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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Zimmern, Helen: Die neapolitanische Malerschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0124

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von Helen Zimmern

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Die Versuchung des heiligen Antonius, von D. Morelli

lichen Distrikten Gelegenheit, der Frohnleichnamsprozession anzuwohnen. In den Abruzzen, dem einstigen
Großgriechenland, haben sich die heidnischen Gebräuche so ziemlich erhalten und die kluge, katholische Kirche
hat nur einen leichten Firnis darüber gelegt, indem sie den alten, zweitausendjährigen Ceremonien einen andern
Namen gab. Nach dem weitverbreiteten Erfolg, den er mit „Corpus Domini" hatte, ging er mit erneutem
Feuereifer an die Arbeit, der Menge und Mannigfaltigkeit der Eindrücke, die Meer, Luft, Himmel und Erde
ans ihn hervorbrachten, Gestalt zu verleihen und ist es natürlich, daß hie und da die Begeisterung und
Phantasie mit seinem Urteil durchgingen und er Werke schuf, die an Kühnheit und Eigenartigkeit an die
äußerste Schule der Impressionisten erinnerte. Er richtete sich in einem alten Kloster in Francavilla al Mare
mit dem Bildhauer Barbella ein, der die Rahmen für seine Bilder entwirft, da Michetti die Theorie hat, daß
jeder Rahmen mit dem Bild in Form und Farbe harmonieren müsse. In seiner Kunst ist kaum ein Zweig,
den er nicht schon mit Erfolg versucht hätte; auch ist er ausgezeichneter Musiker. Auf der National-
ausstellung in Turin 1880 war er durch fünf Bilder vertreten, die ihn von seiner besten und stärksten
Seite zeigten. In zwei derselben sehen wir, daß der Künstler, den wir bis jetzt nur lachen sahen,
eine tiefere Lebensauffassung gewonnen hat. »I ^lorticmi ckslls. Dsbbrs« ist voll ergreifender Torf-
poesie. In der »Desca ckslls Donckms« gibt er uns den Anblick des vollen Mittagslichts, in welchem die
Sonne und die heiße vibrierende Luft mit der Ruhe des blauen Wassers kontrastiert. Schöne, interessante
Volksszenen stellen die beiden Bilder: „Palmsonntag", eine Novelle in Farben und „Ottova" dar. In der
Gestalt von drei mittelalterlichen Heiligen, mit auf der Brust gefalteten Händen und zum Himmel gerichteten
Blicken führt er sich, Dalbono und Barbella vor. Sein nächstes, bedeutendes Bild (7 Meter lang und
2^2 Meter hoch) ist zwar im Detail wenig ausgeführt, aber in der Wirkung so mächtig und wunderbar, so
ausdrucksvoll, daß es beinahe einen ebenso großen Eindruck hervorbrachte, als sein »Lorxus Domini«. Beide
waren so total verschieden in Behandlung und Auffassung, daß es schwer zu glauben war, daß sie die gleiche
Künstlerhand geschaffen. ->11 Voto« stellt eine Anzahl Landleute dar, die auf Händen und Knien gegen den
Altar rutschen, um ein Gelübde zu erfüllen. In Technik und Gedankengang zeigt dieses Bild einen so großen
Fortschritt gegen seine frühern Arbeiten, daß es schwer zu prophezeihen ist, wohin uns dieser so reich begabte
Sohn des Südens noch führen wird, denn wir dürfen nicht vergessen, daß er die Scheitelhöhe des Lebens
noch nicht überschritten hat. In jedem Fall ist nicht zu leugnen, daß Michetti einen ganz bedeutenden Einfluß
auf die jüngern Künstler ausübt und dies vielleicht nicht immer in gutem Sinn. Es ist möglich, daß er eher
das Produkt einer überreifen Kunst ist, — einer Kunst, die sich Kapricen und Phantasien erlaubt, als daß er
durch seine Tendenz fruchtbringend und kräftig auf die Zukunft wirken wird. Nur ein „paradiesisches Pandae-
monium", wie ein italienischer Schriftsteller Neapel richtig genannt hat, konnte einen Genius Hervorbringen,
 
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