Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

DOI Artikel:
Perfall, Anton von: Dachstuben-Nachbarn, [2]: Novelette
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0346

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Novelette. von A. Frhr. v. perfall

265


Mif drr Düne von scheorningen. von Heinrich Rasch

Maler bin ich, der Peter Stuckhans. — Jetzt können Sie
es überall erzählen, warum ich die stolze Diti —, das
Modell, zum Weibe nehme." Er nahm sie stürmisch in
seine Arme, daß die goldene Haarflut sich löste und wie
ein Mantel ihn umwallte. Stephan war erstarrt von
dem, was er hier sah und hörte. -— Draußen huschte
eine Gestalt vorbei. Das Liebespaar fuhr auseinander.
„Der Litterat," sagte Stuckhans. „Na, für den
wärs Material, deine Geschichte, Diti! Kennen Sie ihn?"
fragte er Stephan.
„Nur vom Sehen eigentlich d. h. ich sprach einige
Worte mit ihm bei Frau Berchtold — ein interessanter
Mann! — Das Auge!"
„Gefällt es Ihnen? Mir nicht — mag ja auch
ein Vorurteil sein — ich hasse seine Thätigkeit."
„Die littcrarische Thätigkeit?" fragte verletzt Stephan.
„Seine littcrarische Thätigkeit. Er ist ein Wühler —-
ein Weltverbesserer mit Tinte und Maul — Schauer-
kerle!"
„Nun, ich dachte, Sie hätten allen Grund, eine Welt-
verbesserung nicht so ganz überflüssig zu finden —"
„Weil ich arm bin — weil ich augenblicklich mein
Bild nicht verkaufe, meinen Sie — soll ich die Welt in
Brand setzen helfen — am Ende gemeinschaftliche Sache
machen mit diesen Todfeinden aller Kunst. — Sie lachen!
Ja, Todfeinden! Was sagte er nur neulich — es packte
mich ordentlich in den Fingern —> „der Staat habe nicht
das Recht, einen Heller auszugeben für die Kunst, so
lange ein Mensch hungere" — so eine verrückte Idee!"
„Nicht so verrückt, als sie scheint," meinte Stephan,
„so lange es noch Winkel gibt, wie eben Frl. Diti ge-
schildert!" wandte ärgerlich Stephan ein, ärgerlich dar-
über, den Maler in der Dachstube so wenig erbittert zu
finden.
„Und glauben Sie", fuhr dieser jetzt auf, „es ge-
nügte, diese Leute herauszuziehen aus diesen Pestwinkeln,
Die Kunst für Alle V

oder sie zu säubern? Unsinn! Sie werden wie Maul-
würfe das Licht nicht vertragen können und selbst wieder
andre derartige Winkel aufsuchen — und es bleibt die
alte Geschichte. Von innen heraus muß der Kampf ge-
führt werden, und in diesem Kampf ist die „Kunst" die
Bannerträgerin!"
Stephan schüttelte ungläubig den Kopf.
„Nun sagen Sie, wie soll dieses Bild dort mit den
nackten Leibern diese Mission der Kunst erfüllen, die Sie
ihr zuschreiben?"
„Vielleicht gerade dieses Bild, gerade diese nackten
Leiber", begann mit erregter Stimme Stuckhans.
„Der sündhafte geile Nimbus, den eine sittlich ver-
dorbene, geschmacklose Weltanschauung über die edelsten,
reinsten, göttlichsten Formen der Sinnenwelt gesponnen,
soll zerreißen wie häßliche Herbstnebel vor einer aller
ungesunden Sinnlichkeit fernen, nur der ewigen Herz
und Geist veredelnden Schönheit geweihten Darstellung.
Der Künstler muß reinen Herzens schassen in der Unschuld
eines goldenen Zeitalters, das die holden Gaben der
Natur noch nicht verzerrt, entstellt, beschmutzt vom Sünden-
wahn genoß, und die hohe Reinheit seiner Empfindung
wird auch reinigend auf den Beschauer wirken, er wird
wieder sehen lernen mit den Augen eines sittlicheren Ge-
schlechts, er wird die Natur in ihrer keuschen Schönheit
wieder bewundern lernen, und was seine rohe tierische
Begierde weckte, wird ihn erheben! Das geht freilich nicht
so rasch, wir. werden in nnserm kurzen Leben vielleicht
diese Wirkung nicht bemerken — aber das lasse ich mir
nicht nehmen, jedes Kunstwerk legt einen befruchtenden Keiin
in die Seele des Beschauers, einen unendlich kleinen un-
sichtbaren, aber doch einen befruchtenden Keim, und
Millionen solcher Keime geben erst das Samenkorn ab,
aus dem die herrliche Frucht der erkannten Schönheit sich ent-
wickeln wird — wahre Menschlichkeit, die Harmonie des
Wollens! — Und die wird kein Elend dulden, weil das Elend
3-i
 
Annotationen