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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Kirchbach, Wolfgang: In der Bildergalerie: eine epikuräische Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0182

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Line exikuräische Betrachtung, von Wolfgang Uirchbach

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Aus Gregor von Bochmanns Skizzenbuch

Jahren immer wieder dasselbe Bild, eine Madonna, welche ein wenig hoch hängt. Daher befindet sich die
Malerwerkstatt auf einem jener hölzernen Gerüste, welche auf Rollen vor das Bild geschoben werden. Die
kleine Malerin ist kurz und dick, daher hat sie oben vor ihrem Bilde einen Drehsitz stehen, der rund und
mit Leder gepolstert ist und auf einer Schraube sehr hoch in die Höhe gedreht werden kann. Darauf sitzt
die kleine dicke Person, in der einen Hand die Palette mit dem Pinsel, in der andern den Malstock. Ruhig
malt sie und bedächtig an ihrer Madonna, die sie vom häufigen Wiederholen vollständig auswendig kann.
Nun geschieht es regelmäßig, daß sie oben am Bilde über dem Kopfe der Madonna ein paar Englein zu
malen hat, zu denen sie mit dem Pinsel nicht bequem hinausreichen kann. Da dreht sie sich ein wenig
mit dem Drehsitz gegen den Saal herum, um zu sehen, ob Niemand da sei. Glaubt sie sich unbeobachtet,
so gibt sie sich nun auf einmal mit der Hüfte einen kleinen kräftigen Schwung. Im Augenblick dreht sie
sich mit dem Drehsitz, Palette und Malstock gemütlich in der Hand, mit fabelhafter Geschwindigkeit fünf-,
sechsmal um sich selbst und gelangt so in kreisenden Umschwüngen höher am Bilde hinauf. Hier malt sie
behaglich an ihren dicken Engelein. Nun trifft es aber natürlich, daß sie gelegentlich wieder herunter
möchte. Das ist indessen nicht leicht zu bewerkstelligen. Ihre Füßchen schweben zwei oder drei Fuß in
der Lust über dem Erdboden und hoch oben vom Drehsitz herunterzurutschen ist für ein wohlbeleibtes und be-
jahrteres Frauenzimmer nicht gut ratsam. Sie blickt sich daher wiederum in aller Eile um, ob Niemand
unten im Saale ihr gerade zusieht, gibt sich von neuem einen entschlossenen Schwung, dreht sich wie ein Kreisel
mit fabelhafter Schnelligkeit um sich selbst und wirbelt sozusagen in die Schraubenhöhle wieder hinab. Dann
vermag sie mit ihren Füßen den Boden zu erreichen und kann nun ihre Pinsel in Unschuld waschen. —
Vieles wäre zu sagen von den verschiedenen Arten, wie in einer solchen Galerie von den Damen gemalt wird,
denn einige lieben es, erst die Hintergründe zu malen und die Figuren als Weiße Schatten darin stehen zu
lassen. Andere beginnen damit, erst sämtliche Orden und Kleider eines Bildnisses säuberlich auszuführen, ehe
sie den Kopf unter den Pinsel bringen. Es wäre auch viel zu erzählen von der kunstwissenschaftlichen Ge-
lehrsamkeit der Galeriediener, welche meist zu einer der Malerinnen eine stille achtungsvolle Zuneigung fühlen —
da wir aber diesmal nur die epikuräische Seite des Genusses einer Bildergalerie uns vergegenwärtigen wollten,
so will ich nur das Eine zum Schluß bemerken, daß ich auf aller Welt nichts Behaglicheres und Epikuräischeres
kenne, als wenn meine kleine Dicke mitten unter den Bildern alter Götter und Venusleiber, von Bacchuszügen
und geschundenen Heiligen sich auf ihrem Drehsitz mit olympischer Ruhe umherkreiselt.



Aus Gregor von Bochmanns Skizzenbuch
 
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