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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pietsch, Ludwig: Louis Gallait und die Berliner Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0242

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von kndwig pietsch


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rührender Schönheit. Ihr Fuß ist verwundet und ver-
bunden. Sie kann nicht weiter wandern. Leise rührt
er mit dem Finger der Rechten, welche den Bogen hält,
die Saiten der Geige, die seine linke Hand gegen die
Schulter stemmt. Wehmütig und voll inniger Teilnahme
blickt er auf das Mädchen herab, dessen Händen das
Tambourin entglitten ist und dessen noch von den Thränen
des Schmerzes feuchte Augen sich im Schlummer ge-
schlossen haben. Heute können wir uns der Empfindung
nicht entziehen, daß die ganze Gruppe ziemlich theatra-
lisch zurechtgestellt, wie für ein lebendes Bild arrangiert
ist, daß die Stellung und der Ausdruck des Geigers
wenig zum Wesen eines solchen vagierenden, nacktfüßigen
Fiedlers passen wollen. Damals stand ganz Berlin unter
dem Bann des poetischen Zaubers, der von diesem Bilde
ansging, in dessen Farbe und Malerei man den Gipfel
der koloristischen Kunst erreicht wähnte. Von den anderen
Haupt-Gemälden Gallaits: Die Exekution Egmonts und
Horns, die Zigeunerin mit ihren Kindern, der zerbrochene
Fiedelbogen, Franz I. bei Lionardo da Vinci, Vargas
vor Alba, Alba Todesurteile unterzeichnend, die Pest in
Tournay (das letzte größte und verunglückteste von allen
seinen Werken), und die Brüsseler Bogenschützengilde
bei den Leichen Egmonts und Horns, ist nur das letzt-
genannte in Berlin zur Ausstellung gelangt (in der Mitte
der fünfziger Jahre). Damals nahm man noch an dem
Grausamen einigen Anstoß, das man in der Andeutung
der Trennung der abgeschlagenen, nur eben an die blu-
tigen Hälse herangerückten Köpfe von den Körpern der
beiden Märtyrer der niederländischen Freiheit fand. Aber
der tragische Ernst, die Größe und Macht der Auffassung
und Darstellung dieser erschütternden Szenen des blutigen
nationalen Dramas, die geschichtliche Lebenswahrheit in
allen Gestalten, die den Katafalk umgeben, — der nieder-
ländischen Bürgerschützen und der spanischen Soldaten,
dieser schärfsten Gegensätze in Bezug auf Erscheinung, Na-
turell, Empfinden und innere Stimmung, — und die
reife Meisterschaft der Malerei gaben vereinigt dem Bilde
eine gewaltige und ganz allgemein auf jeden geübte
Wirkung.

Aber „andere werden kommen, es werden dir andere
gefallen; auch dem großen Talent drängt sich ein größeres
nach", — das erfüllte sich auch in der nationalen Ge-
schichtsmalerei Belgiens. Leys (fünf Jahre jünger als
Gallait, geb. 1815 zu Antwerpen) trat auf mit seinen
historischen Schilderungen, welche wie von einem deutschen
oder niederländischen Meister der Epoche der dargestellten
Geschichten selbst angeschaut und gemalt zu sein schienen.
Mit den naiv ungelenken, derben, unschönen, aber markigen,
echten, wahrhaftigen und überzeugenden Gestalten der
Leys'schen Bilder aus dem altflandrischen und deutschen
Leben des 15. und 16. Jahrhunderts verglichen, kamen
die Männer oder Frauen selbst auf den geschichtlichen
Gemälden Gallaits in Gefahr, als wohlkostümierte und
vorzüglich zurechtgestutzte moderne Bühnendarsteller zu
erscheinen. Auch neben der Tiefe und Wucht der Leys'schen
Farbe (in den Bildern der großen letzten Periode seines


Der rlrklriswr p?,. Reinhold Beaas
 
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