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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Brandes, Otto: Karikatur-Ausstellung in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0383

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Karikatur-Ausstellung in Paris. von (Otto Brandes

Z0I

Hummrrschmirdx. von Alois Lckardt

Beobachter der Sitten und Gebräuche einer Zeit, wo noch
Loretten und Studenten nicht des originellen Cachets
entbehrten. Ein großer Lebemann, hat er wie keiner die
Frau in ihrer Verschmitztheit und Empfindsamkeit, in
ihren Schlichen und berechneten Zärtlichkeiten kennen ge-
lernt, aber auch sonst, wohin er immer geraten, offenes
Auge, einen selten sicheren Blick für die Erfassung des
Komischen, eine leichte Assimilierung, bei einer nie ver-
sagenden Erfindungsgabe gehabt. Von den zahlreichen
Spezimina seiner Kunst hat auch am meisten eine
larmoyant aussehende alte Frau in Trauerkleidern amüsiert,
der spöttisch eine Straßenkehrerin nachruft: „Allerwelts-
witwe!" Breite Figuren, deren verlebte Gesichter die
früheren noceussn erkennen lassen. Es ist das eine
Charge, die selbst heute noch ihre Frische bewahrt hat.
Eben so lustig ist sein: „Es ist etwas vom Kinde in
der Frau", ein Gegenstand, der sich hier nicht beschreiben
läßt. Brillant auch sind die Aquarelle und Zeichnungen,
zu denen er sich in England unter dem niederen Volk
sowohl wie in den höheren Geseltschaftsschichten seine
Motive geholt. Seine Lithographien exzellieren durch
eine feine Behandlung von Schwarz und Weiß, die in
ihrer sorgfältigen Abtönung fast die Farbe ersetzen.

Der konstitutionellen Monarchie hat Daumier
(1808—1879) schwere Schläge mit seinem Griffel ver-
setzt, was er freilich durch eine sechsmonatliche Gefäng-
nisstrafe büßen mußte. Seine Lithographien sind eine
scharfe Charakteristik der Bourgeoisie unter Louis Philipp.
Mit einer seltenen Beharrlichkeit hat er den Typus des

Advokaten studiert. Bei der Wiedergabe seiner Motive
geht er übrigens immer von der Wahrheit, vom Porträt
aus, das er ein wenig, aber doch nur bis zu einer be-
stimmten Grenze chargiert, so daß es komisch, aber doch
nicht unwahrscheinlich wirkt. Seine Advokaten haben
z. B. einen etwas größeren Mund, seine Greise eine
etwas übertriebene Glatze. Ein Lieblingsgegenstand
Daumiers ist das Interieur einer dritten Eisenbahnklasse,
welches in der Ausstellung als Ölbild, im Aquarell und
in der Lithographie vertreten. Der Gerichtssaal, der
Theaterzuschauerraum sind Dinge, die ihn zur Produktion
reizen. Sein lachendes Parterre, über welches eine be-
häbige Gemütlichkeit, keine satyrische Schärfe wie bei
Hogarth ausgegosseu, ist eine seiner besseren Schöpfungen,
die flott hingeworfen, mehr Kraft als Grazie zeigen.

Über Cham, der 1879 und Gill, welcher eigent-
lich Louis Gosset heißt, und 1885 gestorben ist, die
beide als berühmte Zeichner des Charivari aller Welt
bekannt sind, darf uch hier wohl hinfort gehen. Chams
Kokotten, seine scharfsinnigen und kritisch hochbedeutenden
Karikaturen über den Salon leben noch in Aller Ge-
dächtnis. Gill ist der Karikaturist des alten Thiers
gewesen, den er nie müde geworden, darzustellen. Ferner
sind in der Ausstellung Leonce Petit, der Schilderer
des Land- und Provinzlebens Frankreichs, mit einer
Prozession auf dem Lande, Dore mit einem Aquarell:
der Mönch und die Fliege, Victor Hugo mit recht
geschickten Federzeichnungen und Alfred de Müsset
mit verschiedenen Porträtchargen vertreten.

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