auch wir, versuchen, Eßbares zu erhalten
oder zu finden. Von unseren praktischen Feldgeistlichen
hatte einer eine Bouillontafel, der andere eine Büchse
Fleischextrakt in der Hand, um eventuell damit das

„Lauterwasser" in Fleischsuppe zu verwandeln, als ich
von der edelmütigen Müllerin ein Restchcn Gries erhielt
und mit Hülfe der „gesamten Gottesgelahrtheit" ein ganz
genießbares Dekokt, „Griessuppe" genannt, herstellte,

welches uns vortrefflich mundete. Später machte der

Herr Vikar aus einer neuen Art „Kassee-Extrakt-Tablctten"
einen ganz anständigen Nachmittags-Mokka.

Wir hatten uns wieder zu den Wagen begeben, wo
gerade Oberlieutcuant v. Hartmann, der Sohn des Generals,
ein ebenso flotter, als eleganter und liebenswürdiger
Reiteroffizier, die Quartier-Billets verteilen ließ, und

uns über die Einteilung der Stadt in ein blaues, gelbes,
rotes und weißes Viertel belehrte, wonach die Quartier-
Billets von der Mairie auch eingerichtet seien. Ich be-
kam mit zwei Herren von der Post ein Gelbes für das
Gasthaus zum Schwan. Plötzlich ging aber ein unsinniger
Spektakel los, ein wahres Gebrüll, und da Hauptmann
v. Aussin eben die Fahrzeuge wenden ließ, um festeres
Terrain zu suchen, mochte das allerdings Grund zur An-
nahme geben, wir zögen uns vor einem erneuten Angriff
der Turkos zurück; denn nur Turkos konnten so brüllen!
Alles stutzte, was das zu bedeuten habe, um so mehr,
als auch ganz nahe ein paar starke Detonationen zu ver-
nehmen waren, jetzt nahte sich der Spektakel der nächsten
Ecke und nun beginnt auch bei uns der Lärm, den also
nicht bloß Turkos so machen können — die Ängstlichkeit
schlug in Jubel um: Um die Ecke kam der Kronprinz
geritten, mit der Pfeife in der Hand, grüßend, von
seiner Suite gefolgt, von begeisterten Soldatenhaufen
umgeben!

Ich schloß mich dem Zuge an, in der ganz richtigen
Erwartung, der Oberfeldherr werde wohl die hauptsächlich-
sten Punkte des Gefechtes abreiten; vom Landauer Thore
kam er, gegen den Bahnhof zu ritt er. Ich lief jetzt noch
nicht mit bis dorthin, denn ich fand unterwegs das reichste
und interessanteste Material beim ersten Schritte in den
um die Wälle führenden Promenaden. Da war gleich
am Anfang ein Thorwürter- oder Zöllncrhäuschcn, in
welchem sich Turkos verteidigt haben mußten; zwischen
den Blumenbeeten, unter den das Hänschen umrankenden
Weinreben re. lagen die Toten. Die Fenster waren zer-
schlagen, die Jalousien zerbrochen. Alles voll Kugel-
spuren; auch die daneben liegenden Anwesen zeigten
allerlei Verwüstungen durch heftigsten Kampf. Da war
ein hübscher glänzend lackierter Gartenzaun niedergerissen;
man sah deutlich, daß er durch gleichmäßiges Wippen
einer großen Anzahl Leute auf einen Ruck nmgeworfen
wurde. Es lagen zwei der „Wipplinger" darunter,

mausetot, die stacketen des Zaunes noch in den erstarr-
ten Fäusten. Die Alleen mit kleinen Gebüschen,
Plauder- und Ruhesitzen ganz elegant adjustiert, waren
natürlich vom Wall aus scharf unter Feuer genommen
gewesen und so der letzte Ruheplatz manches braven
Bayern und Preußen geworden.

Eigentümliche Empfindung — ich war die einzige
lebende Seele ans dieser hübschen Promenade, alles sonst
vorhandene Publikum war tot; es hatten sich eben die
Truppen meist links zum Bahnhof oder rechts in die
Stadt gewandt, und noch immer knallte es von den
Höhen herüber, und aus den Thälern über Weißenburg
draußen hörte mau das Knattern entfernten Jnfantcrie-
feuers. Hier befanden sich gar keine gebliebenen Fran-
zosen, lauter Landsleute, die Verwundeten schienen alle
schon versorgt, — was hier herum liegt, braucht offen-
bar keine Hülfe mehr.

Aber halt, da vorne auf der Bank sitzt doch einer,
der ist bloß verwundet; s'ist ein Preuße, mir mit dem
Rücken zugckehrt, er hat ein verwundetes Bein, welches
er mit beiden Händen aufgehoben hält und nachdenklich
betrachtet. Ich trete näher, ihm meine Hülfe anzubietcn
und sehe jetzt erst, daß er außer der Fleischwunde durch
den Oberschenkel auch noch einen Schuß mitten in die
Stirn hat: er ist tot, aber seine ineinander verschlun-
genen Hände halten den Fuß über dem Knie frei in
der Luft baumelnd! Außer einem Zuaven hinter Frösch-
weiler, welcher, mit abgerissenem Oberkopf, in einem
Graben sitzend den Verschluß seines Chassepot in der
einen Hand, mit der anderen das Gewehr balanzierte —
wohl das merkwürdigste Beispiel von Totenstarre, welches
mir vorgekommen.

Am Bahnhof, der auch vom Gefecht bös gelitten
hatte, ging es schon lebhafter her, obgleich auch hier
Tote genug herumlagen; es schienen die Jnnen-Räume
als Lazareth benützt, davon hatte ich schon vorhin einen
annähernden Begriff bekommen — außen auf dem Perron,
neben und vor dem Stationsgebäude, waren teils ge-
schlossene deutsche Abteilungen, teils gefangene Franz-
männer und ein großer französischer Wagenpark — ein
prächtiges, gut, solid und mit dem oliven-grüuen An-
strich zugleich praktisch und elegant aussehcndcs Material.
Das ist alles viel besser, als das unselige, und male-
rischer als das preußische „Blitzblau" angestrichen.

Gegen die Stadt zu passierte ich eine Ziegelei am
Eck der Straße, mit ihrer Umgebung und Staffage ein
so günstiges Motiv, daß ich es gleich flüchtig skizzierte
und kam dann — ich glaube durch das Hagenauer Thor
— wieder in die Stadt. Mich, den „inürmier",
sprachen die Leute an, aber es war mir bald zuwider,
stets die gleiche Leier zu hören von unserer Brutalität,
mit Kanonen auf ihre Häuser zu schießen, von dem
unerhörten Frevel, daß ein Granatsplitter ein Fräulein
mit einem Gebetbuch in der Hand in ihrem eigenen
Garten verwundet, von der Rache Gottes über uns, weil
ein zufälliges Geschoß ein armes junges Mädchen ge-
troffen, welches zuin Fenster hinaus lugte — kurz, es
war der ganz charakteristische Beginn jener geradezu
lächerlichen Klagen, welche dann in Viktor Hugos Rada-
montadcn über das heilige Paris, „das Herz der Welt",
gipfelten. Der Krieg ist etwas Schreckliches, sogar etwas
Scheußliches — aber die modernen Franzosen waren so
 
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