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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pecht, Friedrich: Die Münchener Ausstellungen von 1888, [4]: das Sittenbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0393

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Z08

Die Münchener Ausstellungen von 1886. HI. Das Sittenbild

nicht thun, sondern nicht recht wissen, wozu sie da sind, das ist einer der häufigste» Fehler, denen man in den
Bildern junger und alter Maler begegnet. — Hierin ist unserem Rau freilich Defregger mit gutem Beispiel
vorangegangen, der nie bloße Statisten bringt und gerade dadurch so sehr fesselt, daß uns jede einzelne seiner
Figuren sowohl an sich als durch ihren Zusammenhang mit der Handlung anzieht. Leider hat er einstweilen
nur ein kleines, älteres Bild da, eine Neckerei in der Alpstube, wo ein lustiger alter Holzknecht die zwei
Sennerinnen durch verfängliche Reden in die Enge treibt. Das ist aber so köstlich dargestellt, daß man sich
immer wieder an dem kleinen Ding erquickt. Sein Landsmann Matthias Schmid ist durch sein unfern

Lesern schon von der Berliner Ansstellung her bekanntes
„Verlassen" (Abb. s. Jahrg. I, S. 26) und durch die in Isar-
Athen selber spielende „Feuerbeschau" vertreten, welche, aus
einem Maurer, Zimmermann und einem Kaminkehrer in
Uniform bestehend, eben in das Atelier eines Malers eintritt,
angeblich um die Sicherheit seines Ofens zu untersuchen.
Unglücklicherweise hat dieser ein großes mythologisches
Bild in Arbeit, auf dem er die Venus nach einem ent-
sprechend dekolletierten Modell malt. Darob geraten nun
die biederen Sicherheitswächter selber in große Feuers-
gesahr, die besonders in den weiß bleckenden Zähnen des
Feuerrüpels so deutlich als komisch zu Tage tritt.

Kann man sämtliche Figurenbilder unseres Glas-
palastes in zwei Klassen teilen, die, wo die Figuren
notwendig und unersetzlich sind, und die wo man an
die Stelle jeder einzelnen auch ebensogut eine ganz
andere setzen könnte, wenn sie nur einen ähnlichen Farb-
fleck machte, so nehmen die letzterer impressionistischen
Gattung unleugbar zu, die der anderen aber ab, obgleich
sie die spezifisch nationale ist und ihr auch alle jungen
Talente zuzuzählen sind. Aber bloße Farbslecke hinzu-
setzen oder Figuren aufs Geratewohl zu malen, indem man
sie nur zu Trägern dieser Farbflecke macht, das ist eben
gar zu bequem und man gehört dann noch vollständig
zur „neuen Richtung", deren unterscheidender Charakrer-
zug ja eigentlich die Gedankenlosigkeit ist. — Übrigens
ist der Kampf zwischen diesen beiden Behandlungsarten
so alt als die deutsche Kunst überhaupt und nahm
immer die mannigfachsten Formen an; was früher die
Stieler, Riedel, Begas, Sohn, dann und die
Piloty, Makart u. a. anstrebten, sucht man heute
unter dem Titel des Impressionismus, der Frei-Lnft- oder
Grau Malerei. — Würde die erzählende oder dramatische
Kunst manchmal gar zu malerisch reizlos werden, so tritt
dann allemal diese rein koloristische Richtung in die
Lücke. Etwas anderes als ein Lückenbüßer dürfte sie aber
auch heute nicht werden, da sie dem germanischen Cha-
rakter ebenso sehr widerspricht als dem der romanischen
Nationen und ihrem stärkeren Formgefühl sympathisch
ist. Man kann die beiden Denkarten nicht schärfer aus-
gesprochen finden als z. B. zwischen dem Wiener Passini und dem Venezianer Favretto oder Menzel
und Fortuny, die doch alle vier ausgezeichnete Künstler sind. Daß die meisten jungen Talente bei uns aber
auch heute noch wie vor zwanzig und fünfzig Jahren sich wiederum auf der erzählenden und scharf charakteri-
sierenden Seite finden, das mag uns immerhin über die Zukunft unserer Kunst beruhigen, ja es stellt sich
geradezu als das tröstlichste Ergebnis unserer Ausstellung heraus, obwohl ich selber erst geneigt war, das
Gegenteil anzunehmen, bevor ich die vorhandene ungeheure Masse genauer geprüfi hatte, die so groß ist, daß
sie einen gewissenhaften Kritiker in gelinde Verzweiflung bringen kann.

An die Spitze dieser jungen Talente gehört nun unstreitig Claus Meyer, der, eine Zeit lang nach
der anderen Seite hin schwankend, jetzt mit seiner „Kleinkinderschule" glücklich wieder auf den Weg zurückgelangt
ist, den er bei seinem Beguinenkloster vor fünf Jahren so erfolgreich eingeschlagen. Sein jetziges Bild ist als

Der kleine Despot, von Fritz Neubaus
 
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