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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Netto, Curt: Aus Japan
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0161

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,20

Aus Japan.

von L. Netto*)



o einfach und anspruchslos die Wohnung
des Japaners sein mag, sie ist deshalb
doch nicht gänzlich künstlerischen Schmuckes
bar. Die wesentlichste Zierde des Empfangs-
zimmers eines Vornehmen bildete der
lackierte Schwertstand mit den kostbaren Schwertern des
Besitzers. Das „Tokonoma", in wörtlicher Übersetzung die

*) Wir entnehmen diese unsere Leser besonders interessieren-
den Abschnitte dem schon ans S. 93 mit höchster Anerkennung
besprochenen Werke „Papierschmetterlinge aus Japan",
von C. Netto, mit gütiger Genehmigung der Verlagsanstalt
T. O. Weigel in Leipzig. Neben diesen für die bei aller Gründ-
lichkeit und scharfen Beobachtung doch durchgehends überaus
fesselnde Vortragsweise des Verfassers charakteristischen Stich-
proben des Textes geben wir in verkleinertem Maßstabe gleich-
zeitig einige ausgewählte Illustrationen wieder, auf die wir die
Aufmerksamkeit unserer Leser noch insbesondere lenken möchten.
Der begabte Düsseldorfer Künstler, P. Bender, entfaltet in ihnen
eine bewundernswerte Fähigkeit, sich in die Welt des Jnselreiches
einzuleben, und hat aus den Netto'schen Skizzen prächtig lebens-
wahre Augenblicksbilder japanischen Lebens gemacht. Endlich
gebührt auch der überaus geschmackvollen Ausstattung das höchste
Lob, wie dies Kunstfreunde bei einem Werke des bekannten
Weigel'schen Verlages auch nur gewohnt sein werden. Doch
setzen wir hinzu, daß letzterer in diesem Meisterstück selbst seine
früheren Leistungen noch in den Schatten stellt.

Schlafstätte, fwohl weil man da ursprünglich das Lager
bereitete, eine Art erhöhter Nische am Ehrenplatz des Hauses,
d. h. am weitesten vom Eingang entfernt, war ihin ein-
geräumt, und einem geehrten Gaste wird noch jetzt der
Sitz vor dem Tokonoma angewiesen; wenn auch die
Schwerter meist daraus verschwunden sind, so bildet es
doch noch den Kunsttempel des Hauses, wo eine Bronze-,
Nephrit- oder Porzellan-Vase, ein „Koro" — Räucher-
gefäß —, ein seltener Stein seine Aufstellung findet.

Unserem Brauch, zwei symmetrische Vasen aufzustellen,
huldigt der Japaner nicht; er hält dies für eine über-
flüssige Wiederholung, die ebenso zu vermeiden ist, wie
eine Tautologie in einer guten Rede. Wenn man ein
Vasenpaar findet, so kann man überzeugt sein, daß es
entweder, trotz der Versicherung vorsündflutlichen Alters
seitens des Händlers, für den Export hergestellt wurde,
oder dem Haus- oder Tempelaltar eines Buddhabildes
entstammt. Zur Ausschmückung desselben dienen allerdings
nach fremder, mit dem Buddhismus eingewanderter Sitte zwei
Vasen, zwei Leuchter oder Urnen und ein Räuchergefäß.

Der Besitzer von Kunstschätzen vermeidet es, vieles
auf" einmal im Tokonoma zur Schau zu stellen, das
möchte den Gedanken Hervorrufen, als wollte er mit
. seinem Besitz prahlen; die Fülle würde leicht den Eindruck
der einzelnen Sachen abschwächen, die Bewunderung bei
täglichem Anblick bald in Gleichgültigkeit übergehen und
außerdem müßte er riskieren, die Stücke bei einem der
häufigen Brände einzubüßen. Er bewahrt also die meisten
der Sachen wohlverpackt in seinem feuerfesten Schuppen
auf, benützt nur wenige zum jeweiligen Schmuck des
Zimmers, vertauscht sie aber mit anderen, wenn er sich
an ihnen satt gesehen hat. Ja, wenn er kunstverständige
Gäste erwartet, so trifft er seine Wahl womöglich ihrem
Geschmack entsprechend und sucht sie immer aufs neue zu
überraschen. Diese weise Mäßigung in der Menge des
Gebotenen scheint mir den Vorzug zu verdienen vor der
Überfüllung unserer Salons, mit ihren Gemälden, Waffen,
Tellern, Schilden, Konsolen, Büsten, Fächern an den
Wänden, mit Statuetten und Staffeleien in den Ecken,
mit Teppichen, Fellen, Kissen auf den Boden, mit Kron-
leuchtern, Ampeln, Vorhängen an dem Decken, niit Licht-
bildern, Dinaren und Vögeln an den Fenstern, mit
Albums, Prachtwerken und Photographien auf den Tischen,
mit Vasen, Lampen, Uhren, Möpsen, Schweinen und
tausenderlei Krimskrams auf Kaminen und Simsen, denen
oft nur die angeklebten Nummern fehlen, um den Ein-
druck eines Auktionslokales hervorzurufen. Sie lassen das
Angeldes Besuchers nirgend zur Ruhe kommen; vergeb-
lich sucht er nach einem Plätzchen, groß genug, um seine
Theetasse unterzubringen, er kann sich des unheimlichen
Gedankens nicht erwehren, daß hier früher oder später
etwas seiner Ungeschicklichkeit zum Opfer fallen muß.
Wie der japanische Geschmack in vielen Zweigen des
Kunstgewerbes der alten und neuen Welt seinen Einfluß
fühlbar gemacht hat, so bietet er sicher auch in dieser
Richtung Nachahmungswertes.
 
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