Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

DOI Artikel:
Proelß, Johannes: Modelle, [5.1]: Novellenkranz ; Hermione
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0030

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
<2

Modelle

suchen sich anreiht, die wir heute in Form von lebenden
Bildern gemacht haben. Spricht doch Paulina, als sie
den für seine Eifersucht so hart bestraften Leontes warnt,
die Statue zu küssen, von Farben, von frischen Farben,
die ihn beflecken könnten, wenn er den Marmor küsse.
Wirklich, Fräulein, die Idee ist selber zum Küssen. Denn
auch das höchste, was unsre Kunst erstrebt, in Erz oder
Stein das Leben so echt, so wahr darzustellen, daß man
seine Blutwärme zu spüren vermeint, fordert diese Auf-
gabe so ausdrücklich wie kaum ein Motiv der antiken
Mythologie." — Und als Antwort zitirte schlicht und
halben Tones die junge schöne Künstlerin den Vers des
großen Briten:
„Ls atmet von ihr her: welch zarter Meißel
Schuf jemals kauch? V spottet meiner nicht,
Ich will sie küssen I"
„Und mein nächstes Bildwerk heißt Hermione!" rief
Niedeck feurig, und leise fügte er — sich mit dem vollen
Aufschlag seiner blauen Augen an seine Nachbarin wendend
-— hinzu: „Vorausgesetzt, daß Sie mir dafür das unüber-
treffbare Modell sein wollen. Denn wer sonst könnte
mir für eine solche Aufgabe die genügende Vorlage bieten.
Nur, daß Sie zu jung sind. Aber hier ist Ihre Kunst
der meinen Voraussetzung. Darf ich hoffen?!" — Die
Künstlerin erröthete leicht, indem sie ihren dunklen Straußen-
federfächer bis an die unteren Lider ihrer Augen legte
und nach kurzem Streifblick auf ihren Nachbar nachdenklich
vor sich hin sagte: „Das will überlegt sein, drum sage
ich nicht sofort nein. Wozu wir armen, wirklich schon
genug abgehetzten Schauspielerinnen doch alles gut sein
sollen! Modell stehen?" — „Aber Fräulein!" brauste
Niedeck auf, „in diesem Fall . . ." „Schon gut! Sie
wollen sagen, in diesem Fall wäre das doch etwas
Besonderes. Aber reden wir von etwas anderem. Die
Sache müßte doch auf alle Fälle unser Geheimniß bleiben.
Nachher im Freien, wenn das Essen vorbei ist, können
wir ja einmal ernstlich darüber reden. Übrigens, das
Feuerwerk soll ja sehr glänzend werden!" Und das Feuer-
werk war wirklich dann sehr glänzend. Aber noch glän-
zender erschien während desselben der Künstlerin die
Beredsamkeit des liebenswürdigen Bildhauers, mit der
er sie zu überreden suchte, „seiner Hermione" das ent-
zückende Vorbild zu sein. Das Versprechen, das er
schließlich beim Abschied von ihr erhielt, am nächsten Tag
zur Mittagszeit sein Atelier besuchen und besichtigen zu
wollen, wurde in einem Tone gegeben, der von ihm
als halbe Einwilligung gedeutet werden durfte.
Karl Niedeck hatte ein schön ausgestattetes Atelier.
Es wirkte künstlerisch stimmungsvoll ohne überladen zu
sein. Die großen Gerüste und Gestelle, welche der Bild-
hauer bei seiner Arbeit braucht, seine Hantierung mit
großen Massen Thons und mächtigen nassen Tüchern zum
Feucht- und Weichhalten der Arbeit, verbieten ja ohnedies
den dekorativen Aufwand, der neuerdings in Malerateliers
Mode geworden. Aber auch sein Geschmack würde auf
ein diskretes Maßhalten gedrungen haben. Reizend war
im Hintergründe, der durch zwei epheuumsponnene Säulen
einer mittelalterlichen Laube gleich abgesonderte Neben-
raum, in dessen Ecken grüne Pflanzengruppen weiße Mar-
morbüsten umgaben. In der eigentlichen Werkstatt sah
es dagegen einfach aus; seinen Hauptschmuck bildeten echte
Teppiche an den Wänden. Er war kein Freund der
genialen Unordnung. Darum verdroß es ihn auch, als

er bei seinem Eintreten am folgenden Morgen, wo ihn
noch dazu die Erwartung des interessanten Besuchs ganz
erfüllte, einen unangenehmen Eindruck dieser Art empfing.
Das Mädchen, welches ihm und seinem Bruder seit geraumer
Zeit für verschiedene Arbeiten als Modell diente, hatte sich,
da Cäsar abgerusen worden war, Karl sich aber an diesem
Morgen verspätet hatte, in — wie es meinte — sehr vorteil-
hafter Weise für seinen Empfang zurecht gemacht. Cäsar,
der zu dem Entschluß gelangt war, nach dem schönge-
bauten, kräftigen Mädchen, dem die Eva-Natur aus allen
Mienen lachte, seine Auffassung der Eva als Mutter des
schönen, aber betrügerischen Geschlechts zu formen, hatte sie
kurz vor seinem Weggang veranlaßt, sich für das Studium
der entsprechenden Pose zurecht zu machen. Noch lagen
die Kleider, soweit sie sie abgeworfen hatte, liederlich auf
dem Boden. Als sie Karl kommen hörte, vor dem sie
großen Respekt hatte und um dessen Gunst sie sich mühte,
war sie schnell auf die persische Ottomane an der Längs-
wand gesprungen, hatte sich mit einem Teppich halb zu-
gedeckt und gleichzeitig einen großen japanischen Fächer
ergriffen, hinter dem sie bei seinem Eintritt Gesicht und
Oberkörper teilweise verbarg. Sie wußte wohl, daß
Karl ein unaufgefordertes Schaustellen der Reize nicht
liebte. Bei einem andern würde sie sich darum wenig
gekümmert haben; in Karl aber war sie verliebt, verliebt
auf ihre Weise; sie wollte von dem reichen und schönen
jungen Mann geliebt werden, wie sie von andren, die
nicht so schön und reich waren, schon geliebt worden war.
Er aber behandelte sie beharrlich wie ein Ding, eine
Sache, wie irgend einen leblosen Gegenstand, den er bei
Ausübung seiner Kunst brauchte. Dies hatte sie schon
längst empört. Nachdem sie bald eingesehen, daß bei ihm
die gewöhnlichen Künste der Koketterie nicht verfingen,
hatte sie seine Eifersucht zu wecken gesucht, indem sie dem
häßlichen Bruder ihre Aufmerksamkeiten ausschließlich zu-
wandte, was dieser mit großem Behagen aufnahm. Und
als auch das nichts geholfen, begann sie — freilich ver-
spätet — sich auf das unverstandene gefühlvolle Came-
lienkind hcrauszuspielen, das nur durch Unglück und Bos-
heit andrer um seine Unschuld betrogen worden sei und
nun plötzlich sein Herz entdeckt habe, das bis dahin völlig
rein und unschuldig geblieben. Und auch darauf war der
„schöne Niedeck" nicht eingegangen. So grob, wie sie
aber jetzt von ihm angelaffen wurde, so hatte er sie doch
noch nie behandelt.
„Was fällt Ihnen ein! Machen Sie, daß Sie da
herunterkommen! Zum Teufel, was wollen Sie in diesem
Aufzug. Ich brauche doch nur Ihre Büste!" fuhr er sie
an. — „Ich soll Ihrem Bruder als Eva stehen", ant-
wortete sie verlegen. — „So, dann mag er Sie auch in
seinem Zimmer empfangen. Aber ist mir ganz recht.
Ich bin der Arbeit, für die Sie mir sitzen, müde. Und
von heut ab Hab' ich besseres zu thun!" Dabei nahm er
die nassen Lappen von einer in Tischhöhe aufgebahrten
Thonmasse, die von einem bereits halb ausgeführten
Puttenkopf gekrönt war, ergriff einen Holzschlägel und
begann damit unbarmherzig den Kopf zu bearbeiten, der
schnell zu einem formlosen Klumpen zusammensank.
Bei dem ersten Schlage war das Mädchen auf die
Ottomane mit einem Schrei zurückgesunken, wie ihn nur
der echte Schmerz hervorbringt. Als er von seinem Thun
aufsah, saß sie zusammengeknickt da und weinte. „Nur
nicht die Sentimentale gespielt. Nehmen Sie Ihre Sachen
 
Annotationen