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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [1]: ziellose Reisebriefe eines Malers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0269

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Mo die Tonne scheint. Ziellose Reisebriefe eines Malers, von R. v. 5 eydlitz

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treu geworden, — da heißt es wieder: „Parteuza!" —
ein Ausdruck, der freilich in Italien nicht gar so wörtlich zu
nehmen ist — und fort geht's, schon im dämmernden
Abend an Vicenza vorbei, wo ich in der Nähe der Stadt
eine heimliche Liebe wohnen habe, von der ich aber als
klassisch gebildeter Kunstjünger nicht sprechen darf (es ist
- aber verrate mich keiner! — die Villa Valmarana,
wo der geniale Anstreicher Tiepolo den göttlichen Schwin-
del, der mit Prinzessin Iphigenie in Aulis seinerzeit ge-
trieben wurde, so göttlich und so schwindelhaft verwendet
hat) — und weiter durchs italienische Holland, wo im
düstern Halblicht des verschleierten Mondes schnurgerade
hochgelegene Landstraßen und weiße Häuser zwischen den
Weidenreihen schimmern.

Zuletzt hört alle „Gegend" auf, das Land bleibt
zurück; wie im Traum fliegt der Zug scheinbar durch
die Lust, unten glitzern die Wogen der Lagunen, oben
zwischen den Wolken frostige einzelne Sterne, rings am
Horizont trübe Lichtlein überall auf den Wassern. — Und
dann wird's wahr, was jedem, so oft er nach Venedig
kommt, vorher immer wieder unbegreiflich dünkte: daß sie
wahrhaft existiert, diese wunderlichste der Städte, dieser
marmorgewordene süße Traum von alter Herrlichkeit,
mitten in unserem nüchternen Zeitalter. Und freudig
auch können wir das Bewußtsein hegen, daß nicht nur
zur Zeit Canalettos der Zauber venezianischer silbergetön-
ter Lust gesehen und gemalt wurde, sondern daß auch
heute Meister wie unser Ludwig Dill jene Opaltöne wieder-
geben können, die uns Venedig und seine Gefährten in
der Lagune, Chioggia, Murano, Torcello und Burano
in sanfter Verklärung nahe gebracht und wert gemacht
haben.

Und hier kann ich kaum die Zeit für jene „Anstands-
besuche" finden; unerbittlich deutet mein Verhängnis auf
den Fahrplan des Lloyd; mit geschlossenen Augen, wie
Tannhäuser, „um ihre Wunder nicht zu schauen", durch-
fliegen wir die lautlosen Kanäle zum Hafen, und mit
gewaltiger moralischer Kraft wird am Vorsatz festgehalten:
diesmal nichts mehr von Italien. Am liebsten hätte ich
es ganz umgangen; ich schämte mich meiner Rücksichts-
losigkeit. Indes, wer kann für geographische Lagen!

Kein seltsamerer Kontrast auf Erden, als zwischen
deni verarmten Edelmann Venedig und dem beschäftigten
nüchternen Welthändler Triest. Hier magere Kost und
keine Aussicht auf Verdienst, auch kein Geschick dazu, —
dort breite Anlage der Straßen, der Kontors und des
Menüs; zu St. Marco, in zerfallenen Palästen, welt-
männische Manieren, schüchterne Zentile^a — und drüben
in Triest auf Boulevards und Kais gesunde Ellbogen
und wohlgenährte Börsen; in Venedig Rüböllämpchen in
den Werkstätten von Flickschustern, in Triest ein weithin
leuchtendes Meer von elektrischem Licht an Hafen und
Werft, das nachts zauberhaft hinausstrahlt und von Pirano
bis Grado, von den Höhen des wilden Karst bis meilen-
weit in die Adria hinaus den Ruhm und die Macht des
regsamen Tergeste verkündet.

Brütwarm ist der seuchte Südwind, der uns am
Hafeu empfängt, und naß ist der Gruß Amphitrites an
den Wanderer. Der Himmel und das Meer waschen
vereint die Stadt: der Regen hört nur auf um neuen
Atem zu holen, und das Meer tritt über das Niveau
des Kais, so daß Mensch und Tier in den Fluten patscht,

und mau beim Verlassen des Hotels, statt nach einem
Wagen, nach einer Gondel zu rufen versucht wäre.

> Die Sprache des Malers wird, trotzdem heute ein
jeder Bilder und Bildchen macht, kauft und kritisiert,
doch nie recht allgemein verstanden; dies fiel mir auf, als
ich auf dem Wege zum Schiff heiter gestimmt durch so
viel lauwarmes Wasser und amphibiallebende Menschheit
zu meinen Reisegenossen, mit dem Finger auf den Molo
deutend, das eine gewichtige Wort sprach: Achenbach! —
Es fehlte nichts als der Rahmen: schwefelgelb durch-
leuchteter Regen, stürmisch durcheinanderrollende Fetzen
von Wolken und Rauch, eine aufschäumende Woge nach
der andern, gelbgrün und schneeweiß daherstürzend, der
unvermeidliche Seemann angeklammert am Geländer des
Kais, den Theerhut festgestülpt ... — Aber keiner
verstand mich. — Wenn ihr's nicht fühlt, dachte ich da,
ihr werdet's nie erjagen.

Im stolzen Mastenwald' der Lloyddampfer ragt ein
besonders vertrauenerweckender schwarzer Koloß auf, ein
seefester Dampfer von mächtigen Dimensionen. Vom
Fenster aus hatte ich ihn morgens schon beliebäugelt,
still hoffend, daß er mich zu tragen bestimmt sein möge.
Er war's auch; oder vielmehr sie; denn die zarte Gestalt
führte an ihren eisernen Flanken den lieblichen Namen
„Aglaja". — Als ich später, ans dem Oberdeck stehend,
die mächtigen Dampfkrähne des Schiffes riesige Lasten
heben und graziös in den Raum hinabsenken sah, als die
Schraube ihre ersten Probeschläge that, als vollends das
ungemütliche Nebelhorn das Abfahrtsgeheul dröhnend
anstimmte, das von den Häusern am Kai wie auch von
den Bergen dahinter widerhallte, mußte ich mit Lächeln
mir die Szene ausmalen, wie die aus Duft gewobene
liebliche Göttin ihr Taufkind mit einer Flasche Champagner
gesegnet haben mag, als sie ihm ihren Namen gab. Ich
will wenigstens hoffen, daß die Direktion des Lloyd so
zuvorkommend gegen — wenn auch antike — Damen
des Olymp ist, sie zu solchen Feierlichkeiten einzuladen.

Langsam und unmerklich ziehen sich^die? Fang arme
Triests, die Hafendämme, zurück, — ein weißer Schaum-
streif zieht hinter dem Schiff her — wir fahren! Ohne
Schlittern und ohne Geräusch teilt die Aglaja die Wogen.
Und sieh, der Himmel erheitert sich, das finstere Gewölk
hängt an der istrischen Küste und die Abendsonne funkelt
^ golden über das Gewässer. Nun tritt der Achenbach in
den Hintergrund und ein südlich-orientalischer Aiwaowsky,—
s> „picksüß" wie der Wiener sagen würde, entrollt ein
Panorama, so perlmutterhaft-rührend, daß der Reisende
. mit gefalteten Händen betet: „Ich glaube an die kühnsten
Lasuren Berningers und Genossen . . Tintenblau wogt
es um uns her und die roten und gelben^ Flammen der
untergehenden Sonne flackern darüber hin. Oben aber
zeigt sich — zum erstenmale auf der ganzen Fahrt, ein
farbenprächtiger Himmel. Da hat der alte Schönfärber
Zeus wieder seine Freude daran, die zauberischen Töne
in einander spielen zu lassen, rosa, goldne, purpurne und
dunkelviolette Wölkchen umherzustreuen und uns einen so
wunderbaren Willkommen zu bieten, daß das durchregnete
Gemüt des Reisenden wieder warm wird, und eine
jubelnde innere Stimme uns zuruft: „Das Land des Lichts,
das Land der Sonne, das du suchtest, du eilst ihm sicher
entgegen! Nun dehne die Brust, nun laß alle schwarze
Sorge fahren!" —

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