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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Brachvogel, Carry: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden!": eine Weihnachtsgeschichte aus dem Künstlerleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0119

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SS

Lbre sei Gott in der kiöhe und Frieden aus Lrden

„Ja, ich will vernünftig werden", sagte Rolf sehr
langsam und nickte wie geistesabwesend mit dem Kopf,
„aber macht Licht, Licht, ich kann die Dämmerung nicht
leiden, — ich meine immer, ich müßte verrückt werden."

„Was war denn das für eine Musik vorhin?"
fragte Erich, ohne auf ihn zu hören,

„Musik? — ach meine Geigerei — ich weiß nicht,
was es war; nichts, ich spielte nur, wes mir gerade ein-
fiel. — Nicht wahr", fügte er dann bitter lachend hinzu,
„ich könnte ein Zigeuner sein. Aber" — er fuhr sich
mit der Hand über die Stirn, als wollte er sich die
schlimmen Gedanken wegwischen, „du Faulpelz da drüben",
rief er mir lebhaft zu, „steck' die Lampe an, ich mache
den Thee und wir spielen dann einen Skat." Er ging
an seinen Schrank, nahm Tabak heraus und rollte sich
eine Zigarette, dann holte er aus dem Nebenzimmer, in
welchem Erich schlief, die Theemaschine herein.

„Ich glaube, wir stehen vor einer Krisis", flüsterte
ich, während er draußen war, dem andern zu; der zuckte
die Achseln.

„Weißt du schon", sagte er laut zu mir, „daß ich
mein Stillleben verkauft habe?" — „Ja richtig", meinte
Rolf, eben zurückkommend, „ich habe vorhin ganz über-
hört, an wen?"

„Der alte Goldschmidt hats gekauft", entgegnete
Erich leichthin.

„Goldschmidt?" fuhr Rolf auf und setzte das Servier-
brett mit der Maschine klirrend auf den Tisch, stützte sich
dann mit beiden Händen auf und stierte vorgebeugt den
Freund an; er sah schrecklich aus, die rötlich-blonden,
außergewöhnlich starken Haare hingen in halblangen Locken
in die weiße Stirn, unter der die Augen mit dem Aus-
druck des Entsetzens flammten. „Goldschmidt?" wieder-
holte er in höchster Aufregung.

Erich war durch das stete Beisammensein mit Rolf
zu sehr an seine Absonderlichkeiten gewöhnt, vielleicht
hatte er die Wirkung seiner Worte vorausgesehen und
beabsichtigt. —

„Ja", meinte er mit dem ihm eigenen Phlegma,
„und zwar bin ich da hinter einen ganzen Roman ge-
kommen ; es ist ein Teufelskerl — wißt ihr, für wen der
alte Sünder das Bild gekauft hat? Als Weihnachtsge-
schenk für" — er zögerte eine Weile, da stieß Rolf
hervor:

„Luisita."

Jetzt fuhr Erich auf. — „Du wußtest es schon?"
Rolf reckte sich und sagte schwerfällig: „Ja, ich habe ihn
vorhin gesprochen."

Es war nicht wahr, aber keiner von uns wider-
sprach.

„Hast du Luisita lange nicht gesehen?" fragte Rolf
nach einiger Zeit und steckte die Spiritusflamme an.

„Seit Wochen nicht." Die Unterhaltung stockte
wieder, es war mir noch nie so schwer geworden, ein
Gesprächsthema zu finde», ich hatte das dumpfe Gefühl,
daß etwas vorging, und wußte nicht was. Wir spielten
keinen Skat, Rolf hatte sein Skizzenbuch hergenommen
und begann zu zeichnen, Erich qualmte träumend eine
Zigarette nach der anderen, und ich las in einem mehrere
Wochen alten Zeitungsblatt, das ich ans der Kommode
gefunden hatte. Es war ein recht unerquickliches Bei-
sammensein. Ich blickte von meiner Lektüre auf uud
verstohlen zu Rolf hinüber; er war ein schöner Mensch,

auf einer großen prächtigen Gestalt saß einer der inter-
essantesten Köpfe, die ich je gesehen, er erinnerte mich
immer an die Büste des Septimius Severus, eine breite,
nicht sehr hohe Stirn über großen dunklen Augen, eine
starke Nase, ein von dichtem, blonden Bart beschatteter
Mund — dazu das seltsame, wie rotes Gold schim-
mernde Haar.

Endlich stand ich auf, trat hinter Rolf und sah ihm
über die Schulter; es war wieder eine jener Zeichnungen,
wie er sie seit einem halben Jahr zu Hunderten gemacht
hatte, in denen er sein ganzes reiches und schönes Talent
zersplitterte, wunderbar und phantastisch, und immer war
Luisita oder der Gedanke an sie das Thema; die heutige
Skizze zeigte einen Mann im vergeblichen Kampf mit
einem drachenartigen Geschöpf, das einen schönen Frauen-
kopf trug und seine gewaltigen Krallen in die Brust seines
Opfers eingehauen hatte, während der schuppige Schweif
den schon Ermatteten in furchtbarer Ninringung hielt;
das medusenhafte Antlitz trug die Züge Luisitas.

Plötzlich wandte sich Rolf um und sah mich mit
zornigem Blick an: „Was guckst du mir immer zu?"
rief er, schlug sein Skizzenbuch zu und warf den Blei-
stift fort.

„Oho!" wollte ich rufen, doch er sprang hastig auf,
nahm seinen Mantel um und stülpte seine Mütze hastig
auf die Locken.

„Wohin?" fragte Erich, aus seinen Träumen er-
wachend, doch Rolf hörte nichts und war hinaus.

„Zitternd vor Frost steh' ich vor deinem Fenster",
trällerte Erich; er verstand den Freund wenig, bisher
hatte ich aber gehofft, seine Ruhe, sein kühles, aufregungs-
loses Temperament, seine überaus praktische Lebensauf-
fassung werde auf den schon immer zur Exaltation, seit
einiger Zeit aber auch zur Schwermut neigenden Rolf
einen günstigen, etwas dämpfenden Einfluß ausüben, ich
begann zu zweifeln, denn Rolf regte sich über nichts
mehr auf, als über Erichs Fischblut, wie er das nannte.

Rolf war ein sonderbarer Kauz, aber das sonder-
barste an ihm waren seine Beziehungen zu Luisita, der
schönen Kreolin, wie sie in ganz Berlin hieß. Sie war
plötzlich mit ihrer Mutter und zwei kaum erwachsenen
Brüdern in Berlin aufgetaucht; es war vor zehn Jahren,
und die ganze Welt war damals von dem alleinselig-
machenden Rollschuh beherrscht; überall waren die Skating-
rinks wie die Pilze nach dem Regen aus der Erde ge-
schossen, und Berlin hatte zwei derartige Etablissements,
das eine auf dem Terrain des ehemaligen Hofjägers, da
wo heut in prachtvollen Straßen Palast an Palast sich
reiht, das andere in der Bernburgerstraße; es steht noch,
ist jetzt aber höheren Zwecken geweiht, als dem Pseudo-
schlittschuhsport. Draußen auf dem vornehmen Skating-
rink am Tiergarten war sie plötzlich erschienen am Arm
eines jungen Mannes mit sehr vornehmem Namen, und
die ganze junge Männerwelt lag ihr zu Füßen, man
fetierte die schöne Fremde, wie das in Berlin unerhört
war, die jungen Damen der Aristokratie schlossen mit ihr
Freundschaft, trotz ihres bürgerlichen und sogar etwas
orientalisch klingenden Namens, — sie war ja eine Aus-
länderin, und das ist vielfach die beste Empfehlung, und
wenn Luisita Abends vom Rink nach ihrer Wohnung am
Kanal in der Nähe des Halleschen Thors heimkehrte,
war sie stets von einem ganzen Cortege junger Cava-
liere begleitet, die sich sogar zum Teil in das Haus
 
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