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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [2]: ziellose Reiseberichte eines Malers; im Zeichen der Triere
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0408

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wo die Sonne scheint. Ziellose Reisebriefe eines Malers. von R. o. Seydlitz

zählige große Fässer Wein ins Wasser gerollt und, ein-
fach mit einem Seil verbunden, durch zwei kleine Ruder-
boote an einen Dampfer zur Verladung gebracht wurden.
Das Wasser war unter der Weißen Quaimauer so schwärz-
lich, daß darüber hinfahrcnde Schwalben pfauenblau sich
abhoben, und weit draußen die Scharen der ruhig auf
dem Wasser sich wiegenden Möven aussahen wie eine
Handvoll Papierschnitzel. Über die Straße her kam eine
Abteilung Militär vom Exerzieren zurück, und ihr An-
führer, seinem Alter nach etwa Major, stieg an der Ecke
vom Pferde, hakte einen Leinwandsack vom Sattel und
kaufte von den an der Erde hockenden Händlern — Ge-
müse und Früchte ein. Da inzwischen der Gaul der
Truppe nachgelaufen war, so schwang sein Herr den
schweren Sack über die Schulter und — ging zu Fuß
nach Hause, sich durch die andern Käufer und rauchenden
Faullenzer drängend, die mit ihren weißumwickelten Beinen
und breiten, steifen braunen oder weißlichen Filzmänteln
aussahen wie eben aufschießende Pilze. Denn es war
kühl, und Fustanella und bunte Jacke verschwand unter
den erwähnten wollenen Ungetümen, deren Rückseite mit
mehreren viereckigen, bunt eingefaßten, lose aufgesetzten
Stücken ver—unzicrt ist. Wem „fremdartig" dasselbe be-
deutet als „malerisch", der mag sich ja für das hiesige
Landeskostüm begeistern. Wer jedoch Länder kennt, deren
Bewohnern der Sinn für Grazie und Anmut innewohnt
und die Geschmack für Farbe und Form haben, der wird
hier vor einer öden Leere stehen und geneigt sein,
Bäuerinnen der Bresse, Altenburgerinnen und die käfer-
ähnlichsten Großmütter aus Dachau für graziös zu er-
klären. Von den Männern sprach ich. Aber wie soll
ich von Frauen reden, deren angebliche Vorfahren die
Kleinheit des Kopfes und der Füße, die wohlabgewogene
Schlankheit des Leibes, die bestimmte Höhe der Hüften
für Grundbedingungen der Schönheit hielten, denen das
Gewand zur Hülle, aber nicht zur Entstellung diente?
Und nun sehe man die ungeheuren schief um den Kopf
gewundenen, mit roten Bändern durchflochtenen und, der
Billigkeit halber, aus Wolle gemachten Zöpfe, deren
schwerfällige Masse halb mit einem weißen, selten gestickten
Tuch verhüllt ist, — man blicke auf die schweren großeu
Stiefel und auf den riesigen Ledergürtel, der in öfterer
Windung den Leib umschnürt und den Anschein erweckt,
als wäre der Rumpf länger als die von dunklen steifen
Zeugröcken umgebenen Beine? — So geht die Be-
wohnerin der Umgegend einher, wenn sie nicht zum Feste
ihren Staat anzieht. Aber auch da derselbe schreckliche
Mißgriff: Als wäre das Weib, diese graziöseste Laune
der Schöpfung, nicht eben vor allem zur Anmut geboren,
ist hier wieder eine bretterne Last über die andre ge-
türmt; auf dem Haarwulst thront ein Strauß jener mit
Rauschgold verzierten falschen Blumen, wie man sie in
Rom und Neapel an den Pferdeköpfen sehen kann, und
fast bis zu den Knien herab hängt eine barbarische Fülle
von Schmuck, Ketten mit handgroßen Heiligenbildern und
in Goldrahmen hängenden Photographien des Königs oder
der nächsten Familienverwandten der Trägerin. Darunter
verschwindet fast die vorn offene engärmelige Jacke und
unter der schreiend bunten Schürze steht wieder der ge-
waltig tappende Bergstiefel.

„Das ertrage, wem's gefällt!" sagt Leporello. Oder
verlange ich zuviel? Darf ich nicht an eine Enkelin
Aspasias mehr Anforderung stellen als an eine Torf-

gräberin von Erding, — wenn Anmut die Parole ist
und man eine Griechin heißen will?

Es fehlt eben diesem ganzen Volke eine offene ehr-
liche Sinnlichkeit; ich beeile mich zu bemerken, daß ich
hierunter den Sinn für die Anmut und Schönheit an
Menschen und Dingen und dessen möglichste Bethätigung
begreife. Der betrübende Mangel an dieser letzten Quelle
alles Kunstsinnes, von dem man mit Unrecht behauptet,
er sei an südliche Breitengrade gebunden, wird hier stets
im Charakter des Volkes stecken und ähnliche Wandlungen
unmöglich machen, wie die des altgriechischen Kostüms
aus der pelasgischen Schnupftüchertracht in das Gewand
der perikleischen Zeit. Diese modernen freien Hellenen
machen den Eindruck, als schmachteten sie unter einem
schweren unsichtbaren Druck, den die Erinnerung jahr-
hundertlangen Kampfes und endloser Knechtschaft über sie
verhängt. Und doch sind Ketten und Burgwälle gebro-
chen, die überflüssigen Kanonen stehen eingegrabcn überall
als Gestelle für Gaslaternen umher — sie, die einst
die Nacht des Todes brachten, tragen jetzt das Licht;
hoch über der Stadt, weit ins Meer hinausgeschobcu, ragt
noch die Citadelle, aber ihr Wächter kündet keinen Feind
mehr an, sondern zieht Signalstaggen auf und ab; und
der Leuchtturm (besser gesagt, Leuchtstummcl, denn er ist
zwerghaft kurz geraten), der neben dem Flaggenmast auf-
ragt, trägt ein kunstvolles Werk des Friedens: Das fein-
geschliffene Prismengehäuse für das Leuchtfeuer. Fried-
licher als auf Trojas Mauern können hier an den Wällen
und Bastionen, die von wuchernden Geranien überblüht
sind, die Greise sich sonnen, aber freilich geht auch keine
Helena vorüber, an deren Anblick sie sich erfreuen. Aus-
wendiglernende Schulknaben und schnellwandelnde, schwarz
daherflatternde junge Priester schreiten an ihnen vorüber,
hie und da gemessenen Schrittes wieder ein Albanese, bis
an die Zähne bewaffnet; und alles, Kinder wie Greise,
raucht die ewige Zigarrette, um dem monopolvollsten
Staate der Welt auf die Finanzen zu verhelfen. An
den Gitterbrüstungen zu Füßen einer Cypreffe vor dem
hellleuchtenden Meere lehnen die Matrosen, die Fischer
und wie sie alle heißen mögen, die wogengewohnten
braunen Gestalten. Neben der Citadelle, aus der die
ewigen Signalübungen hcrvortönen, sitzt am Felsen ein
neuer Garnisontempel, eine Kirche in Tempelform, die
man aber nur in einer stürmischen Neumondnacht für
antik halten kann. Nicht größer als ein kleines Häus-
chen, gleicht sie hierin den andern Gotteshäusern Korfus,
deren minutiöse Dimensionen dem Fremden das größte
Erstaunen bereiten. Einige hohe, italienisch stilisierte
Glockentürme ausgenommen, erhebt sich kein Spezimen
kirchlicher Baukunst über die Hausdächer, ja oft sah ich
die Glocken so tief hängen — einfach in schmalen ge-
mauerten Bogen neben dem Kirchlein —, daß ein Vor-
übergehender sie mit dem Spazierstock hätte in Bewegung
fetzen können. Über einem drei bis vier Meter hohen
Kirchenraum, der, zuweilen braun getäfelt, stets von Lampen
strotzt und im Ikonostas, dem Bilderschrein, seine Haupt-
zierde hat, wohnt oft der Pope mit Familie, und krei-
schende Weiber zanken durchs blumengeschmückte Fenster
mit den Buben auf der Gaffe, während unten Gesang
und Weihrauch aufsteigt. Scheint so das Alltagsgewand
der Kirche unbedeutend, desto herrlicher entfaltet sich ihre
fast betäubende Pracht an hohen Festen.

(Der Schluß im nächsten Hefte)
 
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