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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Lang, Heinrich: Der Tag nach der Schlacht bei Sedan: aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0099

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Der Tag nach der Schlacht bei Sedan

und hatte einem Jäger, der offenbar gerade vom Gesims
Munition geholt, den Leib aufgerissen und den Armen als
jämmerlich zerfetzte Masse durch das Zimmer geschleift,
das; von seinen Eingeweiden eine blutige Spur über die
Diele führte. Noch ein anderer war tätlich getroffen am
Fenster zusammengebrochen, und ein paar leichtere Ver-
wundungen hatte es außerdem, den Blutspuren nach zu
urteilen, noch abgesetzt. Während ich diese „Wereschagin-
Szene" erschüttert betrachtete, tönte von der Straße lustiges
Rufen und Jauchzen herauf, Pferdegetrappel und ein
Geklirr, wie von Schlittenröllchen, ließ sich hören, und
ich sah durchs Fenster, wie ein Peloton Chevaulegers
den ganzen eleganten, mit den grünen Postillons, den
bekannten Fuchsschweifen und Röllchen an den Geschirren
adjustierten kaiserlichen Wagenzug herausgeleitete nach
Napoleons jetzigem Aufenthaltsorte. Die Chevaulegers
schmunzelten, die Infanteristen schrieen ihr Hurra und
„Napoleon kaput", alles unten (mit Ausnahme der Fran-
zosen) war in der heitersten Laune, und ich brauchte nur
eine Kopfwendung, um an dem stummen, schrecklichen
Gegensatz den abernialigen Beweis zu haben, daß eine
Haupteigentümlichkeit des Krieges in der unvermittelten
Folge gräßlicher und lustiger Eindrücke besteht, wodurch
ein gewisser Ausgleich herbeigeführt wird, ohne welchen
wahrscheinlich keiner bei einem längeren Krieg in seinen
Geistes- und Verstandeskräften intakt bliebe. Ein kleines
Fetzchen von der Montur des armen zerrissenen Jägers
— man sollte gar nicht glauben, daß eine platzende
Granate so zierlich abschneiden könnte — nahm ich mir
zur Erinnerung mit; die verschiedenen Nippsachen rc.
ließ ich unberührt, wie sie standen oder herumgeschleudert
mit den Trümmern der eingeschossenen Wand und des
zerschmetterten Kamins ini Zimmer lagen. Es wird manch
einer noch dieses ernste Bild nach mir erblickt haben,
gegen welches die »ckeruiere cartucbe« von Neuville
noch ziemlich zahm ist. O, wir könnten auch in „Gräß-
lichkeiten" machen! Heute gab es deren in Hülle und
Fülle.

Kaum wieder auf der Straße, begegnete ich dem
Kommandeur der Jäger, Oberstleutnant v. Gumppenberg,
den ich befragte, ob ich wohl durch die Stadt über die
Maas kommen könne, denn mein Sinn stand vor allem
nach dem Terrain der gestrigen Attacken; das mußte ich
um jeden Preis betreten! „Aber, Lieber", antwortete
er, „wo denken Sie hin! Hinein kämen Sie am Ende
schon mit Ihrem Samariter-Kreuz am Arm, aber durch?
keine Idee! Kommen Sie lieber mit da vor ans Thor
von Torcy, da sehen sie auch was Interessantes, dort
haben sie den Wimpffen in der Arbeit, der immer »och
nicht einsehen will, daß er kapitulieren muß." Spruchs,
faßte mich unter den Arm, und nach ein paar hundert
Schritten waren wir am Festungsthor, unter dem sich
wirklich die angekündigte Szene höchst interessant abspielte.

Ein preußischer Generalstäbler, Hauptmann Zingler,
von einer Eskorte unserer Taxis-Chevaulegers begleitet,
plagte sich in der That ab, an der Hand von Karten
und den französischen General Reille zum Zeugen, (den-
selben, der gestern abend Napoleons Brief überbracht),
den zähen Wimpffen zu überzeugen, daß er nachgeben
müsse. Die Gruppe — natürlich zu Fuß — beiderseits
hielten Ordonnanzen die Pferde — war nicht nur ihrer
denkwürdigen Verhandlung wegen, sondern auch malerisch
interessant, besonders ein wunderbarer Kerl von Trom-

peter zog mich an. Der hätte geradezu in den 30jährigen
Krieg gepaßt; unter dem dicken Kolpak der Guides saß
ein verhauenes martialisches Gesicht mit einem Riesen-
schnurrbart auf einem kurzen Hals über der roten pelz-
besetzten Husarenjacke, und mit dem ungebrochenen Be-
wußtsein seiner kriegerischen Präponderanz als Angehöriger
der „alten Garde" hielt er kokett seine große Trompete
aufgesetzt, an welcher ein elegantes grünsamtenes Fahnen-
tuch mit reicher Goldstickerei und ditto Quasten wie zur
Parade befestigt war. Unter einem hochaufgepackten Sattel
zuckte sein dicker, müder Schimmel mit den Beinen und
ließ an Farben-Variationen durch Staub, Schmutz, viel-
leicht auch Blut in malerischer Beziehung nichts zu wün-
schen übrig. Neben ihm ein auch recht mitgenommener
Lancier, der die Parlamentär-Flagge auf seiner Picke in
großen Zipfeln geknüpft trug, hatte nicht einmal eine
Csapka auf, sondern die gewöhnliche Holzmütze (das so-
genannte »bannet cke Police«), welches die franzö-
sische Kavallerie im Stalldienst und Biwak zu tragen Pflegt.
Die zwei Kerls mußte ich haben und hatte kaum
begonnen zu zeichnen, als ein brauner Samtrock mich
lebhaft umarmte, und siehe da: Freund Pietsch aus Berlin
stand vor mir, freudig erregt, wie auch ich, über ein Zu-
sammentreffen unter so denkwürdigen Umständen. Als lang-
jähriger Reporter erklärte er mir gleich in raschen Worten
die Situation und Persönlichkeiten. Eben war ein eleganter
Chasseur-Offizier mit Handpferden, welche ein, der grünen
Livree nach kaiserlicher, Reitknecht führte, auf der
Bildfläche erschienen. „Das ist Prinz Murat", rapportierte
Pietsch, „der will zu Napoleon hinaus, da ists ange-
nehmer, als in dem eingeschlossenen Nest da drinnen!
Sehen Sie nur, wie Hauptmann Zingler dem bockbeinigen
Wimpffen zusetzt!"

Wirklich schien die Verhandlung sehr erregt zu werden,
die Franzosen sperrten und wandten sich ganz entsetzlich
unter der für sie unerhörten Zumutung einer Kapitulation
und brachen in solche Lamentos und Vorstellungen gegen
unseren Parlamentär aus, daß man sie wohl hätte auf
das in Eisen gegossene Plakat auf einem der Thor-
Pfeiler aufmerksam machen können, das wie ein Hohn des
Schicksals über ihren Häuptern verkündigte: »Oa mencücite
est ckelenckue ckans la. ville äe Leckan.« Ich frage: Gibt
es keinen Humor im Kriege?

Nur Wimpffen bewahrte eine gewisse Würde und
mochte einem wohl Bedauern einflößen, als braver nuv
schneidiger Soldat vor eine solch' traurige Entschließung
gestellt zu sein. Die zwei Kürassiere, die düster und ruhig
hinter ihm hielten, boten einen interessanten Gegensatz zu
dem Plappern, Schreien, Zanken und Johlen, welches von
den mit einer disziplinlosen, vielleicht sogar meuterischen
Soldateska dichtbesetzten Wällen heruntertönte. Auch eine
Menge reiterloser Pl^rde grasten und kletterten an den
Rasenteilen des Walles herum; ein paarmal rutschte eines
dieser armen Tiere hinunter in den Graben, was dann
wieder ein stürmisches Gebrüll jener Massen zur Folge
hatte. Am tollsten aber war es, wenn wegen der ab und
zu passierenden Adjutanten rc. das innere Festungsthor
geöffnet werden mußte. Alsdann ergoß sich unter einem
Riesenspektakel ein ganzer Schwarm Mulis, Pferde und
auch Menschen heraus, wie wenn sie gewaltsam von innen
geschoben würden, und das mag wohl auch der Fall
gewesen sein, denn es kostete jedesmal viele Mühe und Zeit,
sie wieder zurück hinter das Fallgatter zu bringen. Dem
 
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