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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pecht, Friedrich: Vor Eröffnung der zweiten Münchener Jahres-Ausstellung 1890
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0378

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von Friedrich j)echt

2Si


zu der Frau Tina Blau und Haus
Thomas stimmungsvollen Landschaften
war alles getränkt mit ganz persönlicher,
echt künstlerischer Empfindung. Eben
deshalb fand es ein so lebhaftes Echo
in unsrem Publikum, weil dasselbe einmal
die deutsche Sprache besser versteht und
mehr liebt, als jede andre. — Hat sich
doch selbst die Freiluft- und Graumalerei
allmälig von ihren Extravaganzen ziemlich
gereinigt und sich oft zu einem wirklichen
Fortschritt der Technik gestaltet. — Tech-
nische Errungenschaften kann man aber
immer noch am ehesten von andren sich
aneignen, freilich vorausgesetzt, daß man
die Kraft besitzt, sie dem eigenen Wesen
gemäß umzubilden. Es wird all diesen
Dingen gegenüber gut sein, sich zu erinnern,
daß wo immer die Kunst zu Grunde ging,
dies durch die Schuld der Künstler selber
geschah. Darum freuen wir uns doppelt,
daß die Umkehr offenbar die Parole des
Tages geworden! —-
Auch unsre Historienmalerei hatte
sich entsprechend dem Vorgang der Baukunst
und Bildhauerei in den letzten Jahren sehr
auffallend nicht nur der Lichtfülle, sondern
auch dem schemenhaften, zerflossenen, jeder
schärferen Charakteristik wie jedem Ernst
aus dem Wege gehenden, äußerlich auf-
gebauschten, aber innerlich kalten und leeren
Wesen derer der Zopfzeit genähert, ja sie
war der des Öser und Knoller oder
Tiepolo sehr viel ähnlicher geworden, als Madonna, von Eduard Blume
für ihren Wert gut war, da sie die manch-ner Iahres-nusstellung ^s»
„dekorative" Wirkung allem andren voran-
stellte. Haben wir uns nun in dieser Richtung weiter bewegt, oder umgekehrt? Haben sich endlich junge
Talente aufgethan, die wie Marr im letzten Jahr, neue solide Bahnen zu eröffnen bestimmt scheinen? Ist
eine so glänzende Begabung für die Schilderung des modernsten deutschen Lebens, wie sie dies Jahr im
Zeichner Allers aufgetreten, auch unter den Malern erschienen? Auf all dies wird uns die Ausstellung eine
mehr oder weniger bestimmte Auskunft geben. —
Wir kommen damit auf die bedeutendste aller Fragen, deren Beantwortung wir von unsrem „Salon"
erwarten. Bekanntlich ist Deutschland wie ganz Europa in eine große sozialpolitische Bewegung eingetreten,
die unsre unteren Klassen, vor allem das Proletariat der Städte, fieberhaft aufgeregt hat und uns mit den
furchtbarsten Kämpfen bedroht, da sie nicht nur der ganzen bisherigen Staatsordnung samt den anerkannten
Religionen den Krieg erklärt, sondern auch ihr einseitiges Klassenintereffe an die Stelle des nationalen setzt
und dabei den ganzen Fanatismus eines Aberglaubens entwickelt. Diese Bewegung hat bekanntlich im laufenden
Jahre, dank der Unvorsichtigkeit der Regierungen und der Unsicherheit eines guten Teils des Mittelstandes
sehr große, ja erschreckende Fortschritte gemacht; spricht sich das nun auch in der Kunst aus? Wir haben
allerdings eine ganze Reihe von Malern, die wie Uhde und Liebermann sich in einer dem berechtigten Teile
dieser Bewegung immerhin verwandten Richtung versuchten, d. h. die Schilderung des Proletariats ohne be-
sondere Rücksicht auf Nationalität oder selbst Individualität zur Aufgabe machten. Hat diese Schule nun zu-
oder abgenommen, hat sie neue Seiten entwickelt? Bekanntlich hat einst die französische Revolution in David ihren
künstlerischen Vertreter gefunden, wie in Rousseau ihren Vorläufer, und in der jetzigen französischen Kunst
treten eine ganze Reihe Maler als Schilderer des Arbeiterstandes auf; zeigt sich nun Ähnliches, was mehr
als bloße Nachahmung ist, in Deutschland?
Man sieht, es fehlt auch heute nicht an hochbedeutenden Fragen, auf welche eine unumwundene und
 
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