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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pecht, Friedrich: Die zweite Münchener Jahres-Ausstellung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0417

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Z22

Die zweite Münchener Iahres-Ausstellung

jener Zeit dumpfen und niedrigen, unendlich ärmlichen Stube, wie sie uns in Schlesien oder der Mark von
Gustav Freitag oder Fontane so oft vorgeführt worden. Im Mittelgründe links wird sie fast ganz von vier
offenbar da einquartierten französischen Offizieren gefüllt, die sichs am warmen Ofen bequem gemacht haben
und nach Tische Karten spielen, während ein fünfter von ihnen, wohl ein süddeutscher gezwungener Bundes-
genosse jener Franken, vorgebeugt und abgesondert, den Kopf in der Hand einen verstohlenen Blick voll Mit-
leids auf die vorne ganz allein stehende junge Frau des Hauses wirft, die ihren Säugling im Arm, den mit
einem hölzernen Reiter spielenden Knaben vor sich auf dem Boden, in ihren Trauerkleidern, ein Bild herz-
zusammenschnürenden Jammers darstellt. Denen allem nach trauert sie um den Gatten, der wohl in der Ver-
teidigung des Vaterlandes gefallen und sie nun dem Elend und dem Übermut dieser Fremdlinge Preisgegeben,
mit ihren Kindern zurücklassen mußte. Sieht man doch hinten am Fenster auch noch ein größeres Mädchen
mit der Großmutter wohl dem Einzuge weiterer Soldaten ins Städtchen zusehend, so daß sie vorne ganz ver-
lassen und hilflos in ihrem Jammer dasteht. Kein Zweifel, diese bleiche, abgehärmte Frau ist die rührendste
Figur in der ganzen Ausstellung und das in seiner düsteren Ruhe so ergreifende Bild ein Meisterwerk, da es
gar keiner Erklärung bedarf, sondern uns unmittelbar Packt, indem es uns die dunkelste Epoche der deutschen
Geschichte in ihrer Wirkung auf die einzelnen wahrhaft erschütternd vorführt. In andrer Weise thut dies auch
Mathias Schmid, der uns zwei Tiroler Mädchen zeigt, die, von steiler Höhe auf ein wildes Gebirgsthal
herabsetzend, an einem Gefechte ihrer Landsleute gegen die Franzosen teilgenommen haben, und wo die eine
eben von einer Kugel getroffen zusammenstürzt, während die andre vor dem Bilde des Gekreuzigten um Hilfe
fleht. Da wird durch die wilde und einsame Natur die Wirkung dieser Volkskampfszene noch mächtig erhöht.
Der Zeit von 1813—1815 ist offenbar auch ein junger deutscher, etwa wie ein Lützowscher Reiter unifor-
mierter Offizier entnommen, der, ins Feld ziehend, im schneebedeckten Park beim Morgengrauen von der
Geliebten Abschied nimmt. Wohl auf ewig, wenn man der düsteren Stimmung der Szene glauben darf, die
der Stuttgarter Hang mit ebenso großer Energie als Feinheit dargestellt. Sollte er etwa Körner und seine
Braut gemeint haben? Jedenfalls gehört das Bild, welches gar keine Anlehnung an irgend welche Muster
zeigt, durch seine feine Stimmung wie die vortreffliche Charakteristik der Figuren, besonders der überaus zarten
und schüchternen Dame, zum besten was vorhanden. — Ganz der neuesten Zeit entstammt eine Stube, wo
ein zu Tode getroffener Arbeiter eben noch von einem Polizeibeamten verhört wird. Allem nach ist er das
Opfer eines Konflikts geworden, und er sowohl, als die um ihn hernmstehenden Kameraden und die ihn
stützende Frau sind von auffallender, wenn auch fast krasser Wahrheit. Das Bild ist von demselben Arthur
Kampf in Düsseldorf gemalt, dem wir das schöne, aber später entstandene Bild des toten Kaisers Wilhelm
verdanken, während er hier noch als Nachahmer der Pariser Proletariatsmaler wie Pelez, Roll u. a. auftritt.
Man kann sich also auch wieder zur Selbständigkeit durcharbeiten, selbst wenn man ein Nachahmer war. Leider
ist dies Bild auch noch viel zu groß. Sich in der Größe zu vergreifen, ist aber fast ebenso häufig, als im
Stoff, und schadet auch kaum.weniger.
Heiterer Natur sind zwei Düsseldorfer Perlen von Vautier und Bokelmann, von denen die erste die
Einführung eines Gastes ins Herrenstübchen eines bayerischen Landstädtchens zeigt, wo dann die einzelnen
Glieder der Gesellschaft mit dem köstlichsten Humor geschildert sind, der einführende Herr Pfarrer nicht weniger
als der eingeführte Landrichter oder Physikus und einige reiche Bauern, welche die Köpfe zusammenstccken und
den Herrn zu kennen scheinen, der sich ihnen wohl schon einmal unangenehm gemacht. Das Bild zeigt die
volle Gestaltungskraft, wie die heitere Liebenswürdigkeit und Feinheit des zum Sechziger gewordenen Künstlers
noch ganz unvermindert, gibt somit einen tröstlichen Beweis von der Dauerhaftigkeit des produktiven Ver-
mögens, sobald man sich selber treu bleibt und sich nicht irre machen läßt, wie das bei Vautier glücklicherweise
der Fall. Auch Bokelmann hat uns in seinem Taufschmaus oder Kindelbier in Schleswig-Holstein ein vorzüg-
liches Gemälde dieses tüchtigen, fest an den alten Sitten hängenden Volksstammes gegeben. Besonders sind
ihm die Charaktere der vorne um den Täufling herumsitzenden und Kaffee mit Kuchen vertilgenden, echt bäuerisch
steifen Gevatterinnen köstlich gelungen, jede einzelne dieser Frauen ist ein Meisterstück in ihrer Art. Hinten
sitzen dann rauchend und trinkend die wie Granitblöcke aussehenden Männer, und das alles ist in Charakteristik
wie Färbung so durchaus eigenartig und gediegen, daß man .förmlich aufatmet, wieder einmal so ein Stück
ganz fraglos deutscher Kunst zu sehen. In eine zopfige Vergangenheit führen uns dann zwei Künstler mit
besonderer Feinheit: Der Wiener Hamza, der uns einen an Joseph II. erinnernden fürstlichen Herrn zeigt,
der mit seiner jungen, schönen Gemahlin eben ankommend, von seinem Hofstaat sehr devot, und sie überdies
mit einer Mischung von Neugier und Mißtrauen empfangen wird, das insofern nicht ganz unberechtigt erscheint,
als der künftigen Gebieterin trotz aller Schönheit unter den Sammetpfötchen offenbar die Klauen nicht fehlen.
Das ist aber mit solcher Feinheit charakterisiert und zugleich trägt alles so sehr den österreichischen Stempel, daß
man eine jener meisterhaften Schilderungen zu lesen glaubt, die Baronin Ebner-Eschenbach von diesen Kreisen
gibt. Dabei sind auch die rein malerischen Theile des Bildes, wie Architektur, Kostüme w. von vorzüglicher
Güte und feiner Durchbildung. Den Zeitcharakter des Direktoriums gibt dann köstlich Simm in seinen
 
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