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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Proelß, Johannes: Modelle, [6.1]: Novellenkranz ; Sancta Magdalena
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0184

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Modelle. Novellenkranz, von Io Hannes proelß

Gegenstand einander nahe verwandt sind und wie ver-
schieden auch ihr Titel sein möge als Variationen er-
scheinen desselben Themas: die Darstellung schöner Weib-
lichkeit in Heller sonniger Beleuchtung, zu welcher meist
ein düster-ernster oder auch exstatisch-leidenschaftlicher Aus-
druck der Gesichtszüge im Gegensatz steht. Die älteren
unter uns werden aus eigner Erfahrung die verschiedenen
Wandlungen angeben können, welche der Maler in seiner
Technik durchgemacht hat, sie werden sich des warmen, aber
übertriebenen Goldtons entsinnen, mit welchem er in
jüngeren Jahren dem unnachahmlichen Jncarnat Tizians
nahezukommen suchte, bis er ihn dann fast erreichte, die
jüngeren werden mehr den Übergang des Malers zu
einem krankhaften bläulichweißen Grundton der Fleisch-
farbe und dann wieder seinen Aufschwung zu realistisch
frischerer Farbengebung mit erlebt haben. Sie werden alle
wissen, daß Robert Munk, von ihm spreche ich, im Begriff
stehen soll, sich nach langer friedlicher Ehe von seiner Frau
scheiden zu lassen. Das Gerücht davon hat ja in Künst-
lerkreiscn allgemeines Aussehen hervorgerufen. Niemand
kann sein Vorhaben begreifen. Die wunderlichsten
Motive werden ihm untergeschoben. Mir aber war
cs vergönnt, wiederholt tieferen Einblick in sein Seelen-
leben zu gewinnen, und auf Gruud dieser Erfahrungen
glaube ich im stände zu sein, was wahr ist an ver
Sache zu berichten und die Lösung des Rätsels zu
bieten.
Ich war in jüngeren Jahren Schüler des etwa
fünfzehn Jahre älteren Mannes und der Umstand, daß
ich wie er aus Österreichisch-Schlesien stamme, uud ähnliche
gemeinschaftliche Beziehungen hatten mir von Anfang an
sein besonderes Interesse, dann fein Vertrauen zugewendet.
Daß er mir aber an einem mir unvergeßlichen Abend
— es sind wohl acht Jahre her — aus heißerregter
Seele ein Bild seiner Laufbahn entwarf, das hatte ich
noch mehr als seinem Vertrauen, dem Tag, der Stunde,
der ganzen Situation zu danken, welche mit unwider-
stehlicher Macht diese Beichte aus ihm hervorlocklen.
Es war in Florenz. Ich sehe ihn im Geiste deut-
lich vor mir, den Ausdruck innerster Erregung im bleichen
Gesicht, über dessen aufrechter energischer Stirn das
dunkelblonde kurzgeschnittene Gelock ungebändigt nieder-
wogte, die nachdenklichen, seltsam dunklen Augen in weite
Ferne gerichtet, wie er in der Loggia der von ihm ge-
mieteten Wohnung mir gegenüber saß und mit der Leiden-
schaftlichkeit, die ihm eigen, ein Bild nach dem andern
aus seiner Jugendzeit vor mich hin zauberte. Aus tief-
blauem Himmel leuchtete der Mond magischen Glanzes
herab auf uns und die turinreiche Stadt, die jenseits des
Arno sich vor uns ausdehnte, umschlossen von den dunklen
Vorbergen der fernen Apeninnen. Rosen- und Orangen-
duft strömte aus den Gärten vor uns empor. Und wie
der inbrünstige Wechselgesang zweier Nachtigallen im nahen
Myrthenhain, so strömte es in die Stille ver zauberischen
Nacht hinaus von den Lippen des Künstlers: Klänge der
Sehnsucht nach dem Unergründbaren, das wir Schönheit
nennen.
Der Zufall hatte es gewollt, daß ich gleich bei
meiner Ankunft auf dem Bahnhof meines damals von
mir mit enthusiastischer Wärme verehrten Meisters hatte
habhaft werden wollen. Seine Florentiner Adresse war
mir von ihm bei der Abreise von Wien zu Beginn der
Ferien mitgeteilt worden. Damals hatte er gesagt, ich

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habe zwar vor, meiner Frau auch einmal Rom und
Neapel zu zeigen, aber wer weiß, vielleicht komme ich
auch diesmal nicht über Florenz hinaus. Nun kam ich
gerade dazu, wie er seiner Frau das Geleit bis zum
Schnellzug für die Rückfahrt nach Wien gab. Sie waren
doch zusammen in Rom gewesen; aber ihn halte es bald
nach Florenz zurückgetrieben; eine Arbeit, die er nur hier
aussühren konnte, war es. was ihn mit zwingender Ge-
walt nach der Arnostadt gezogen. „Ich kann Ihnen nicht
sagen, wie ich mich freue, gerade heute auf einem mir
befreundeten jungen Künstler zu stoßen," hatte er zu mir
gesagt, als er den Blick von dem entrollenden Eilzug
wandte und das Taschentuch sinken ließ, mit dem er seinem
Weibe ein letztes Lebewohl zugewinkt. „Sie hat für
meine Stimmung kein Verständnis; sie ahnt nicht, in
welcher inneren Erregung ich mich befinde, seitdem ich fest
entschlossen bin, eine Arbeit hier auszuführen, die mir
seit früher Jugend wie ein Ideal vor der Seele schwebt
und die ich seil Jahren wie eine Schuld empfinde gegen
den Großen, dessen Einfluß mich zum Maler gemacht
hat." Er hatte mich während dessen in seiner lebhaften
Weise unterm Arm gefaßt und mich in die Güterexpedition
begleitet, wo ich mit meinem Gepäckschein die Adresse
meines Hotels aufgab. „Nun," frug ich gespannt, „was
haben Sie vor, lieber Meister?" — Als verkünde er
mir ein Vorhaben von erschütternder Tragweite und zu-
gleich ein Geheimnis, so feierlich klang seine Antwort:
„Ich kopiere Tizians Magdalena."
Das war am Morgen gewesen. Er war nach dieser
Mitteilung in sein berühmtes Schweigen verfallen, das
ihm so leicht seiner Umgebung völlig entrückt, hatte sich
auf meine Frage, ob es denn das erste Mal sei, daß er
sein Lieblingsbild kopiere, mit einem stummen Kopfnicken
begnügt und auf der Piazza della Signoria hatte er sich
jäh verabschiedet: „Es ist spät geworden," stammelte er
wie aus einem Traum erwachend. „Ich muß an die Ar-
beit. Aber nicht wahr, Sie speisen heut Abend mit mir.
Draußen hinter der Viale ckei colli Hab ich eine kleine
reizende Wohnung mit offner Loggia. Hier die Adresse.
Für einen guten Tropfen Chianti und eine leidliche
Zigarre für deutsche Gaumen wird nach dem Essen ge-
sorgt sein. Und dann erzähle ich Ihnen — die Geschichte —
meiner Liebe — zu dem Bilde — drüben im Palazzo
Pitti. riveckerci."
Und nun saß ich ihm gegenüber und vernahm die
Geschichte, die er so seltsam mir angekündigt hatte als
die einer Herzensleidenschaft für ein Bild. Und die
Nachtigallen des Arnoufers sangen dazu und die Rosen
dufteten, der Mond erstrahlte, als nähmen sie teil an
diesem keuschen Seelentraum eines Künstlers.
In dem Schlosse eines schlesischen Magnaten stand
seine Wiege. Aber Robert war keines Grafen Sohn;
der Castellan des Schlosses war sein Vater. Und doch
hat bestimmender als dieser der Schloßherr auf den
Knaben eingewirkt, sein weiteres Leben beeinflußt. Graf
Reichenstein war ein großer Kunstfreund, erfüllt von einer
einseitigen, aber um so glühenderen Liebe für die großen
Meister der Renaissance, im besonder» den großen Tizian
Vecellio, der wie kein andrer den Goldglanz der Sonne
als Folie leuchtender Frauenschönheit auf seine Bilder zu
zaubern gewußt hat. In seiner Jugend hatte er in
Verona und Venedig im diplomatischen Dienst Österreichs
Verschiedene Posten begleitet und dieser Aufenthalt hatte
 
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