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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Kaden, Woldemar: Aus den Gefilden von Sybaris
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0386

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Auf den Gefilden von Sybaris. von lv olde mar Kaden

die Schmetterlinge, und doch soll dereinst, wie die Soge
erzählt, Anna, die Schwester der Dido, hierher geflohen
sein, hier gewohnt haben.

Und hier stand Sybaris, die „Stadt der Städte" ... .

Sein Name bedeutet Ueberfluß, und wer denkt nicht
der Zeit, da der üppige Sybarit.Smyndirides mit tausend
in Seide gekleideten Dienern, vielen Fischern, Vogelstellern,
Jägern und Köchen nach Sikyon reiste und alles in Wohl-
gcruch schwamm?

Der Wirt setzte mir ein übelduftendes, ungenieß-
bares Mahl auf; ich nahm ein Stück des dürren Mais-
brotes und trank hastig ein Paar Glas von dem blut-
roten kalabrischen Weine ....

Die Sonnenstrahlen schießen flirrend gleich Pfeilen
über die dürren Disteln, der Meerwind bewegt ihre weiß-
flockigen Häupter und schreckt die Lacerten auf, die auf
ihrem pergamentglänzenden Rücken uralte Rätselschrift
tragen; von drüben tönt, wie das Gemnrmel der Volks-
menge auf dem Forum, der leise Donner der Brandung
der jonischen Flnt.

Über mich kam es wie eine Vision, die große Vision
des Ezechiel.

Ich wanderte, von des Herrn Hand geführt, durch
das weite Gefilde, das voller Gebeine lag, und es erging
eine Stimme, die sprach: „Ihr verdorrten Gebeine, ihr
sollt lebendig werden!" Da hob sich der Boden, die
Schollen barsten, Staub wirbelte auf und es begann ein
Rauschen, lauter und lauter: die Gebeine kamen wieder
zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein. Und der
Wind flog heran mit lautem Sausen und blies die Ge-
töteten an, daß sie wieder lebendig wurden. Sie wurden
lebendig und stützten sich auf ihre Hände und richteten
sich auf ihre Füße und ihrer war ein unzählbares Heer.

Dreihunderttausend freie Bürger und dreihundert-
tausend Sklaven, Krieger und Diener 'standen auf dem
Blachfelde. Und den freien Bürgern schickten fünfund-
zwanzig Städte der stolzen Magna Gräcia und angren-
zenden Gebiete den Tribut; unter sybaritischer Flagge
segelten die Kriegs- und Handelsschiffe auf dem jonischen
und ganzen mittelländischen Meere. Und marmorne Tempel
steigen aus dem Boden, glänzende Säulenhallen, ein Wald
von Statuen erwächst, die Theater, Fora und Schulen
füllen sich mit einem Volke, das seine Freude an der
Orchestik und Gymnastik hat, lautes Jauchzen der Baccha-
nalien und Orgien allüberall, allüberall Reichtum, Fülle,
gepaart mit Lebefreude und Üppigkeit.

Ich sehe eine Stadt da drüben, so groß und größer
wie das tarquinische Rom, eine Meereskönigin, mit goldenem
Lorbeer und silbernem Kranze der Ceres gekrönt. Und
die Sonne scheint und reift auf unabsehbaren Feldern
der reichsten Kornherren der Welt den Weizen hundert-
fältig; das Öl fließt in Strömen.

Der Wirt legt mir schweigend ein paar antike
Münzen, die er beim Graben gefunden, auf den Teller.
Fast alle tragen sie das schönste Symbol der Kultur und
des Friedens: die Kornähre, als Gegenbild die sommer-
liche Heuschrecke oder den ackerpflügenden Stier, eine
andre Delphin und Ähre in schöner Bedeutung, Neptun
und Ceres mit Ährenkränzen. Die Ähre, die schlichte
blonde Ähre hatte Sybaris und die ganze Magna Gräcia
gebaut. In welcher andern Hoffnung, als dem Boden
seine Schätze abzugewinnen, konnten die ersten Achaeer
hier gelandet sein. Das Land muß sie damals blühend,

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frisch und fruchtprangeud angeschaut haben, sonst würden
sie nicht gelandet sein; heute ist es der Schrecken der
Vorübersegeluden.

Mit Fleiß und Verstand war das Vorgefundene
ausgcbaut worden, und es geschah, was überall geschieht,
wo thatkräftige Kolonisten unter halbwilde Völker kommen:
die Kultur siegte und gewann Reichtümer und Schätze.
Der Hilfe des Mutterlandes, das desselben Meeres Wellen

Rrethusa. von Johann Hirt

bespülten, konnte man entraten und bald sogar blickte
die emporgekommene Tochter mit Verachtung auf die be-
deutend ärmere Mutter. Ein Prunken und Prahlen be-
gann, ein übertriebener Luxus griff Platz, und der Üeber-
muth und Gelddünkel dieser Parvenüs äußerte sich auch
in der Benennung des neugeschaffenen Reiches, das man
nicht wie die Mutter Griechenland, oder wenigstens Neu-
Griechenland nannte, nein, dem man den prahlenden Zu-
satz des „großen" gab: das „große Hellas", mit dem
es auch später die Römer als »Oiuecia
 
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