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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pietsch, Ludwig: Louis Gallait und die Berliner Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0238

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6ouis Gallait und die Berliner Kunst

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Kletke, der damalige Ausstellungskriliker der „Vossischen Zeitung", an der Spitze. Tarauf brachte die Nummer
vom 30. November ein neues E. Di. umerzeichnetes „Eingesandt", welches eine schneidende grausame Kritik
Lessings und in ihm eigentlich der ganzen Düsseldorfer Geschichtsmalerei enthielt. Darin findet sich der fol-
gende Satz: „Die alten Meister gaben uns frisches Leben, großartige Naturharmonie und Zauber eines Kunst-
werkes. Statt dessen erkennen wir in den Resultaten, die Lessing aus seiner Zurückgezogenheit zu uns schickt,
nur vergrößerte illuminierte Bleistiftzeichnungen ohne Mark und Körper; ein Leben, das kein Leben,
eine Farbe, die keine Farbe, ein Lokal, das kein Lokal ist. Das mag hart und anmaßend klingen. Es ist
aber unsere Meinung und wir sprechen sie in der besten Absicht aus, weil endlich uns die Wvhlthat wider-
fährt, daß neuere Werke vor uns stehen, die unseren Worten das Siegel der Wahrheit aufdrücken für die-
jenigen, die sehen wollen und können."

Jenes Wort: „illuminierte Bleistiftzeichnungen" traf recht eigentlich den Nagel aus den Kopf. Es ist
zum geflügelten Wort geworden. Es hat für die deutsche Malerei eine ähnlich erbitternde, aber auch auf-
stachetnde und schließlich wohlthätige Wirkung gehabt, wie Reuleauxs berühmtes „billig und schlecht" für das
norddeutsche, besonders Berliner Kunstgewerbe. Der ganze verkehrte Prozeß der bis dahin bei den Deutschen
gebräuchlichen Art Gemälde zu konzipieren, war damit gekennzeichnet. Sie waren nicht farbig und in ihrer
gesamten Tonstimmung und Haltung innerlich augeschaut und gedacht, sondern als graue schattierte „Bleistift-
zeichnungen" oder Kohlenkartons, denen dann erst nach ihrer BvUeudung die Farben gegeben wurden. Für
jene belgischen Gemälde aber traf das Gegenteil zu. Wie sehr den als Autoritäten geschätzten kunstgelehrten
Kritikern jener Tage jedes Verständnis dafür verloren gegangen war, daß ein Gemälde eine solche „illumi-
nierte Zeichnung" nicht zu sein habe, bewies die in einer Besprechung der Bilder von einem solchen weisen

Thebaner aufgestellte Behauptung: das Wesentliche in jedem Bilde sei — der Umriß. Dran zeichne nur einmal

die Umrisse des Gallait'schen oder des Biefve'schen Gemäldes und daneben die des Lessing'schen „Huß" und man
werde sofort erkennen, wie tief jene Werke unter diesen ständen.

Wie in der Presse, in den Salons wie am Theerische, in den Vereinen und Künstlerkreisen, wogte die
Debatte über den höheren oder geringeren Wert der belgischen und der deutschen Dreister und Gemälde mit
gesteigerter Heftigkeit in den Ateliers und Akademieklasseu. Wer von uns für die ersteren' war, zur Fahne

Gallaits und der Biesves schwur, ließ sich demonstrativ die langen Haare, die „kraus verwirrten Locken", un-

barmherzig herunterschneideu und trug fortan sein Haupthaar kurz geschoren »ä In irurlcornorn« wie jene nieder-
ländischen und spanischen Edeln des 10. Jahrhunderts aus den belgischen Bindern. Die Gegner ließen die
Locken nur desto freier wallen und trugen mit Stolz den Spottnamen der „Hussiten".

Nachdem die beiden Bilder noch während des November in fenem so wenig dafür geeigneten Saal
ausgestellt gewesen waren, wurden sie nach dem weit hiuansgeschobenen Schluß der akademischen Ausstellung,
auf Wunsch des Königs nach der Rotunde des Museums am Lustgarten gebracht, wo sie freilich bei gänzlich
ungenügender Beleuchtung durch das Fenster oben im Kuppelscheilel her, doch wenigstens bei genügendem Ab-
stande in ihrer Gesamtheit überblickt werden konnten.

Die belgische Partei teilte sich bald wieder in zwei „Fraktionen". Man wurde nicht einig über die
Frage: wer von beiden Mechern ist der größere, begabtere, reifere in seinen Anschauungen und in seinem
Können? und welches der beiden Bilder verdient den Vorzug vor dem andern? Daß Gallait der Bedeu-
tendere sei, ist mir nie zweifelhaft gewesen und die Folge hat es glänzend bestätigt. Uber sein bisheriges
Leben und künstlerisches Schassen Hallen wir nur weniges in Erfahrung gebracht. Darnach war er 1810 zu
Tournay geboren und hatte seinen ersten künstlerischen Unterricht ans der dortigen Akademie durch den fran-
zösischen Maler Henneguin, ihren Direktor, erhalten. Schon seine ersten Bilder, in denen er biblisch-religiöse
Gegenstände behandelte, erwarben ihm ehrende Anerkennung, Preise und Aufträge. Im Studium der Werke
der alten Flamänder, des Rubens und Van Dyck in Antwerpen bildete er sein großes malerisches Talent
weiter aus. 1834 konnte er mit einer Unterstützung von seiner Vaterstadt sich nach Paris begeben, wo er un
Atelier von Paul Delaroche gearbeitet haben soll. Mehrere tüchtige Porträts, ein geschichtliches Bild, „Herzog
Alba", „Montaignes Besuch bei Tasso im Kerker", vor allem aber ein „Hiob mit seinen Freunden", das
vom Staat für die Luxembourg-Galerie angekauft wurde (1835), ein Bild für die historische Galerie zu Ver-
sailles, „Die Schlacht bei Mont-Cassel" (1837), hatten seinen Künstlernamen auch in Frankreich den geschätztesten
und bekanntesten der jüngern Generation ungerecht. Bald darauf war er in feine belgische Heimat zurückge-
kehrt. Dort in Brüssel halte er jenes große Gemälde der Abdankung Karls V. ausgeführt, welches in Gallaits
Vaterland, aber vielleicht mehr noch in Deutschland, so außerordentliche weitgreifende und nachhaltige Wirkungen
Hervorbringen sollte.

Sein Landsmann Ferdinand de Biefve ist um ein Jahr älter, 1809 zu Brüssel geboren, Schüler
der dortigen Akademie und des Malers Paelinck. Aber auch er dankte ebenso wie Gallait, seine künstlerische
Bildung wesentlich seinem Studium zu Paris, wo er von 1831 bis 41 arbeitete. Dort auch hatte er das
berühmte Hauptwerk seines Lebens „Die Unterzeichnung des Kompromisses der Edeln 1566" gemalt, das zuerst
 
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