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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pecht, Friedrich: Die erste Münchener Jahres-Ausstellung 1889, [8,2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0057

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Die erste Münchener Iahres-Ausstellung i88st. VIII. Die fremden Nationen

S-t


und die Mängel der Kunst des Volkes, in
welchem es entstanden und dessen Bauern-
stand es schildert, in ganz hervorragender
Weise zeigt. So die außerordentlich feine
Charakteristik, die wunderbar gewissenhafte
Durcharbeitung, aber auch den Phantasie-
mangel, die Dürftigkeit der malerischen
Erfindung. Merkwürdig, das Bild scheint
darum direkt aus der Schule des Ingres
hervorgegangen, denn genau so und nicht
anders hat man schon vor fünfzig Jahren
in derselben streng gezeichnet und fein
modelliert, aber auch ganz ebenso nüchtern
komponiert, grau und farblos gemalt! Wir
sehen sieben schwarzgekleidete bretonische
Banerfrauen auf dem Rasen einer Wiese
vor der Kirche im Kreise Herumsitzen, wohl
den Beginn des Gottesdienstes oder der
Beichte erwartend. Sie gehören unzweifel-
haft der Aristokratie des Dorfes und zeigen
darum ganz gehöriges Selbstbewußtsein.
Daß die, welche uns den Rücken kehren,
dies recht unmalerisch thun, gewahrt mau
erst hinterher, denn die Gesichter, die sich
uns zeigen, sind so außerordentlich sprechend
und scharf individualisiert, daß mau sofort
unwiderstehlich dadurch gefesselt wird, einer
jeden ihren Charakter wie ganzen Lebens-
lauf daraus abzusehen glaubt. Es liegt
viel Härte und Bauernstolz darin, aber
Das Liebespaar, von A. G. Bin et auch viel ^ Ehrenhaftigkeit, und alle halten
Liste Münchener Zahres-AllLstell-ng rsss etwas auf sich, sind weit entfernt sich
wegzuwerfen. Man glaubt ein Kapitel von
Daudet oder Zola zu lesen und freut sich an der Objektivität und Feinheit der Schilderung, die unleugbar
alles übertrifft, was bei uns in dieser Art noch geleistet worden, und direkt au Holbeins unerbittliche
Wahrheitsliebe und kühle Meisterschaft hinstreift. Aber von Idealismus oder nur Gemüt ist in dieser
Auffassung nichts, aber auch gar nichts zu finden, sie gehört dem Verstand und nicht dem Herzen, welches
ja immer ein schlechter Menschenkenner bleibt. Pedantisch gewissenhaft in seinem Machwerk wie Holbein,
nur lange nicht so genial, läßt auch Bouveret der Phantasie kaum etwas zur Ergänzung übrig, weiß er doch,
daß seine Damen uns nicht wieder loslassen. Schon durch die merkwürdige Verschiedenheit ihrer Charaktere,
obwohl sie doch alle schon ältere Bäuerinnen sind, die gar nichts sinnlich Reizendes mehr haben. —
Noch viel weniger idealisiert sind die ziemlich tölpelhaft daneben stehenden zwei Bauern, oder die vielen bis
zur Kirche hin noch ähnlich dasitzenden Weiber und Mädchen. Hier wie überall bewahrt der Maler die ganze
Überlegenheit des Städters, die merkwürdig kontrastirt mit der warmherzigen Darstellung eines Defregger in
seiner hier schon besprochenen „Mittagsrast". Unstreitig ist der deutsche Meister viel genialer, aber auch weit
weniger gediegen; er besticht unser Gemüt, Bouveret imponiert dem Verstand, da er gar nichts Herzgewinnendes
hat und die Bauern, die er schildert, schwerlich liebt, wie Defregger seine Landsleute. Er liebt und ver-
göttert aber die Kunst, weiht ihr sein Leben und stößt schon durch seinen eisernen Willen Hochachtung
ein, obwohl man all seinen Figuren immer noch das Modellsitzen ansieht und sie keineswegs ganz in
dem aufgehen, was sie thun, wie die Defreggerschen. Ja man denkt bei ihm immer noch ein wenig
an die peinliche Wahrheit der Photographie, aber gewiß nie an Inspiration, wie bei unserm Tiroler
Meister, der ihr allemal das beste verdankt, der aber, wenn sie einmal ausbleibt, wie beim heurigen
„Hofer", gleich lief unter Bouveret steht. Wie grundverschieden in ihrer ganzen Veranlagung die beiden
Meister auch seien, wo bei dem Deutschen alles angeboren, beim Franzosen alles erarbeitet scheint, so
stehen sie sich doch immer noch viel näher als der letztere seinen übrigen, meilenweit hinter ihm zurück-
bleibenden Genossen an den Wänden rund um ihn herum. — Während er uns alle guten Eigenschaften
seiner Nation darstellt, so spiegeln sie großenteils nur die jetzige Verkommenheit der herrschenden Bankiers-
Republik wieder. So Bonnat, der sein nacktes Liebespaar (Abb. s. S. 35) sehr schön gezeichnet, flott
 
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