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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pecht, Friedrich: Die Münchener Ausstellungen von 1888, [8]: Italien
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0475

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N2

Die Münchener Ausstellungen von ;8S8. 7X Italien

Warin Wagdalrna. von Franz Ruß

doch z. B. bei de» Holländern so erfreulich wirkt. Aber ein Michel-Angelo, Raffael und Titian lasten fo
schwer, daß sie jede selbständige Bewegung unmöglich wachen, wie das die italienische Kunst drei Jahrhunderte
lang zu ihrem Schaden erfahren hat. Rann man sich da wundern, wenn sie nach der endlichen Wiedergeburt
und Gestaltung Italiens zu einem einheitlichen Staatswesen nichts Eiligeres zu lhnn hatte, als diese demüii-
genden Erinnerungen ganz wegzuwerfen? Benutzen kann man in der Kunst eigentlich nur das, was man in
irgend einem Stücke zu überbieten hoffen darf, das in seiner Art Vollendete aber nie. Deswegen studierten
unsre Romantiker erst die italienischen Quattrocentisten mit Nutzen, und verloren alle Eigenart, sobald sie die-
selben mit Raffael und Michel-Angelo vertauschten, gerade so, wie die antikisierenden Bildhauer. — Alan kann
daher den Italienern nur Recht geben, wenn sie jenen Riesen den Rücken kehren und wie der heilige Christoffel
sich zur größten Herrscherin, der Natur, znrückwenden, was ihnen, wie wir gesehen, schon Papa Leonardo
selbst geralcn. — Ist das Ergebnis solchen Verfahrens noch kein imponierendes, so hat es doch manchmal
bei der großen natürlichen Begabung der Nation zn überraschend Neuem geführt, wenn auch zu nichts
irgendwie Großem. Denn dazu müßten die Verhältnisse in Italien wesentlich anders liegen, müßten der
Staat und die Gemeinden mehr für die Kunst thun können und die reichen Italiener anshören, ihr Geld bei
weitem mehr zu lieben als die Malerei. Jetzt aber sind die italienischen Maler viel zn sehr ans den frivolen
Geschmack der Fremden angewiesen, für den ihre Bilder fast ausschließlich berechnet scheinen. — Es ist ja auch
das edle Ideal gewisser deutscher Staatsmänner, daß die Kunst vor allem für den Export — nach Amerika

oder dem Land, wo der Pfeffer wächst — zu arbeiten habe.

Von religiöser oder Historien-Malcrei ist darum nicht die Spur bei den Italienern zu entdecken, wenn
man nicht ein paar sehr verunglückte Versuche, die Barbaren oder die alten Römer zu schildern, dafür nehmen

will. Auch die Leistungen der Bildnismalerei sind sehr mäßige; ein an Titian erinnernder Hauptmann der

Schweizer Garde von de Sanctis ist hier eine seltene Ausnahme. Selbst ihre neuere Geschichte scheinen die
Italiener ganz zn vernachlässigen. Es gibt eigentlich nur Sittenbilder und Landschaften. Innerhalb der letzteren
aber bemerken wir drei Meister von wirklichem Verdienst. Vorab Ciardi, der durch drei meisterhafte Bilder
vertreten ist: eine Lagune mit dem in Abendröte gehüllten Venedig im Hintergrund, wo wie beim zweiten
Lagunenbild neben einer Insel, Luft und Wasser die Hauptrolle spielen, aber auch mit einem Reiz dargestellt
sind, der Ziem weit hinter sich läßt. Auch das eine Bergschlncht mit Flußbett darstellende dritte Bild zeigt
denselben urwüchsigen, aber von Schönheitssinn geadelten Naturalismus. Ciardi verwandt, aber breiter und
wilder erscheint eine Berglehne mit Aussicht in ein weites, sonniges Thal, und eine zweite mit Bäumen und
Wald im Hintergrund voll Sonnenschein bei frappantem breiten Vortrag, wie Kühnheit der Auffassung von
Gignous. Ein einsamer venezianischer Kanal in der Abenddämmerung von Fragiacomo ist auch gut. Weit
interessanter sind indes die Nacht- und Mondschein-Bilder von Marius de Maria in Rom, die, bald Venedig,
bald Rom oder Unteritalien entnommen, durch ihre Kühnheit frappieren, mit der sie an die französischen
Romantiker erinnern. Auch Corelli arbeitet in dieser Gattung und bringt einen furchtbar wilden Winkel, wo
man im frisch gefallenen Schnee und von blassem Mondlicht gespenstisch beleuchtet einen Ermordeten liegen
sieht. Ein andermal gar ein halberwachsenes Mädchen, das wohl neben der Leiche seiner Mutter im Dunkel
einer Stube versteckt liegt und zwei sich schnäbelnden Tauben zusieht, die ihm seine Verlassenheit doppelt,
fühlbar machen.

Wir wären damit wieder bei den Sittenbildern angelangt, dem interessantesten Teil der Ausstellung.
Hier glänzt der kürzlich verstorbene Favretto durch zwei Bilder, welche das Venedig des vorigen Jahrhunderts
darstellen, mit seinen weibischen Nobilis und eleganten Frauen. Die Charakteristik derselben geschieht indes
 
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