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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Brandes, Otto: Pariser Brief
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Unsre Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0229

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172 pariser Brief. Von Vtto Brandes
vermag. Diese Gemütstiefe in einem Bilde Bouguereaus
ist eine neue Seite des Künstlers, die über die geleckte
Technik hinforthilft. Wohin ich mich sonst wende, nirgends
etwas Bemerkens-, Erzählenswertes. Die Landschaften
Damoyes aus der Sologne fangen in ihrer grauweißen
Eintönigkeit an zu ermüden. Die Künstler geben in diesen
Vorsalons nicht ihr bestes. Unter den kleinen Land-
schaften und dem Genrehaften sind manche hübsche, die
Zimmer angenehm möblierende Bilder. Auch ein Im-
pressionist fehlt nicht in dieser Sammlung, die wir,
von drei, vier Sachen absehend, ohne Trauer verlassen,
um einen Sprung zu dem Kunsthändler Petit zu machen,
bei dem die morgen zur Versteigerung gelangenden Bilder
des jüngst verstorbenen Jules Duprs ausgestellt sind.*) Es
sind Bleistift- und Kreidezeichnungen, Skizzen und vollendete
Landschaften. Welch einen Fleiß, welch eine liebevolle Be-
obachtung der Natur, welch eine Gründlichkeit und Sorg-
fältigkeit des Studiums enthalten gerade diese Zeichnungen.
Nichts ist dem Meister ein Geheimnis in der lieben Gottes
Natur geblieben, und alles hat er mit Stift und Pinsel
wieder zugeben vermocht. Es ist ein Genuß, sich in dieser
Heimstatt unermüdlicher Arbeit, ehrlichen Empfindens und
männlichen Talentes zu bewegen. Wer sich ein offenes
Auge und ein warmes Herz für die Natur bewahrt hat,
der sieht in den Werken Tupres nur den Reflex des
eigenen Fühlens und hat die Freude und den Stolz in
seinem Empfindungsleben einer so hochbcgnadeten Natur
wie der des Künstlers kogenial zu sein. Man fühlt es
förmlich heraus aus seiner Waldlandschaft im Sonnen-
untergänge, wie er überwältigt gewesen von dem Brand-
opfer, welches die Sonne am Himmel zu des Ewigen
Ehre vor ihrem Scheiden entzündet, und man wird me-
lancholisch mit dem Melancholischen, wenn er uns im

— Unsre Bilder, vom Herausgeber
Abenddämmerlicht die weite Ebene mit dem im einsamen
Stande knorrig ausgeforniten Eichbaum schildert, in dessen
blattlosem Gipfel im Spätherbst der Sturm die Zweige
windet und würgt. Ich habe die Eigenart des Künstlers
in dem für dieses Blatt geschriebenen Nekrologe ge-
schildert. Als ich gestern von den Bildern Dupres Ab-
schied nahm, überkam cs mich wehmütig, als ob ich auf
immer von einem guten Freunde mich trennte. Das waren
Töne in diesen Werken, die mein Herz sympathisch be-
rührte. Morgen werden diese Schätze versteigert und in alle
Welt hinauswandern. Gleichzeitig kommen einige Gericoults
und einige Corots zum Verkauf. Dupres Bilder werden
nicht altern, weil sie ewig jung in der Empfindung bleiben.
Das vermag man freilich von den Arbeiten des
jüngst verstorbenen Militärmalers Protais nicht zu sage».
Oer Künstler hatte unter dem zweiten Kaiserreiche seine
Viertelstunde Berühmtheit. In den letzten zehn Jahren
hat man aber nichts mehr von ihm gehört und noch
weniger gesehen. Er ist nicht mehr in der Note der durch
Neuville und Detaille vertretenen modernen Militärmalerei,
zu der er vielleicht den Übergang bildet. Sein im Luxem-
bourg hängendes Bild: Die Nacht bei Waterloo, welches
das mit Leichen und Waffen bedeckte Schlachtfeld dar-
stellt, ist ein nicht unbedeutendes Werk von schöner Em-
pfindung. Mit Vorliebe hat er den Typus der Lkasseurs
L piecks studiert, aber welch ein Unterschied zwischen der
ernsten und friedlichen Physiognomie, die er den Leuten
dieser Truppe verleiht und den kleinen Teufeln, die Neuville
aus ihnen gemacht hat.
Paul Protais war ein allgemein beliebter Künstler
und sein Begräbnis gestaltete sich zu einer ihm von der
Pariser Künstlerschaft einmütig dargebrachten Ovation.
Uerfuiescat in pace.

Unsre Vilder
vom Herausgeber

onrad Kiesel gehört zu den glücklichen Künstlern,
deren treue Begleiterin die Anmut bleibt, wohin sie
sich auch wenden mögen. Ob er Backfische am Rhein
oder Kaiserinnen an der Spree male, nie verläßt ihn die
herzgewinnende liebliche Freundin. Ja selbst wenn es
ihm einmal einfällt, sich gar an den Manzanares zu ver-
irren und zur Abwechslung einmal spanischen Tänzerinnen
wie heute der „Pctenera" seinen flüchtig geistvollen
Pinsel zu widmen, so führt ihm die huldvolle Göttin auch
da noch die Hand. — Man kann verschiedene Erklärungen
für diese Treue geben, z. B. die, daß unser Meister vorab
etwas ordentliches gelernt habe und eine Hand, einen
Arm, ein Auge mit Feinheit zu zeichnen wisse. Oder
daß er wirklich Respekt vor seiner Kunst habe und sich
nie erlaube, so leichtsinnig mit ihr umzugeheu, wie man
mit gewissen Frauenzimmern verkehrt. Auch das ist wahr,
daß er wohl schmachten und verliebtsein mit dem feinsten
Verständnis darstellt, aber doch nie sentimental und sad
wird, sondern immer frisch und wahr bleibt bei seinem
ganz dem Kultus der Frauenschönheit gewidmeten Schaffen.
Oder — doch was braucht es da noch weitere Gründe,
um die Zuneigung einer Göttin zu erklären, als wenn
diese jemals Sterbliche aus Vernunftgründen liebten! Ist
doch selbst eine solche vor allen Dingen auch ein Weib,

das liebt oder haßt, wie es ihr das Herz, aber ganz ge-
wiß nicht, wie es ihr die Vernunft gebietet. Übrigens
sollte Kiesels „Petenera" ihren Taufschein immer bei sich
tragen, da man sie sonst gar leicht für eine Rheinländerin
halten könnte, die das heitere Temperament der Spanierin
durch das Gemüt ersetzt. Wie denn unser Meister durch-
aus ein Maler deutscher Schönheit ist, deren stillen Zauber
er aber feiner wiedergibt als irgend ein andrer.
Daß man bei einer Viehmagd weit eher nach Käse
als nach Anmut zu fragen versucht sei, das weiß uns
Herr Liebermann auf seiner „holländischen Dorfstraße"
sehr einleuchtend zu machen. Bei ihren beiden Dorf-
grazien denkt man gleich an das Heinesche „Wenig Fleisch
und — viel Leder. .." Aber bei den Bildern soll man
doch um Gotteswillen nur nicht die Schönheit immer am
gleichen Fleck suchen und zufrieden sein, wenn sie nur
irgendwo vorhanden. Das ist aber hier unzweifelhaft
der Fall. Alles einzelne für sich scheint gründlich häßlich
wie so oft bei diesem Maler; die Dirnen wie die Kuh,
die Bauernlümmel links oder die schmutzigen Kinder rechts,
die kothige Dorsstraße vorne — nichts ist schön für sich,
alles einzelne atmet die nüchternste Prosa. Und dennoch
hat das Ganze einen unbestreitbaren Reiz — denn es ist
ein Stück ächtcsten Landlebens und seiner geheimen, aber


Die Versteigerung ist inzwischen am 30. Januar erfolgt. D- Res.
 
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