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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Proelß, Johannes: Modelle, [7,3]: Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0302

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Modelle
Novellenkranz. Von Johannes Proelß
VII. Der Zitherspieler von Zell
(Schluß aus dem vorigen Hefte)

o ging sie allein über den langen Steg, der nur aus
dicken rohbehanenen Stämmen gebildet war.
Drüben fand sie sich enttäuscht; ein tanncnbcstandener
Felskegel, der sich am Ufer in einiger Entfernung erhob,
versperrte ihr die Aussicht. Sie schritt deshalb auf
diesen zu, uni zu sehen, ob nicht auf seiner Höhe ein
Platz zum Niedcrlasscn sei. Nach einigem Klettern
gelangte sie hinauf. Die Aussicht war wundervoll. Doch
gab sie sich derselben noch nicht hin, sondern schaute zurück
zu dem Vater und den übrigen Reisegefährten und winkte
ihnen mit dem Taschentuch, was diese lebhaft erwiderten.
Die gegenseitigen Zurufe, welche drüben Besorgnis äußerten,
hier zu beruhigen suchten, wurden zwar vom Tosen des
Wildwassers übertönt, aber die drüben fanden sich darein
und vertieften sich bald wieder in ihre Arbeit. Auch
Cilli setzte sich auf einen Haufen welker Tannennadeln
um die ihrige zn beginnen. Bald aber schnellte sie
wieder empor. Sie hatte wahrgenommen, daß ein
Ameisenhaufen ihr den trügerischen Pfühl geboten. Schnell
befreite sie sich von den an ihren Kleidern emporkrabbeln-
den Tieren und eilte wieder hinunter und weiter vor-
wärts. Und bald hatte sie auf dem sanft ansteigenden
Saumpfad wiederum eine Stelle erreicht, die ihr die
entzückendste Aussicht bot und dazu in einem moos-
bewachsenen abgeplattenen Felsstück einen Sitz, wie sie
ihn hier nicht besser wünschen konnte. Von dem Wild-
bach war sie freilich durch einen Bestand von Lärchen
und Tannen getrennt, um so freier und weiter war der
Ausblick in die glänzende Gletscherwelt im Thalschluß.
Frohen Muts ging sie eifrig ans Zeichnen.
Als sie jedoch nach geraumer Zeit wieder einmal die
Augen von der Arbeit ins Weite richten wollte, erblickte
sie plötzlich ganz nahe vor sich einen alten gebrechlichen
Bauern, der eben um die Bergkante gekommen war, um
welch dort der Weg bog. In dem gleichen Momente hatte
auch er sie erblickt und dann sofort einen grellen Juh-
schrei ausgestoßen unter einem verfehlten Versuch, seinen
alten, schwarzen Filzhut in die Luft zu schwenken. Mit
tappenden Schritten, schwankend wie ein Trunkener, rannte
er dann auf sie zu. „Schaucht's", rief er, dicht vor
ihr stehen bleibend und sie mit gläsernem Blicke anstierend,
„gar a Malerin im Zemmgrund. Das ist jetzt a
feini." Dabei machte er mit eingeknickten Knieen einen
Satz, wiederholte den heißeren Juhschrei, schlug sich auf
die verschlissenen Lederhosen, wie es die Tiroler beim
Schuhplatteln thnn, und wiegte sich dabei trippelnd auf
seinen Füßen. Dazu sang er mit zitternder kreischender
Stimme:
„Und's Dirndl is a Zitha,
Worüber nix geaht,
Und dem macht's die schönst' Nlufi',
Der's Spielen versteht."
Vom Schrecken gelähmt, hatte Cilli bisher dem
peinlichen Austritt beigewohnt. Jetzt machte sie einen
Versuch, sich zu erheben. Sie ließ dabei ihr Skizzenbuch
fallen und unglücklicherweise kam ihr der unheimliche
Kerl zuvor, indem er es aufhob. „Stat, nur immer
stat, Diandl. O, der Füger Nazi weiß aa was sich

schickt! Gelt? Ihr kennt's mi'? Den Zitherspieler von
Zell! Kennt's mci Bild, gelt! Und an frischer Bua war
der Füger Nazi füll dazumal. Hergottsakra! Stat,
sag i, stat" — unterbrach er sich, als das von Empörung
und Ekel durchbebte Mädchen ihm ihr Skizzenbuch zu
entreißen suchte. „Stat, wcnn's dös Büchel willst wieder
Ham. Schau, der Füger Nazi is schon so oft g'malt
wor'n, aber von 'ein Weibsbild, so ein feinem, dös hat
er doch nöt derlcbt. Geht's her, und macht's ma a
Skizz'n vom alten Zitherspieler von Zell . . . Schau,
Diandl, i will da drüben mei Zithern hinstell'n und mi
ganz still halt'n, daß ös mi aa schön treffen könnt."
In des Mannes Stimme war ein plötzlicher Um-
schlag erfolgt. Nach dem rohen Kreischen der Drohung
hatte er seinen Vorschlag leise und weich vorgebracht.
Er gab dem Fräulein auch ohne weiteres das Skizzen-
buch zurück und tappte dann still nach der gegenüberliegen-
den natürlichen Felsbank, auf die er sich setzte, während
er aus seinem verblichenen Rucksack eine alte Zither
holte und diese dann sorglich auf seinen Schoß nieder-
stellte. Nun gab er sich eine ähnliche Pose wie damals,
da ihm zn seiner höchsten Genugthuuug ein durchreisen-
der Maler als „Zitherspieler von Zell" verewigt hatte.
Halb, weil ihr Verstand cs für das klügste erklärte,
halb aber auch einer Regung des Mitleids folgend, ließ
sich wirklich das mutige Mädchen nieder und begann dem
Wunsch des vorher so aufgeregten und nun so still
gewordenen Mannes nachznkommcn. Und während sie
zeichnete, begannen die Saiten unter seinen zittrigen Händen
leise zu klingen und leise, in halben, aber nicht mehr
unschönen Tönen kam's von den Lippen des Alten: ver-
wegene Schnadahüpfln, wie er sie schon in seiner glanz-
vollen Jugendzeit gesungen, aber in einem Tone, der sie
zn einer schwermütigen Totenklage herabstimmte.
„A Goasbock is g'stieg'n
So huach in scim' Zuarn,
Hat a Gams wearn woll'n,
Hs dengascht koans wuarn.
Mei Godl is g'storbn,
Mas hat's ma vermacht?
An Sunnschein beim Tag,
An Mondschein bei da Nacht.
Wenn i amal g'storbn bin,
Thoalt Enk mei Erb:
A paar alte Hosenbünd' —
Zwoa z'sammengrissne Körb.
Zithaschlogn, Zithaschlogn,
Hs a scheans G'spiel,
's Diandl hat Soat'n —
Woaß der Teifel wia viel.
Zithaschlogn, Zithaschlogn
Macht zittrige Händ —
Und derletzt reißt die Soat'n
Und das G'spiel hat an End" . . .
Die Stimme war bei diesem Vers noch wehmütiger
und leiser geworden, schließlich erstarb sie. Eine Weile
saß er ganz still da, die Augen geschlossen, während durch
die Wimpern Thränen quollen. Cilli, die, als sie zu
zeichnen begonnen, sich vorgekommen war wie jener
 
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