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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Kirchbach, Wolfgang: Über das Sehen der Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0177

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Über das Sehen der Maler

Apparate bei weitem genauer funktionieren, als die
freieren Schöpfungen der organischen Natur. Dennoch
diese wunderbare, unübertreffliche Empfindlichkeit und
Leistungskraft des menschlichen Auges!

Selten hat ein Naturforscher Gelegenheit viel mit
Malern zu verkehren. Er würde sein Staunen ver-
doppeln müssen, wenn er in der Lage wäre, das Schaffen
von drei oder vier Malern etwa von ihren Anfängen
bis zu ihrer Reife in allen Einzelheiten zu verfolgen.

Wenn der angehende Maler zum erstenmale die volle
Palette in der Hand hält, vor der leeren Leinwand
und der Natur steht und die Losung heißt: Mensch, hilf
dir selbst! da gehen die Wunder des empfindenden
Auges auf. Zunächst weiß man nämlich nichts. Auf der
Palette sind Farben, in der Natur sind Farben. Gut.

Es wird logisch sein, wir stellen den Grundsatz auf,
daß wir genau malen, was wir sehen. illll bien, fangen
wir an! Wir tauchen den Pinsel tief in eine Farbe,
welche wir dort in der Natur zu sehen meinen. Das
Häuflein Farbe hat denselben Ton, wie jene bestimmte
Stelle des Gegenstandes. Wir streichen die Farbe auf
die Leinwand und o wehe! Der blaue Zauber ist ver-
schwunden; auf der Leinwand sieht das Ding ganz
anders aus. Endlich haben wir durch Probieren, welches
in der Malerei immer über das Studieren geht, weil in dieser seltsamen Kunst Probieren und Studieren einerlei
ist, den Ton der Natur in bunter Treue auf der Leinwand. Wir haben Teufelszeug von Farben durch-
einandergemischt; endlich haben wir ungefähr das, was wir zu sehen glauben. Wir singen vor Freude: „Wenn
ich einmal der Herrgott wür!" und möchten gleich unsere ganze „Allmacht" hernehmen in der Überzeugung,
daß wir dem Geheimnis des Malens nunmehr auf der Spur sind! Wehe! Vae et dolor! wie König Jakob
sagt! Wir haben einen anderen Ton daneben gesetzt, der ganz Natur schien, aber was ist Entsetzliches ge-
schehen?! Was wir erst gemalt, das scheint nicht mehr, das wirkt nicht mehr, das ist nicht mehr. Ist es
denn möglich, daß eine Farbe von der anderen abhängig ist?! Was wissen wir von Komplementärfarben und
wenn wir es wüßten, was würde es uns helfen! Daß dieser chemisch-physikalische Apparat, genannt Auge,
wenn er ein Grün sieht, stets zugleich ein Rot mit in die Natur hineinschaut, ohne daß es dem Auge zum
Bewußtsein kommt, daß die unendlich verfeinerte Nüance der Malerfarbe, die wir aufsetzen, im Auge des Be-
schauers stets zugleich die unendlich feine Empfindung gewisser Komplementärfarben in die Nebentöne hinein-
sehen und diese mitbestimmen läßt nach ihrer »valeur«, nach ihrem Werte, das ist das nächste peinliche Ge-
heimnis der Natur, mit dem wir uns Jahre lang Herumplagen können und doch nichts, als hartes, unver-
mitteltes Zeug malen lernen, wenn unser Auge, zufolge malerischer Begabung, nicht allmählich eine gesteigerte
Sensitivität für das Detail der farbigen Erscheinung gewinnt. Kein Mensch kann uns Helsen, selbst der Meister
nicht, der uns einige praktisch-technische Ratschläge geben und übrigens nur „korrigieren" kann, was da ist.
Aber wir überwinden auch das alles, wir malen kleine Bilder und haben unterdessen in der Natur tausend
Farbentönchen sehen gelernt, die kein Laie in seinem Leben jemals sich zum Bewußtsein bringt. Dem Glück-
lichen ist ja eine Nase in der Natur weiter nichts, als eine Nase, die allenfalls noch krumm oder gerade ist.

Aber uns farbensehenden Malern, was ist sie uns! Da sehen wir ein Dutzend Farbentönchen, für welche die

Sprache überhaupt keine Namen hat, darum die Weisheit vieler Kunstschriftsteller und Kritiker immer gerade
da aufhört, wo die Malerei beginnt. Und diese Tünchen arbeiten ganz geheimnisvoll ineinander hinein, einer
macht dem andern Komplimente und wir haben gelernt, ohne es selbst zu wissen, die ganze Welt von Kom-
plementärwirkungen, welche im Auge des Beschauers erzeugt werden müssen, damit ihm die Sache naturwahr
erscheint, mit hervorzubringen. Luft, Licht, Reflexe, Lokalfarbe, Glanzlichter, Halbtöne und Schattenton, alles
will gesehen sein und daraus wird erst die Nase!

Gut. So weit wären wir. Da lächelt uns Fortuna. Fortuna bestellt ein großes Bild bei uns.

Wir meinen: malen können wir nun. Aber „wehe, wenn sie losgelassen, wachsend ohne Widerstand!" Schrecken-

volle Enttäuschungen stehen uns bevor. Wir haben einen famosen Karton gezeichnet, die Perspektive nach allen
Regeln der Kunst konstruiert, der Feldzugsplan scheint vortrefflich. Da fällt der erste Schuß, d. h. die erste
Farbe kommt ins Bild. Er erscheint uns sehr bald als Beginn unserer vollständigen Niederlage. Zunächst ist
es mit aller Perspektive aus. Wir kommen einer höchst eigentümlichen Thatsache auf die Spur, daß gewisse
 
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