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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Heiberg, Hermann: Er vergaß, daß er ein Maler war?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0444

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SH8

^Lr vergaß, daß er ein lNaler war?

Zu seinen besonderen Eigenheiten gehörte auch ein
zähes Festhalten an einem einmal gefaßten, oft sehr ba-
rocken Gedanken, und ein solcher, der ihn nun wieder seit
Wochen beschäftigte, war auch heute der Grund zu einer
etwas hastigen Eile. An sich war's gleich, ob er die
Stunde innehielt. Er wäre in dem Hause, das er be-
suchen wollte, auch um die Mitternachtsstunde noch will-
kommen gewesen.

Aber bei seinem Freunde, dem Professor Cantiani,
befand sich seit einigen Wochen ein Besuch, eine Frau,
deren Erscheinung den Maler in solcher Weise beschäftigte,
daß er bisweilen mitten in der Arbeit innehielt und sich
dem Gedanken an sie völlig hingab. Er liebte sie nicht,
und doch schien ihm jeder Tag verloren, an dem er sie
nicht sehen konnte.

Margherita di Monza war eine junge Italienerin,
die vor reichlich zwei Jahren ihren Mann, einen hoch-
gestellten Offizier, verloren hatte und nun von Rom nach
Deutschland gekommen war, um ihre Verwandte — die
Frau des Professors war die Schwester ihrer Mutter —
auf eine unbestimmt bemessene Zeit zu besuchen.

Als Dohna den Salon betrat, fand er eine zahl-
reiche und sehr glänzende Gesellschaft. Jener undefinier-
bare Geruch von Handschuhleder, Parfüm, Hitze und
schönen Frauen schlug ihm schon im Vorzimmer entgegen
und seltsamerweise weckte gerade dieser den verschärften
Drang, baldmöglichst in die Nähe der Frau von Monza
zu gelangen.

Nachdem Dohna die Wirtin und einige Bekannte
begrüßt hatte, sah er sich nach ihr um. Er vermochte
sie jedoch nicht zu finden und war schon im Begriff, eine
Frage an ihre Tante zu richten, als aus dem Neben-
zimmer zur Linken ein eignes tiefes Lachen ertönte, das
er kannte und liebte.

In demselben Augenblicke trat, gefolgt von einem
Herrn der Gesellschaft, diejenige aus dem Gemach, die er
suchte. Frau von Monza besaß den ausgeprägten Typus
einer Italienerin. Nur war sic größer und schlanker
als die meisten ihrer Landsleute und von jener vornehmen
gebietenden Schönheit, welche selbst vielerfahrene Männer
der Gesellschaft mit einer gewissen zaudernden Scheu er-
füllt, sich Frauen zu nähern.

Heute trug sie ein rosafarbenes Kleid, das ihren
vollstrotzenden und doch schlanken Körper umschloß und
sich wunderbar abhob gegen das fest an die Stirnseiten
gekämmte ebenholzschwarze Haar. — Eine Königin von
Saba glaubte man vor sich zu sehen und doch verlor
sich der Eindruck dieser Unnahbarkeit sobald sie sprach.
Man hätte eher ihr etwas exzentrisches Wesen tadeln
können, denn sie sprühte von Leben und ihre dunklen
Augen schienen alles forschend durchdrungen und sich zu
eigen machen zu wollen.

„Natürlich!" Hub Frau von Monza an, die bei
Dohnas Anblick sichtliche Verwirrung zeigte, aber diese
vermöge ihrer großen gesellschaftlichen Gewandtheit auch
ebenso rasch zu verbergen verstand.

„Natürlich?"

„Ja, ich meine: Natürlich zu spät! Ich würde mich
nicht gewundert haben, wenn Sie morgen früh znm Kaffee
gekommen wären, statt zum Souper."

„Jedenfalls eine willkürliche Annahme", erwiderte
Dohna, behaglich auf den neckenden Ton eingehend.

„Gut, mag es so sein! Heute will ich mich aus-

nahmsweise nicht mit Ihnen zanken. Wir geben eine
Gesellschaft und haben unsre besten Eigenschaften herans-
zukehren. Ich schickte meinen Geist sogar in den Himmel,
damit er mit einer goldenen und einer silbernen Schwinge
Herrauschen möge!"

„In der That außerordentlich zierlich ausgedacht!"
spottete Dohna.

Die Dame lachte. „Grade so, wußte ich, würde
Ihre Erwiderung ausfallen. Ich sprach absichtlich etwas
Gesuchtes, um Sie zu reizen und genau die Antwort zu
hören, die ich eben empfing." —

„Also trotz aller guten Vorsätze doch kampfsüchtig!"

„Nun, wenn Sie wollen. Ohne Bewegung keine
Wärme!"

„Ah! Das klingt verführerisch — obgleich — ob-
gleich —"

„Obgleich?"

„Nun, obgleich Sie nur eine äußerliche Wärme be-
sitzen. Ich wette, daß ganze Eiszapfen an Ihrem Herzen
hängen!"

„Finden Sie nun das schön?"

„Ich bitte!"

„Ich meine, ob Sie diesen Vergleich graziös finden?"

„Ich kann mir denken, daß ungeübte Naturen die
Schönheit nicht herausfindcn!" —

„Sehr galant. In der That! Aber, um auf den
Kernpunkt zu gelangen, Sie halten mich wirklich für kalt,
herzlos -— berechnend?"

„Letzteres nicht! Aber ich halte Sie für so egoistisch,
daß Sie schwerlich etwas thnn würden, was Ihnen irgend
eine Unbequemlichkeit oder gar ein Opfer auferlegen
würde!"

„Oh, oh, mein Herr Professor! Welches Recht
haben Sie zu einer so ungeheuerlichen Annahme? Die
allzu scharfe Kritik über einen Nebenmenschen verrät einen
ungewöhnlich klaren Einblick in das eigene, nicht sehr
wohl komponierte Innere. — Voila! So stehen die
Dinge! Um Ihnen übrigens den Gegenbeweis zu liefern:
Verlangen Sie ein Opfer. Ich würde es Ihnen bringen,
sofern es in meiner Macht steht!" —

Dieser mit einem seltsam veränderten Blick begleitete
Satz ward unterbrochen, da der Wirt seine Gäste zum
Souper einlud. Die Paare und Gruppen gingen aus-
einander, und auch Frau von Monza ward von einein der
Gäste der Arm geboten.

Bei Tische erhob die schöne, junge Frau zweimal
das Glas und trank Dohna zu. Ihre Augen brannten
wie zwei blitzende Sonnen in einem Kohlenbergwerke und
um ihren Mund lag jener Anhauch von sinnlicher Ko-
ketterie, der die Frauen über alle Geschöpfe des Erden-
rundes erhebt. Sie sah in der That verführerisch schön aus. —

Dohna erwiderte aus der Ferne, was ihm so uner-
wartet entgegengetragen ward. Die Italienerin mit dem
eigentümlichen Accent in der Sprache, mit der vollen
Schönheitsfülle, den wundervollen Farben und dein origi-
nellen, etwas exzentrischen Wesen drängte sich gewaltsam
in seine Gedanken und Sinne. Zwei Wünsche gingen in
seinem Innern nebeneinander her wie zwei Krankheiten,
von denen die eine die andre bekämpfte. Sein künstle-
rischer Schönheitssinn trieb ihn unwiderstehlich zu ihr und
eine ausgeprägte Gleichgiltigkeit gegen ernste Liebe oder
gar eine zweite Ehe ließ ihn wünschen, sie nie gesehen
zu haben.
 
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