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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Proelß, Johannes: Modelle, [6.1]: Novellenkranz ; Sancta Magdalena
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Modelle
Novellenkranz, von Johannes proelß

Sancta
6Mm andren Morgen, als die Gesellschaft zur gewohnten
Stunde wieder auf dem Vorhof der Rattenburg-
Ruine zusammentraf, ließ der Bildnismaler Oswalt auf
sich warten. „Er wird sich doch nicht um seinen Beitrag
„drücken" wollen?" fragte mißtrauisch der Professor. „Das
glaube ich kaum," antwortete lächelnd Frau von Pawlowska;
„er war gestern so auffallend still, daß ich mir wenigstens
einbildete, er bereite sich gründlichst auf seine Leistung
als Erzähler vor. Er gehört ja zu den „Gründlichen"." —
„Doch was ihn jetzt abhält," klärte Weinhold auf, „ist
nicht die Sorge um das Modell, von dem er erzählen
soll, sondern um ein wirkliches. Ich traf ihn vorhin. Er
war außer sich. Er braucht für ein größeres Genrebild
einen Studieukopf, den er hier nach der Natur malen
wollte. Und weil er ein Passendes Gesicht nicht gleich
finden kann, behauptet er, die echten Tirolerinnen seien
in Tirol überhaupt ausgestorben. Er schimpfte auf De-
fregger; der habe dem Publikum so viel schöne Tiroler
Madln vorgemalt, daß kein Mensch mehr andre Tiroler
Bauernköpfe für „eckt" erkläre, die nicht etwas von jener
Schönheit haben. Übrigens muß er gleich hier sein."
„Ich habe bisher nie geglaubt," sagte nach einer kleinen
Pause nachdenklich die jugendschöne Tochter des Alters-
präsidenten, „daß den Modellen ein so großer Einfluß auf
die Knust und gar das Lebensglück der Künstler zufalleu
könne. Ich kann mir auch nicht denken, daß in den
Zeiten der klassischen Kunst solche Verhältnisse möglich
waren. Den kindlichen Glauben, daß die großen Werke
der Antike und Renaissance einfach nur zur Darstellung
brachten, was die genialen Urheber im Geiste schauten,
habe auch ich ja längst aufgeben müssen. Als ich mit
Papa das letztemal in Rom war, habe ich in der kleinen
Galeria di San Luca auch jenes Bild Raffaels gesehen,
das ihn selbst darstellt wie er beim Malen dem heiligen Lukas
zusieht, welchem die heilige Jungfrau persönlich erschienen
ist, um ihm als Modell zu dienen. Also selbst Raffael
konnte sich den gottbegnadetsten aller Maler, eben den
heiligen Lukas, nicht vorstellen, ohne die Hilfe eines Mo-
dells. Und dennoch, als ich das letzte Mal vor seiner
Sirtina stand, ward es mir immer noch schwer zu glauben,
daß die Fornarina oder irgend ein andres schönes Römer-
weib in ganz profaner Weise ihm dafür Modell gestanden
habe. Das ist nun freilich gewiß. Um so bewunderungs-
würdiger erscheint mir aber seine Kraft, die Wirklichkeit,
die sich ihm bot, in seiner Auffassung so zu idealisieren,
daß ihr Abbild als Verkörperung eines ureinzigen Schön-
heitsideals wirkt. Diese Verklärung der Wirklichkeit hielt
ich seitdem für das wesentlichste Moment des genialen
Kunstschaffens, und daß z. B. in den Sittenbildern De-
freggers aus der Tiroler Gebirgswelt auch etwas von
solcher Verklärung zu spüren ist, scheint mir ihren hohen
Wert mit zu bedingen. Nun aber wird auf einmal von
tonangebenden Stimmen gerade das, was ich als Elemen-
tarkraft des Genies bewunderte, für eine Schwäche des
Künstlers erklärt, die Idealisierung der Wirklichkeit in Acht

Nkagd alena
und Bann gethan und als Lug und Trug verfehmt-
Und daß infolge dieser Bewegung dem Modell heute
eine Wichtigkeit zufällt, die ihm eigentlich gar nicht zu-
kommt und die sich nun auch im Leben der Künstler ver-
bängnißvoll äußert, scheint mir wahrhaftig kein Fortschritt.
Oder irre ich mich?"
Sie hatte sich bei diesen Worten ihrem Vater zu-
gewandt, der ihr beistimmend zulächelte. „Du sprichst ja
weise wie Porzia, liebe Cilli," sagte er. „Aber so sehr ich
dir in der Hauptsache beipflichte, in letzterer Beziehung
irrst du allerdings. Ich meine im Gegenteil, die Aus-
wahl ihrer Modelle ward von den alten Meistern mit weit
mehr Sorgfalt und Eifer betrieben, als dies meist heute
der Fall ist. Das erste Beste, was ihnen der Zufall in
den Weg bringt, ist unsren Ultrarealisten ja gerade recht.
Diese Gleichgültigkeit ist ihnen — wenn man ihren Wor-
ten glauben darf — sogar Gesetz. Sieht man sich ihre
Werke genauer an, so zeigt sich freilich, daß auch sie das
Idealisieren nicht lassen können, nur daß ihre Ideen einer
pessimistisch-trüben Weltanschauung entstammen. Uhdes
Heilige Nacht hat ibr Vorbild ebensowenig in der Wirk-
lichkeit gehabt, wie die von Correggio. Aber was Correggio,
von inbrünstigem Glauben bewegt, begeistert als Seelen-
bild schaute, dann mit genial gestaltender Phantasie und
empfindungsmächtigem Farbensinn ausführte, hat Uhde einer
färb- und lichtarmen, freudlos-nüchternen Weltanschauung
anzupaffen gesucht und dabei den Zufall der Wirklichkeit
zum Herrn über sich gemacht. Auch er hat Engel, also
Wesen, welche die Wirklichkeit nicht kennt, zu malen gesucht,
statt aber dabei die schönsten, pausbäckigsten, kraftsprühend-
sten Bengel, die überhaupt aufzutreiben waren, in ihrer
jauchzenden Lust zu Modellen zu wählen, nahm er dazu
kleine, elende, engbrüstige Kinderchen, wie er sie in den
Straßen irgend einer ärmlichen Ortschaft vorfand. Seinen
Engeln erscheinen die Flügel angeheftet und ihre Lungen
sind sicherlich nicht der Anstrengung des Fliegens gewachsen.
Wer Übernatürliches darstellen will, muß während des
Schaffens es auch für wirklich Halten, um es im Bild
verwirklichen zu können. Diesem Glauben entspringt dann
auch die innere Nöthigung, der wirklichen Welt Modelle
abzugewinnen, die an das darzustellende Ideal möglichst
heranreichen. Und daß dies nicht immer leicht ist, liegt
auf der Hand."
Man war gerade dabei durch Beispiele diese Ansicht
zu erhärten, als endlich auch Oswalt erschien. Er hatte
sein Salontiroler-Kostüm von gestern abgelegt, was seiner
sympathischen und eigentlich bedeutenden Erscheinung sehr
zum Vorteil gereichte. „Ei," rief er, „Ihr Gespräch ist ja
im besten Zuge, Stimmung für meine Geschichte zu machen.
Denn ich habe vor, Ihnen von einem Maler der ideali-
stischen Richtung zu erzählen, der beinah' in Wahnsinn
verfiel, weil er daran verzweifelte, in der Wirklichkeit
Modelle zu finden, die seinen Idealen entsprächen."
S *
„Wer zu den fleißigen Besuchern unsrer Kunstaus-
stellungen gehört, wird'schon oft Bildern eines bekannteren
Meisters begegnet sein, die sowohl nach Auffassung wie

*) V. Hermione siehe Heft 1 und 2.
 
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