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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Kaden, Woldemar: Cerbara: Erinnerungen zweiter Hand ; nach dem Italienischen des Giustino (Ferri)
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0387

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Lervara. Erinnerungen zweiter Hand, von Waldemar Kaden

Visir läßt das schöne Gesicht erkennen. Eine Staub-
wolke erhebt sich in der Ferne, sie wird vom Winde
geteilt, es erscheint eine Reiterschar, die im Galopp
heransprengt. Ihr Führer, der erlesene Generalissimus
reitet ein schwarzes Pferd ohne Zaum und Gebiß; er
lenkt es im rasendsten Rennen auf geschickte Weise nur
durch ein Seidenband. Sein Kopf ist bedeckt mit einer
roten Mütze, und ein weiter Beduinenmantel umhüllt
seinen dem Anschein nach nackten Körper. Sein Gefolge
schwingt die Lanzen, deren Spitze ein Halbmond und
flatternder Roßschweif schmückt."
Es folgt der General der Eselreiterei mit seinen
Eselsrittern, dann kommen die gemischten Züge: antike
Römer, Spanier, Italiener des Cinquecento, Preußen
des Settecento, aufgeputzte Karren, lebende Karikaturen:
Ägypter mit Cylinderhut, Rothäute mit gelben Hand-
schuhen, das Monokle im Auge, wunderliche Gestalten
in drolligen oft verrückten Verkleidungen, wie sie der
Zufall an die Hand gab.
Boschi beschreibt den Triumphwagen:
„Ein lautes Geschrei erhebt sich. Aller Augen
lenken sich nach jener Seite: der Triumphwagen fährt
vor. Dieser Wagen, in Form einer Quadriga, die
Räder mit Grünzeug durchflochten, ringsum bemalt mit
goldenen Sternen, wird von vier weißen Ochsen ge-
zogen, welche die Hörner vergoldet und den Rücken mit
roten Schabracken bedeckt haben, während ihr Joch ein
goldenes Figürchen der Ruhmesgöttin trägt. Auch der
Wagen ist mit roten Decken und eleganten Blumen-
gewinden umhangen. An der Vorderseite sieht man das
Zeichen der Foglietta, gestützt von zwei kleinen allegorischen
goldenen Figuren. Die andern Seiten sind mit den
Sinnbildern der schönen Künste bemalt, daneben zwei
häßliche Sklaven mit auf den Rücken gebundenen Händen,
welche die ungerechten, mißliebigen Kritiker darstellen,
die nichts oder nur wenig von der Kunst verstehen und
doch tadeln oder loben wollen, und, wie es ihnen gefällt,
das wahre Verdienst mit Füßen treten und die neue und
falsche Richtung zum Himmel heben; die sodann, die
großen Meister verächtlich auf die Seite schiebend, meinen,
die künstlerische Welt mit ihren kindischen Phantastereien
und Lehren zu beglücken."
Wie man sieht, hatte der eingehende Schildere! von
Cervara über die Kritiker genau dieselben Gedanken, wie
mein Freund, der nur mehr oder weniger das Gleiche
gesagt hat.
Die Beschreibung der Sibylle von Cervara wird
umständlich berichtet mit der Übersetzung in Prosa der
deutschen Verse Julius Mosens, des fast etwas zu
feierlichen Poeten dieser Zauberposse.
Nachdem die große Beschwörungsformel des Präsi-
denten: „llaira, rnijn, cancackilln, erschein' Sibylle!"
Verklungen ist, erscheint diese wirklich unter Blitz und
den Klängen einer wilden Musik und schreit ihr: „Ocki
prolanuin vuIZus et arceo!" in die herandrängende
Menge hinein. Über die Zukunft der Pontemolle-Gesell-
schaft befragt, weissagt sie, daß, wie beim Turmbau von
Babel, der Sprachenmischmasch auch diesem „Pontemolle"
den Untergang bereiten wird. Alles ist eitel!
Auch die Künstler sind es. Mein Freund hatte den
Tribut der Künstlereitelkeit bezahlt, indem er daran er-

innerte, wie in den amphiktyonischen Spielen der
XXX. Olympiade mehr als ein Kritiker im Bilde war
hingeopfert worden, dergestalt die ruchlosen Missethaten
bezahlend, deren er sich vor der Kunst und vor den
Künstlern schuldig gemacht.
„Dies Jahr hingegen," sagte er, „siehst du nichts
als einige schüchterne Anspielungen. Schau doch den L.,
den D.! Gefeiert, bewundert, umschmeichelt erscheinen
sie wahrhaftig als Triumphatoren. Die Kritiker trium-
phieren in Cervara, verstehst du?"
Und er drückte mir heftig den Arm und schüttelte
ihn so zornig, daß ich mich erinnerte, in einer schwachen
Stunde einmal ein paar Ärtikel über Kunst verbrochen
zu haben, die mir von seiten einiger Künstler eine feier-
liche Verdammung eingetragen hatten.
Um meinen Freund zu beruhigen, suchte ich die
Unterhaltung auf etwas andres zu lenken, da er aber
seine Gelehrsamkeit über Cervara erschöpft hatte und seine
Wut gegen die Kritiker nur widerstrebend zügelte, so war
er in Schweigen versunken, düster wie der Himmel, der seit
ein Paar Stunden sich dicht mit Wolken umzogen hatte.
Es war spät. Die Spiele, die Turniere waren zu
Ende, in den Erzählungen des Ex-Künstlers sowohl wie
auf der Ebene von Cervara. Der Rückmarsch wurde
angetreten, heiter für die einen, melancholisch für die
andern, je nach dem Humor, den Trankopfern, der
Verdauung, der Ermüdung oder der Rüstigkeit eines
Jeden. Der Himmel drohte mit Regen. Rom erschien
in der Ferne wie ein Ideal. Die Dunkelheit des Abends
goß sich nach und nach über die römische Campagna
aus. Alles, was da geglänzt hatte, gelacht und gejauchzt
in dem heitern Feste der Farben des Morgens, schlich
jetzt wirr und farblos dahin in der schwarzen Dämmerung,
welcher die Nacht folgt. Die letzten bleichen Schimmer
aus Westen blinkten schlafmüde auf irgend einer Lanze
aus versilbertem Holz, auf einem Szepter aus vergoldeter
Pappe, in den gläsernen Edelsteinen der Tiara eines
russischen Musikers, als byzantinischer Eunuche verkleidet
— einen Augenblick lang — und erloschen. Die Profile
der seltsamen und ungebräuchlichen Hüte, der Pickelhauben,
der Hellebarden, die dunkle starre Masse von Speeren,
von Kriegsfahnen und Bannern, von langen falschen
Haaren, die im Winde flatterten vermischt mit den Feder-
büschen nahmen in der Undeutlichkeit der bleiernen und
dunstigen Luft dämonische Formen an und waren un-
heimlich zu schauen.
Rom war immer noch fern, aber der Weg erschien
dicht gedrängt voll Zuschauer, die wie erstaunt der düstern
Erscheinung des Festes nachblickten, das zu Ende ging.
Die ersten schweren Tropfen begannen zu fallen. Die
Windfackeln warfen einen höllischen Nimbus von rötlichem
Licht und von Rauch über den Zug hin, und in dem
Grausen der Ungeheuern düstern und wüsten Ebene ver-
loren die Stimmen, Gesänge, das Geschrei sich ohne Echo.
Ich dachte nicht mehr an meinen Freund, als er
mich auf die Schulter schlug nnd verzweiflungsvoll den
Kopf schüttelnd murmelte:
„Zu meiner Zeit, wenn es regnete, am Abend von
Cervara regnete es wirklich: um diese Stunde würden
wir schon allesamt naß bis auf die Knochen gewesen sein.
Doch ja, natürlich — alles wird schlechter."-
 
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