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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [2]: ziellose Reiseberichte eines Malers; im Zeichen der Triere
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0405

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N)o die'^Sonne scheint

St«

nicht hinwegschreiten wollte, daß der ungewohnte Schall
nicht einen der Toten zu dem Irrtum veranlassen möchte,
es sei schon Zeit zum auferstehen. — Schöne Namen las
ich auf gebrochenen, einst reich verzierten Steinen, darunter
von welthistorischen Geschlechtern aus Venedigs alter, herr-
licher Zeit; ein Stein aber vor allen ist mir in Erinne-
rung geblieben: Von der langen Inschrift waren nur die
Worte übrig: »Ou inia aperanra«. —Seine ganze Hoff-
nung begrub er einst hier; und doch war gerade die Hoff-
nung das einzige, was erhalten blieb; — „Nam' ist Schall
und Rauch!" Ob er's weiß, der hier an Hoffnung ver-
zweifeln wollte? —

Wie der geneigte Leser bemerkt haben wird, hat sich
der Verfasser im Vorstehenden weniger als Maler gezeigt,
sondern mehr als eindrucksfähiger Weltbummler, der sich
willig augenblicklichen Gemütsakkorden fügt. Wer weiß
aber, ob nicht das für den Künstler fruchtbringendste, ans
Wanderungen solche an sich eng umgrenzte, rein aus-
tönende, kontemplative Momente sind. Unmittelbar hinter-
her konzipiert die Phantasie rascher und eindringeuder den
charakteristischen Zug eines Konkurs, erfaßt das Auge
lebhafter die Stimmung einer Farbenfolge.

Wer thatendurstig die Insel durchstreift, braucht nur
zuzulangen; wie die Orangen von Genizze, dessen Häuser
dort südlich unter den bewaldeten Abstürzen des Hagia
Deka hervorglänzen, hängen allerwärts die freundlichsten
Bilder einem sozusagen bis in — die Palette herab. Aber
gleich dem vom verstorbenen Pariser Meister Czermak der-
einst „entdeckten" Montenegro und Dalmatien, gleich dem
als so großartig und fesselnd gepriesenen griechischen Fest-
land, das seit dem unsterblichen Rottmann nicht mehr
„modern" zu sein scheint, ist Korfu in so auffälliger
Weise von Malern vernachlässigt, daß während meines
langen Aufenthaltes mir nur drei aquarellierende Eng-
länderinnen aufstießen — wer viel reist, weiß die Mager-
keit dieser Ziffer zu würdigen — und eine einzige jugendliche
Trias von Deutschen. Diese letzteren werde ich nie ver-
gessen. Es war in Potamo, wo einst der herrliche Dulder
Odysseus ans Land gespült wurde und seinen Salz- und
Sturmrausch ausschlief; mitten in der so prellerisch als
nur denkbar zugeschnittenen Landschaft klebte an einem
Ölbaumhügel ein Bauernhaus, dessen einzigen architektoni-
schen Schmuck ein meterlanges in die Thormauer einge-
fügtes, vielleicht antikes Säulchen bildete. Vor diesem
standen sie nun, und der eine dozierte den Begleitern langes
und breites von Verjüngung des Schaftes, Abrundung und
Maß des Kapitälwulstes und vielem andrem. Dann gingen
sie tiefsinnend von dannen. — In der goldenen Abend-
sonne summten die Bienen, glänzend wie Bernsteinperlen,
und vom Dorfe oben stahl sich ein feiner Heller Holz-
rauch herab über die Palmen und Ölwälder der Ebene;
drüber hinaus blaute das Meer und glühte rosenfarbig
der Schnee Albaniens; kurz, ringsumher war schöne grüne
Augenweide für jeden, der Augen zu sehen hat; und ein
herzliches Mitleid faßte mich für jene, die von ihrem
bösen Geist im Kreis geführt, die dürre Haide der Theorie
abgrasten. Zwar kommt „Theorie" wie „Spekulation"
von je einem Wort, das „schauen" bedeutet; aber lucus
u non luceucko! Denn es schaut meist weniger dabei
heraus, als bei dem freien Anschauen der Natur, dieses
willigsten, wenn auch manchmal kokettesten aller Modelle.
Das Ringen des Malerauges mit dem künstlerischen Ge-
heimnis der Natur ist der Urquell alles Schaffens.

Nach welchem theoretischen Hieb wir uns wieder zu
den rauhen, jetzt so verklärt herüberleuchtenden albanischen
Bergen wenden wollen, die unsre Aufmerksamkeit wohl
oder übel alle Tage in Anspruch nehmen, ob wir nun zu
Segel durch den Kanal von Korfu fliegen, in der Bucht
von Ipso träumen oder südlich vom Kap Leukime akar-
nanische Höhenzüge über der Flut auftauchen sehen, oder
ob wir auf der Spianata, dem Schmuckplatz der Haupt-
stadt, einen Kaffee ä lu turca schlürfen und die unver-
ständlichen bunten Flaggensignale beobachten, mit denen
der Wächter auf der Citadelle herannahende Dampfer an-
zeigt und begrüßt; als Wetterpropheten wie als land-
schaftlichen Hintergrund, als Ziel eines Jagdausfluges wie
als Heimstätte mancher geschichtlichen Großthat stehen sie
uns einzig und immer vor dem geistigen wie vor dem
leiblichen Auge. Von ihren wilden Felsthälern stiegen
jene kampfgeübteu Helden nach Hellas hinab, als vor zwei
Menschenalteru dort die Herrschaft des Halbmondes ein
Ende nehmen sollte. Hellas ist frei, die albanische Klei-
dung ist Nationaltracht in Athen; aber die albanischen
Berge sind noch heute eine Hellas irredenta, die mit ihrem
Hinterland in politischer wie in meteorologischer Beziehung
die Brutstätte aller Stürme, die Neidhöhle so manchen
plötzlich hervorbrechenden Ungeheuers bilden.

Im Anfang gelang es dieser scheinbar vegetations-
losen, aus wüsten grauen Kalkbrocken aufgetürmten, oft
etwas recht einförmig gestalteten Bergkette nicht, meine
Bewunderung zu erwerben. Erst als der erste Schnee
ihre höheren Häupter von den niederen schied, und nach-
dem ich an regenfeuchten Sturmmorgen über das gischt-
verschleierte blaugrüne Meer hin ihre Umrisse im fahlen
Wolkeunebel gesehen, oder wenn ihre Gruppen im blauen
Schimmer des hohen, leuchtenden Vollmondes über der
schwarzen Flut sich erhoben, lernte ich besser vom Stamm-
sitz des donnererfreuten akrokeraunischen Zeus denken.
Gerade jetzt, während schwefelgelbe Strahlen das zerrissene
Gewölk spalten, das ein gestern müd über seiner wilden
Arbeit eingeschlafcner Scirocco hier hängen gelassen,
brummt der alte Wolkensammler leise vor sich hin und
revidiert seine Vorräte an Geschossen für die Winterkam-
pagne. Öft auch — ach, nur zu oft! — bricht er mit
allen Scharen hervor und überzieht Meer und Insel mit
der entfesselten Wut der Regenströme, von denen wir in
weisen Büchern lesen können, daß sie der Zone der Perio-
dischen Mittelmeerregen angehören; wenig tröstet dies aber
den durchnäßten Pinselschwinger, der unter einer ver-
fallenen Kasematte der Festung das Ende des Regens ab-
warten will, die gerettete Studie in der Hand; — im
Vertrauen, er kann bis Mitte März warten. Und doch
thut Zeus, als habe er es eilig: er regnet mit beiden
Händen und hält nur inne, wenn er einmal blitzen muß.
Dann fahren aber auch die feurigen Strahlen um die
Häuser wie Schwalben, die Ziegeldächer entblättern sich
wie Bäume im Herbst, und der Donner stürzt mit fühl-
barem Ruck auf die Erde wie eine Felslast von unge-
zählten Zentnern. Nach und nach weht der Wind von
einer andern Seite und der Regen peitscht nun die bisher
trockne Seite der Mauern, aber aufhören mag er nicht gern.

Wenn der Volkswitz den Salzburger mit einem
Regenschirm unterm Arm geboren werden läßt, so muß
es vom Korfioten heißen, daß er in Waterproof und
Kautschuk gehüllt zur Welt kommt; und wenn ein junger
Berliner einmal seine Mutter fragt: „Mama, gibt's auch
 
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