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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Heilbut, Emil: Über die Kunst in England, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0197

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,48

Über die Kunst in England

ihnen so fern steht wie das deutsche Publikum, vielleicht
am besten dadurch näher kommen, daß man die Prä-
raffaelitinnen zuerst studiert.

Sie sind blond, sie haben Schmachtaugen, sie müssen
Locken haben, das ist ein Axiom; sollten sie keine haben,
müssen sie auf künstlichem Wege erzeugt werden und sie
sind schlank wie Tannen; sollten sie nicht schlank sein, so
machen sie sich doch wie Jokeys durch unzureichendes
Esten mager. Sie gehören zur guten Gesellschaft und
wenden viel Geld auf ihre Toilette, aber nichts verschlägt
es, nur der Eingeweihte oder die Bundesgenossin weiß
ihren Wert zu würdigen, der Außenstehende, die prak-
tische Hausfrau, das Ehepaar, das nach London kam,
werden ihre Toilette mit Befremden sehen, sich sehr wun-
dern und die Toilette schlampig finden. Man vergebe
dieses Wort, aber diese Damen sehen wirklich kaum anders
als dieses Wort aus, sie sind ins Spiritualistische ver-
flüchtigt und völlig in Unordnung, absorbiert durch ihre
Ideen, von innen verzehrt, sie sind der Geist, sie sind die
Flamme, aber sie stehen nie vor dem Spiegel, um sich
die Haare zu machen. Doch das sag ich? Freilich stehen
sie, und gar oft vor dem Spiegel, aber nur um sie sich
in Unordnung zu machen, es ist zurückgetretene Eitelkeit.
Nicht ausgestattet genug, um schön zu sein, wollen sie
aus dem, was sie besitzen, so viel Hervorbringen, daß es
wenigstens interessant wird. Ein Vorgehen, das, wie es
bei diesen Damen zum Widerspiel zwischen schön und in-
teressant — bei der Kunst der Künstler, die das erste
Vorbild dieser Damen waren, zum nämlichen Widerspiel
geführt hat; ganz leise, und sehr unter uns gesprochen.

Warum hat dieses verehrte Fräulein über ihrem an
sich ja herrlichen Unterkleide aus schwarzem Samt noch
eine Art himmelblauen Schlafrocks? warum ist ihr Kleid
da, wo es am engsten sein sollte, nämlich bei der Taille,
am weitesten? warum hat sie bei dieser außerordentlichen
Sonnenhitze, die wir an dem heutigen Donnerstage haben,
ihren Hals dicht mit einem orangefarbenen Taschentuch
umwickelt? warum hat sie auf ihrem Maltischchen der
National - Gallery, das so klein ist, doch alles Not-
wendigste übereinander gehäuft, damit Platz werde für
ein buntes Glas, aus welchem Sonnenblumen nicken?
warum? warum? Weil sie ästhetisch ist, ästhetisch von
Leib und Seele, von Gefühl, Geschmack und Parfüm.

Man vermißt in England als Fremder das Bier
sehr, d. h. keineswegs das Bier, sondern die Gelegenheit,
es zu trinken. Während bei uns in Deutschland der
Mann der Mittelklasse die Gabe des Gambrinus mit
Liebe nimmt und es sich wohl auch ereignet, daß er sie
in Gasthäusern aufsucht, was sich durch vieler Zeugen
Mund erhärten ließe, ist der Charakter des Biergenusses
in England ein völlig anderer. Nicht die gute Mittel-
klasse trinkt hier in den Gasthäusern, sondern diese scheinen
nur für die Hefe des Volkes allein zu sein; es sind ge-
miedene Lokale, in denen man nicht betreten werden darf.
Und der bessere Engländer tritt, wenn er im Sommer
in der City Durst hat, in ein Haus ein, welches fast
einer Konditorei gleichkommt. Er trinkt Limonade oder
Soda mit Milch; ja selbst viele eigentliche Restaurants
der Engländer scheinen erweiterte Konditoreien, vorne sind
die Kuchen und hinten die Steaks. Zwei Seelen zeigen
sich, möchte man sagen, in des Engländers Brust; zur einen
Hälfte ist er ein ernster Mann der Beschäftigung, völlig
Mann, trocken, bestimmt, geschäftlich imposant und am

Abend in seinem Privatleben, im Ehestand, ereignet sich
die Reaktion, da herrscht das Element des Weiblichen,
reizend mit Blumen ist der Tisch gedeckt, die oveetness
der weiß gekleideten Damen führt mit Zartheit die Unter-
haltung, es wird eigentlich wenig getrunken, man hat
auch liebenswürdig zu sein und nach aufgehobener Tafel
wird Musik gepflegt, Gesang mit sehr viel Hingebung,
wenn auch nicht stets mit Beruf getrieben, die Töne
dringen durch die unten aufgezogenen Fenster über die
viereckigen zartfarbigen Blumentöpfe auf die Straßen, die
Wege, die Gärten und Parks hinaus, und es ist ein still
beschauliches Sinnen auf den Veranden in der Sommer-
nacht, mit zwanglos gestattetem Übereinanderschlagen der
Beine und träumerisch aufsteigendem Dampf der Zigarre,
die schöne Luft des Hyde-Park weht herüber und trägt
den Duft der Rhododendren zu dir, dem Entzückten.

Ich entfernte mich nur scheinbar von meinem Thema.
Ich habe erweisen wollen, daß nicht minder wie die Ver-
nunft und die Richtung aus Nützliches in der Kunst des
früheren England national war, auch ihr neuer Geist
einer Seite des englischen Charakters entspricht, die eben-
so echt ihm angehört, wie die bei uns bekannten Züge.

Ebenso englisch wie die Humorbilder der früheren
Generation, wie ihre Freude an gelungenen Exemplaren
der Viehzucht ist die jetzt herrschende Neigung zu roman-
tischen Gegenständen mit der Anlehnung an Gedichte, mit
sanfter Schwärmerei und thatenloser Betrachtung; ja sie
stellt genau die ergänzende Hälfte dar, die nur nicht neben
der anderen herlief, sondern ihr folgte. Jemand sagte
einmal, wir könnten bei den Strömungen der Kultur ein
Wechseln zwischen vorwiegendem Einfluß des männlichen
und des weiblichen Elements verfolgen. Nun wohl, die
jetzige Kunstströmung Englands, die Interesse hat und nicht
nur für den Markt arbeitet, hat ein hauptsächlich weibliches
Gepräge, die Träger derselben, wenn sie auch Männer sind,
sind frauenhaft angehaucht, ihre Seelen träumen sich aus
dem rasselnden England der Dampfhämmer und Eisen-
bahnen fort in ein Italien der alten Zeit hinein, wie
es in den Bildern lebt und in dem es still ist wie nach
dem Mond zu sehen und in welchem große Blumen
gleich Heines Lotosblumen am Ganges emporschießen über
Nacht und dich betäuben mit süßen Empfindungen.

Das ist die Reaktion auf die bis zur Unerträglichkeit
vorzügliche Gesundheit, nach den roten Backen in John
Bulls früherer Periode kam die blasse Farbe der Bil-
dung in seine Kunst, seine Kunst wurde in die Mitte
seiner Frauen gestellt! Und in dieser Übergangszeit, in
dieser etwas gequälten Einfügung und Anpassung ihrer
Kunst in alte Zustände eines fremden Landes konnten bis
jetzt die Gestalten, die man als derartige Traumbilder
aus Italien vorführte, noch nicht zu vollem Leben er-
wachen, und sie werden es am Ende nie — sie haben
etwas Schmerzvolles, etwas nervös Gequältes zu eigen,
ein etwas Wollendes und doch nichts Erreichendes be-
kommen, das sie freilich unzulänglich macht, aber das
trotzdem ihnen, wenigstens in unseren Augen, erst das
Recht zu existieren gibt. Denn eben dieser schmerzliche
Zug der Unzulänglichkeit, dieses nicht Können ist der erste
und auch einzige wirklich charakteristische Zug dieser Ge-
stalten und er macht sie allein in der That zu modernen
Gestalten trotz der altitalienischen Einhüllung. Wären
sie besser altitalienisch, so würden sie nichtswürdiger im
ganzen sein, denn sie würden dann nur archaistische
 
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