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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Grosse, Julius: Selfmademen, [1]: Genrebilder aus dem Künstlerleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0308

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Genrebilder aus dem Aünstlerleben. von Julius Grosse

2Z7

wort erhielt, fuhr der Professor in der Hitze den jungen
Menschen an. Nun brauste er auf und erwiderte mit
trotzigem Ton. Ein Wort gab das andere, und das Ende
ivar, daß der Meister in seinem Zorn den Wildling
davonjagte.

„Als man in der Stadt von dem Geschehenen
erfuhr, regte sich allgemein das Mitleid mit dem Gemaß-
regelten. Alle Welt gab dem Professor Unrecht, und alle
Welt war bemüht, eine Versöhnung herbeizuführcn.

„Ein wohlwollender Herr, der greise Kircheurat R.
suchte den Wildling in seiner Höhle auf, und der milden
Wärme des Theologen gelang es, den Weg zum Herzen
des Trotzigen zu finden, dergestalt, daß er zu weinen
begann. Als er ihn so weit hatte, diktierte der Kirchenrat
dem Zerknirschten einen reumütigen Brief an den Pro-
fessor. Später kamen noch einige zartfühlende Tarnen zu
Hilfe, die den Beschämten mit hundert schönen Worten
bearbeiteten, bis er sich bereit fand, in ihrer Begleitung
zum Meister Preller zu folgen, der ihn dann endlich ge-
rührt in seine Arme schloß.

„Das war nun alles ganz nach Wunsch gegangen,
aber wie meist in solchen Fällen, das gekittete Gefäß der
zersprungenen Freundschaft hielt nicht lange. Der Unband
gebärdete sich bald wieder wie ein eiugefangener Wolf, den
man an die Kette gelegt hat.

„Er wurde mitten in der zivilisierten Stadt immer
mehr zum Robinson, der lieber im Parke kampierte, als
im Hause und selbst die Nächte lieber unter gestirntem
Himmel schlief, als in seinem Bett. Zur Abwechslung
wählte er hie und da auch die Gärten befreundeter Fa-
milien zum Nachtquartier — ohne sich darum zu kümmern,
ob er dadurch nicht dem Ruf gewisser Damen schade, die
dem Wunderkind vom Wald immer noch ihre Gunst und
Gönnerschaft bewahrten.

„Unter diesen Damen war namentlich ein nicht mehr
jugendliches Fräulein von M., die, ohnehin zu phan-
tastischen Launen geneigt, sich in den romantischen Wild-
ling förmlich vergafft hatte. Auch als andere schon zwei-
felten, glaubte sie noch unbeirrt an seinen Genius und
seine große Zukunft. Auch bedachte sie sich nicht, diesem
seltsamen Liebling von Zeit zu Zeit namhafte Unter-
stützungen zuzuwenden, so daß er seinen Lüsten vollends
die Zügel schießen lassen konnte.

„Zum Danke dafür brachte er ihr seltene Wald-
blumen, weggcfangcue Drosseln und Nachtigallen, auch
wilde Kaninchen und Eichhörnchen, sang auch bisweilen
nachts vor ihrem Fenster merkwürdige Lieder und Weisen,
die er selbst erfunden.

„Diese seltsame Huldigung soll einerseits Grund ge-
wesen sein, daß die Dame einen letzten ernstgemeinten
Heiratsantrag ausschlug und also ihr Lebensglück diesem
Paria förmlich zuni Opfer brachte, anderseits aber
machte jener abenteuerliche Minnedienst derartiges Auf-
sehen, daß es mit der guten Meinung der anderen Gönner
bald ein Ende hatte.

„Schließlich jagte ihn der Professor abermals davon,
und nun verlor er auch den Freitisch bei den anderen
Familien, die geglaubt hatten, einen Waldmenschen zivi-
lisieren zu können, und da in selber Zeit jene hilfreiche
Dame von ihren Verwandten in ein Bad entführt worden,
so brach bald die grimmige Not über den Unbotmäßigen
herein. Zu stolz indes zu betteln, trat er in jener Zeit
in eine Porzellanfabrik ein, um sich mit Modellieren von

Ornamenten ehrlich sein Brot zu verdienen. Und siehe
da, das fragwürdige Wunderkind hatte hier auf einmal
seinen Boden gefunden.

„Masken und Blattwerk — Köpfe in Medaillon und
»reie Figuren, und was sonst zur Verzierung von Ofen ver-
langt wird — auch Tiere und Vögel und andere Klei-
nigkeiten für Nipptische wußte er wirklich mit großem
Geschick zu gestalten, kurz, der unsterbliche Genius wurde
ein brauchbarer, handfester Geselle, der von seinen Arbeit-
gebern geschätzt und gefördert wurde. So kam es, daß
die Residenz ihn bald völlig aus den Augen verlor.
Man sprach nicht mehr von ihm.

„Aber der Wildling war damit keineswegs auf die
Tauer gezähmt. Es kam das Jahr achtundvierzig und
mit ihm der Truppendurchmarsch nach Schleswig-Holstein.
Unter anderen erschien auch ein Freikorps, das in der
Nähe der Stadt ein Lager bezog und fleißig Waffen-
übungen hielt. Voni ersten Tage an ward dies Lager
ein Lieblingsziel für die Scharen von Städtern, die
hinauswallfahrtete», um die Truppen zu bewundern und zu
beschenken. Besonders für die Frauen und Mädchen aller
Stände wurden diese farbigen Tage ereignisreich, denn
Manöver und Felddienst wechselten bald mit Konzerten und
Bällen im Freien.

„Wer beschreibt mein Staunen, als ich eines Abends
ani Lagerfeuer unter den flotten Kriegergestalten plötzlich
meinen Heini sehe in schmucker Uniform und flottester
Ausrüstung.

„Na", sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter.
„Das freut uns wirklich, daß Sie etwas geworden sind
und doch nicht bloß ein Lump geblieben sind, wofür wir
Sie gehalten haben."

„Herr, meine Güte, den hätten Sie sehen müssen,
wie er zurücksuhr und mich von oben bis unten maß —
nicht anders wie ein geborner Eoelmann.

„Unter Euch Kartoffelbauern wird jeder zum
Lumpen, der sich knechten läßt — einen schönen Gruß
an Euere Spießbürger!"

„Weiter sagte er nichts, drehte sich um und schritt
zu einer Gruppe von Damen, wo er sich die schönste holte,
um sie zum Tanzplatz zu führen. Ob es wirklich Fräu-
lein v. M. gewesen ist, wie einige nachher behaupteten,
weiß ich nicht, aber soviel scheint gewiß, daß er es nur
mit ihrer Hilfe möglich gemacht hat, aus einem Hand-
werker zum Soldaten zu werden.

„Ich kann gar nicht sage», wie ich mich damals ge-
schämt habe, den Windbeutel angeredet zu haben, um auf
so derbe Weise dann abgefertigt zu werden, denn daß die
Umstehenden mich waidlich ausgelacht, können Sie sich
denken.

„Wie man später hörte, hat sich der Heini auch
nachher im Feld tapfer und brav gehalten. Während bei
Eckernförde und nachher bei Kolding die Kanonenkugeln
flogen, reichte er ruhig seine Tabaksdose herum, behielt
kaltes Blut und machte seine Späße.

„Im Lauf des Feldzugs soll er bis zum Gefreiten
avanciert sein, und wäre er beim Militär geblieben, hätte
er wohl eine glänzende Laufbahn machen können. Aber
es stak ihm eben jene zehrende Unruhe im Mark, die
er nicht überwinden konnte. Sein Erbteil, sein Zigeuner-
blut, ist ihm zum Verhängnis geworden. Zwar oft noch
wechselte er Ort und Beruf, aber nirgends hielt er aus, und
schließlich ist er hinter einem Zaune an der Landstraße

so»
 
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