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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pecht, Friedrich: Die Münchener Ausstellungen von 1888, [7]: Nord-Amerika
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0453

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Die Münchener Ausstellungen von >888. IV. Nord-Amerika. V. Skandinavien

den zu einem großen Knänl zusammengeballten und von ihren Weibern bald aufgehetzten, bald zurückgehaltenen
Arbeitern zu verhandeln. Das ist dramatisch lebendig und gut charakterisiert gegeben, und auch die kohlendunst-
geschwängerte Fabrikatmosphäre spiegelt das feine Grau des Kolorits diesmal gut wieder. — Hier ist doch eine sehr
achtungswerte, weil selbständige künstlerische Kraft zu bemerken. Am wohlthuendsten wirkt durch die feine Em-
pfindung, wie außerordentlich gediegene Durchbildung ein offenbar zum Musiker geborner junger Mensch, der,
Rekonvaleszent, am Morgen früh im Bett aufgesessen ist, um verstohlen Violine zu spielen und nun von der
Mutter dabei belauscht wird. Das ist überaus fein gegeben, wie der zum Künstler geschaffene Junge mit seiner
edlen Natur die ganze ärmliche Dachstube adelt (Abb. in Heft 21). — Auch das Selbstbildnis des Künstlers ist vor-
trefflich. Amerikanisches ist freilich an beiden Bildern des ehemaligen Pilotyschülers Toby Rosenthal nichts zu
entdecken, so wenig als an Herm. Hartwichs übrigens fein und mit Humor gegebener oberitalienischer Küche
oder besser Familienzimmer. Weit eher findet man dergleichen bei einem zweiten Pilotyschüler, dem freilich
seit Jahren wieder in Amerika lebenden David Real, der das Bildnis eines Knaben gebracht hat mit einer
breiten Meisterschaft der Mache und kecken Farbenlust, die viel mehr für ein kühn aufstrebendes Volk passen,
als die Nachahmung des kränklichen Bastien Lepage. Real hat denn auch in Baltimore eine Reihe Porträts
gemalt, die durch ihre charakteristische Auffassung, wie flottes Machwerk alle die Aufmerksamkeit verdienen, die
ihnen dort zu teil geworden, da sie das amerikanische Wesen im besten Lichte zeigen. Auch in Caligas Damen-
porträt findet man etwas interessant nationales, während seine Fischer in der Kirche dasselbe in ihrem ver-
blasenen Kolorit ganz vermissen lassen. Eiu Damenportrüt von Frl. Klumpke in Paris zeigt mehr Keckheit,
und ganz meisterhaft ist Will. Howes heimkehrende Kuhherde, von einer hochachtbaren Feinheit des Natur-
studiums. Zwei Monate nach der Eröffnung kam dann noch ein gewaltiger Nachschub der amerikanischen
Maler in Paris, der diese Ausstellung verbesserte, ohne sie wesentlich zu ändern.

Denn wie alle Parvenüs würden es sich die Amerikaner niemals verzeihen, wenn sie nicht alle neuen
Moden mitmachten. Ihre Ausstellung kann man daher als eine Musterkarte all der verschiedenen Stilrichtungen
bezeichnen, welche sich im Lauf der letzten 20 Jahre in Europa aufgethan, nur daß eben die spezifisch ameri-
kanische selber fehlt. Das hat sich denn durch diesen Pariser Nachschub noch mächtig vermehrt, den ich hier zu
behandeln habe. So ließen, wie es scheint, die Lorbeeren Puvis de Chavaunes Herrn Gutherz nicht ruhen,
bis er ihn noch überzuckert hatte durch ein Oux. incurnuttoms« getauftes Bild aller Engelschaaren, die von
weitem das Licht der heiligen Nacht aus einem Stall erglänzen sahen und es jetzt ansingen. Es sind echte
Pariser Engel, sehr duftig parfümirt, überdies alle weiblichen Geschlechts, so viel man sehen kann in dem ganz
schattenlos in allen möglichen süßen Farben schillernden Gewühl von traumhaften Gestalten, die doch mehr
weltliche Anmut zur Schau tragen, als sie im Himmel polizeilich erlaubt sein dürste. Talentlos ist das wun-
derliche Bild indeß keineswegs, eher charakterlos, da es zwischen Fiesole und Puvis de Chavannes hin und
herschwankt und nur Herrn Gutherz vermissen läßt.

Über ihre Herkunft zwischen Ssvres und Corbeil lassen uns dagegen zwei derbe Bauerndirnen nicht
im Zweifel, die ins Boulogner Hölzchen übersetzen wollen und dem Fährmann am andern Ufer rufen. Bis
auf die allzu duftige Landschaft ist das von R-Knight ganz tüchtig gemacht „nach berühmten Mustern". Noch
gesunder ist Eug. Vails Fischerboot im Sturm. Henry Mosler bringt dann endlich die erste Szene aus
Amerika selber, eine in die Gefangenschaft der Indianer gerathene Weiße, die, an einen Baum gebunden, von
diesen Scheusalen zu Tode gemartert wird. Sieht man von der empörenden Roheit des Schauspiels ab, so ist
dem Bild Energie und Talent gewiß nicht abzusprechen. Anmutender ist aber jedenfalls das normännische
Erntefest desselben Malers, wenn auch ohne viel individuelles Interesse. Der französischen Modellmalerei
begegnet man dann bei den Spinnerinnen Walter Gays, wie bei Reinharts Weibern, die beim Sturm angst-
voll nach ihren Männern auf dem Meer Hinausblicken, bei C. Blenners vom Feld heimkehrenden Mädchen, wie
Bridgmans ganz echten Pariser Orientalinnen, womit wir denn von dieser neuen Auflage französisch-ameri-
kanischer Kunst Abschied nehmen wollen, nachdem wir noch Hitchcocks wunderlicher Holländerin gedacht, die vor
einem Lilienfeld steht und, Gott weiß warum, „Verkündigung" getauft ist. Genau wie die französischen, so
gerathen auch die amerikanischen Künstler aus purem Phantasiemangel gar oft aufs Wunderliche, ja Absurde.

Hiermit dürfte so ziemlich alles Bemerkenswerte in dieser Ausstellung erschöpft sein, der wohl kein
Mensch ihre transatlantische Herkunft ansehen möchte.

V. Skandinavien

Daß zwischen dem Klima der einzelnen Länder und ihrer Malerei eine ebenso enge als oft schwer
erklärliche Verwandtschaft bestehe, das kann man nirgends deutlicher sehen als im Glaspalast. Schreiend bunt,
aber merkwürdig sonnig empfängt uns Italien, die sengende Glut und Öde Spaniens malt sich in seinen vielen
Prozessionen und Visionen, die Einförmigkeit der Pußta lastet auch ein wenig auf den ungarischen Bildern,
und das viele Regenwetter Deutschlands hat offenbar der Grau-Malerei so rasch bei uns Eingang verschafft,
während die auffallende Heiterkeit der österreichischen Säle nur der Abglanz des Landes und Volkes ist. —
 
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