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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Proelß, Johannes: Modelle, [5.2]: Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0046

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Novellenkranz, von Johannes proelß

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Aber eine schöne Rolle ist freilich diese Hermione, gerade
für so eine Bühnendame, die im Fache der sanften Un-
schuld „arbeitet" — mit so großem Erfolg, daß sic sogar
den welterfahrencn Karl damit täuscht. Ganz wie Leontes
es ausdrückt:
„Solch traulich Wesen
Nimmt heitern Schein an und erklärt sein Buhlen
Für Freundschaft, Herzlichkeit und Seelengüte,
Und herrlich steht dem Spieler solches Spiel."
So kam die Zeit heran, wo die Arbeiten für eine
damals gerade in unsrer Kunststadt in Vorbereitung be-
griffene Jubiläums-Ausstcllung eingeliefert werden mußten.
Der junge Niedeck hatte sein Problem sehr glücklich gelöst,
indem er einen hellbraunen Grnndton, in welchem er
das einfach schöne, faltige Gewand gehalten, für Antlitz,
Hals und Arme zu einem warmen Elfenbcinton hcrab-
gemildert, für Haar und Ansputz zu einem tiefen Bronzeton
dagegen gesteigert hatte. Namentlich bei gedämpftem
Gaslicht am Abend sah die Figur in der That aus, als
entströme ihr warmes Leben. Und als Hedwig Schwarz
zum crstcnmale auf seine Einladung hin das fertige Werk
in solcher Beleuchtung sehen durfte, da brach sich nach
dem ersten Stillschweigen der Überraschung das Entzücken
über das Werk ihres Freundes in jenen Worten Bahn,
die sie schon bei der ersten Begegnung mit Niedcck so
schön recitiert hatte:
„Ls atmet von ihr her: welch zarter Uleißel
Schuf jemals Hauch? G spottet meiner nicht —
Ich will sie küssen!"
Sie sagte die Worte leise und feierlich, wie aus einer
Verzückung. Unwillkürlich hatte sie einen Schritt gegen
die Statue gelhan. Da fühlte sie sich plötzlich von zwei
Armen umschlungen und sich selber geküßt von Lippen,
die ihr nun inbrünstig zuflüsterten: „Es ist dein Atem,
dein Hauch, der dich ergriff, er ging in mich über als
ich das Bild schuf; küsse mich statt des Bildes!" Und
die Künstlerin konnte nicht anders, sie mußte angesichts
der Statue, die gleich einer Göttin der keuschen Liebe
auf sie niederschaute, den Kuß des Mannes, der jene ge-
schaffen, erwidern — in keuscher Liebe. Und mit diesem
Kuß wurde Fräulein Schwarz Karl Niedccks Verlobte.
Mit der Siegeszuversicht, welche eine glückliche Liebe
dem Manne stets verleiht, sah dieser dann dem Schieds-
spruch der Jury entgegen. Er durfte sicher hoffen, daß
sein Werk zur Ausstellung angenommen werde. Sehr
verblüfft war er daher, als er einige Wochen nach der
Einsendung seine Kiste mit dem Stempel der Akademie ver-
sehen zurückerhielt. Der Brief würde wohl durch die Post
folgen, bcmcrklc der Überbringer. „Inrückgcwiesen?" In
größter Aufregung griff er nach Stemmeisen und Hammer
und begann die Kiste zu öffnen. Es war aber aus Ver-
sehen die „Eva" Cäsar Niedecks, welche die Jury zurück-
gewiesen hatte, von den Akademiedienern in die Kiste Karls
verpackt worden und als dieser glücklich so weit war, den
Deckel emporzuheben und dies mit zitternden Händen
that, entfiel ihm vor jähem Schrecken das Brett und wie auf
ein grausiges Gespenst sah er mit wcitaufgerisscncn Augen
auf ein weißes Marmorgesicht, das einen Schlangenleib
krönte und mit Porträttreue die Züge seiner Braut, seiner
„Hermione" trug. Mit Porträttreue, ja. Und doch auch
nicht. Denn ein so lauernder Ausdruck satanischer Ver-
führungsfreudc, wann hätte der ihre Züge je entstellt! Jetzt
erst überblickte er den Zusammenhang — die Eva —
Die Kunst für Alle V

mit den neugierig-lüsternen Zügen jenes albernen Modells,
um dessentwillcn er sich mit Cäsar überworfen — den
Baum mit der Schlange — und wieder diesen Kopf, der
seiner Geliebten glich und sie doch im innersten beleidigte
und verhöhnte. „Seine Rache! O — der Bube!" —
stieß er nun knirschend hervor. „Aber die Götter sind
gegen dich. Sie haben die öffentliche Beleidigung ver-
hindert. Und ich" — dabei ergriff er mit bebendem
Arm den Hammer — „ich will sie vernichten!" Erholte
aus — ein furchtbarer Streich traf das Schlangenhaupt,
der Hals zerbrach, der Kopf rollte donnernd hinein in
die Stube: „Cäsar", rief er dabei, wie rasend, „Cäsar,
komm' doch und sieh!" Dann riß er die Thür zu ihm
ans, raffte den abgeschlagenen Kopf empor und warf ihn
dem Erschreckten vor die Füße: „Da nimm! Und das
wisse" — ries er mit furchtbar drohender Stimme — „so
wird es dem selber ergehen, der noch einmal meine Braut
beschimpft." Vor dem gewaltigen Zorn des Starken
erbebend, knickte Cäsar — erbleicht und zitternd — wehr-
los in sich zusammen. Wie ein Kind, das man getreten,
kreischte er nur gellend auf: „Verrat." Dann schleppte er
sich mühsam zur Klingel, schellte dem Hausdiener, half
diesem, ohne ein Wort zu sagen, die Kiste in sein Atelier
bringen, entließ ihn wieder, trat dann nochmals in
die Thür und sagte langsam mit heiserer, bebender
Stimme zu dem immer noch den Hammer haltenden
Bruder: „Das — sollst — du — bereuen!"
Und wirklich war ihm der Satan behilflich, ein
neues Rachewerk auszusinncn. Karl erhielt am andern
Tage einen Brief der Jury, der ihm die Annahme seiner
Hermione mitteilte. Er hatte für Liesen Fall seiner Braut
versprochen, deren inzwischen begonnene Ferienzeit zu
benutzen, ihre Verwandten in Wien mit ihr zu besuchen.
Der Brief hatte ihn gerade dabei getroffen, dem Stief-
bruder schriftlich eine Absage aller Beziehungen mitzuteilcn
und ihm zugleich eine größere Summe anzuweisen für
die ihm zugesügte materielle Schädigung. Dann schloß er
seine Werkstatt ab, kündigte sie bei dem Hausbesitzer für
das nächste Quartal, gab in der Hauptpost seine Wiener
Adresse auf und verfügte sich aufatmend zu seiner Braut,
der er von dem Vorgefallenen nur das Angenehme mit-
teilte. Das glückliche Paar war aber erst wenige Tage
fort, als vor der geschlossenen Thür zu Karls Atelier
wiederum eine große Kiste abgestellt wurde, mit dem
Stempel der Akademie und gleichzeitig ein direktes Schreiben
an Herrn Karl Niedcck. Cäsar, dies vorfindend, machte
sich sofort daran, es zu erbrechen. Zn ihrem Bedauern
habe die Kommission nachträglich bemerkt, daß beim
Transport die Statue an ihrem Ansschmuck einigen
Schaden erlitten habe. Da noch Zeit sei, daß er >hn
selbst ausbcssere, sende man ihm das Werk zu mit der
Bitte, es rechtzeilig wieder zurückzusenden.
Mit funkelnden Augen, wie ein Raubtier, das seine
Beute davonträgt, nahm er den Brief an sich und schlich
sich an der Thüre des Hausdieners vorbei, um zwei
fremde Dienstmänner zu holen, die ihm die Kiste in sein
Atelier tragen mußten. Ungerührt von ihrer milden
Schönheit weideten sich dann seine Augen am Anblick
der Statue seines verhaßten Bruders und eine grausame
Wollust schimmerte auf in ihnen. In einer schlummer-
losen Nacht sann er darüber nach, wie er am besten diese
günstige Gelegenheit zur Rache ausnutzen könne. „Ihr
auch den Kopf abschlagen und ihm sein Geld zurncksenden
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