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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Adelung, Sophie von: Das russische Kostüm, [1]: eine Atelier-Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0443

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Das russische'Kostüm


„Wenigstens gäbe es dann nicht so viele mittel-
mäßige Maler."
Ich mußte ihn im Spiegel ansehen, wie er so dasaß,
den Kopf mit den weichen, gedankenvollen Zügen gegen
die Wand gelehnt, und ich dachte bei mir, daß mein
Freund für den Kampf ums Dasein nicht geschaffen sei,
den Kampf, der sich auch in der heutigen Kunstrichtung
geltend macht.
„Ihr alle thut viel zu viel", fuhr Lensky fort.
„Statt euch'zu sammeln, große und hohe Gedanken in
euch reifen zu lassen, sitzt ihr da und malt — malt —-
malt den ganzen Tag."
„Doch wozu an diesem Tag
An die Arbeit treten?
Malen ist ein hohes Fest
Laßt uns ruh'n und beten."
parodierte ich.
„Du willst mich nicht verstehen! Als ob man
Menschen, beseelte Wesen wiedcrgcben kann, bloß, wenn
die Mischung von Ocker, weiß und rot in rechtem Ver-
hältnis gelungen ist. Das erinnert an Homunkulus.
Nein, mon ami, der innere, seelische Prozeß ist es, der
die wahren Bilder schafft — durch Mischen wurde kein
Raphael unsterblich. —
Das größte Übel aber", fuhr Konstantin Andreje-
witsch Lensky nach einer kurzen Pause fort, »all 9a! ne
prenex pas taut cke Liccatik, mon oder! Das macht
den Bild nachdunkeln — das größte Übel ist die Blasiert-
heit der Welt. Wenn man immerfort nachsinnen muß,
um etwas Niedagewesenes, Unglaubliches, Barockes,
Unerhörtes zu schaffen, womit man die zerstreuten Sinne
der Menge fängt, und um nicht von seinem Rivalen
moralisch totgedrückt zu werden, wie kann man sich da
in sich selbst vertiefen, um der stillen, heiligen, frommen
Kunst zu lauschen? Die Blasiertheit ist die größte der
Todsünden."
„Sie ist eben ein Produkt unsres Jahrhunderts",
warf ich dazwischen.
„Durchaus nicht: die Menschen kränkeln daran, so
lange es eine Welt gibt. Adam und Eva im Paradiese
waren blasiert."
„Adam und Eva?" —
„Aus welchem andern Grunde hätten sie sonst so
begierig nach der einen, verbotenen Frucht verlangt?
Wenn nicht, weil ihnen alles Gewohnte und Alltägliche,
ja, ihr ganzer herrlicher Garten schal geworden wäre. —
Und das nur, weil sie ^— blasiert waren. Blasiertheit
ist die Erbsünde, das Übel von Uranfang an — der
Teufel ist blasiert."
Ich schwieg — was hätte ich auch erwiedern sollen?
Ich war es so gewohnt, meinen Pinsel im Takte zu den
metaphysischen Rhapsodien meines Freundes zu führen,
und ich war ja auch vollständig einverstanden mit ihm
in der Theorie.
In der Praxis machte ich aber, so gut es ging, die
Falten des starren, dicken kommerzienrätlichen Kleides
fertig — denn die Kommerzienrätin hätte es mir nie
verziehen, wenn dieselben nicht dick und steif und starr
ausgefallen wären — und ließ die Flut seiner Worte
über mich ergehen. Dann, als es dämmerig geworden,
legte ich Pinsel und Palette fort, zündete die Spiritus-
flamme an, um uns eine Tasse Kaffee zu kochen, sowie
das nötige Wasser zum waschen der Pinsel, prüfte meine

Arbeit nochmals sorgfältig und ließ mich dann neben dem
Freunde auf der Ottomane nieder.
„Nun — und das Kostüm?" fragte ich.
Lensky fuhr aus einer tiefen Träumerei empor.
„Sie kommt, mon oder, ganz gewiß, sie kommt. Du
weißt doch, die Tante, meine Tante, und ihre Tante, ha
es mir versprochen, oh — nun schon seit mehr als
einem Jahre. Immer hieß es .bald, bald'. Ich habe
manchmal die Geduld verloren."
„Und wir mit dir. Du hast uns dein altes
russisches Kostüm täglich vorgehalten, wie dem Köter
die Wurst — davon geschwärmt, uns darauf vorbereitet
wie auf ein Ereignis, eine neue Aera in der Kunstgeschichte
— und alles umsonst. Es wird wohl auch heute wieder
nichts sein."
„So höre doch nur", sagte Lensky, „im letzten
Brief der Tante stand, daß sie eine Frau weiß, die kennt
einen Nonne, der wohnt in einem Kloster und soll es
haben. Zu diesem wollte die Tante schicken, obgleich das
Kloster gute zwanzig Stunden von unserm — von dem
Gute entfernt ist. Heute früh bekomme ich einen Brief
— von der Nichte. Die Tante sei krank, schreibt sie,
Rheumatismus in die Hände, daher hat sie, die Nichte,
geschrieben, um zu sagen, der Nonne sei bereit die Kostüm
abzutreten, so ungern er es auch thut. Natürlich sei es
unter diesen Umständen teuer, aber für mich mache er,
der Nonne, einen Ausnahmspreis."
„Hm! hat sie gesagt, was cs kosten wird?"
„Nein, natürlich nicht."
„Danach würde ich an deiner Stelle zu allererst
fragen, wenn du deiner Kousine antwortest."
„Unmöglich, mon ami. Das Ganze ist eine pure
Gefälligkeit. Und stelle dir doch die Pracht vor, den
Reichtum von die Kostüm! Die vielen Perlen, der Gold-
brokat ..."
„Das wird ein schönes Heidengeld kosten!"
„Aber bedenke die Seltenheit von einen solchen Ko-
stüm! Jedes Jahr wird ihre Zahl geringer — sind sie
schwerer aufznfindcn."
Seit mehr als zwei Jahren lebte Konstantin Andrejc-
witsch Lensky in unsrer Stadt. Anfangs sahen wir den
vornehmen jungen Aristokraten mit den wvhlgepflegten
Händen und der gewählten Sprache etwas mißtrauisch
von der Seite an — jetzt hatten wir ihn alle längst
von Herzen gern. Seinem gutmütigen offenen Wesen
hätte auch niemand lange widerstehen können, und seine
träumerische Genialität, wie seine oft barocken, aber immer
durch einen inneren Geistesfaden zusammengehalteneu
plötzlichen Einfälle erregten ebenso viel Heiterkeit wie
Bewunderung in unsrem Kreise. Es dauerte nicht lange,
so wurde er zum Mittelpunkt unsrer Versammlungen:
ihn befragte man bei wichtigen Anlässen um Rat, wenn
es galt ein Maskcnfest anzuordnen, ein schönes Modell
auszukundschaften, den Professor mild zu stimmen, einen
Wein zu beurteilen oder — mit ein paar Thalern aus-
zuhelfen. Denn Lensky war immer bereit, immer ge-
fällig, sein Geschmack unübertrefflich und sein Beutel stets
offen für jedermann. Schade nur, daß dieser Beutel
nicht immer voll war. Lensky hätte Millionär sein sollen,
oder doch wenigstens ein reicher Mann — das sagten
wir ihm alle Tage, und der kleine Remy, der Franzose,
meinte einmal zu ihm: „Sie sollten 'oben viel Geld um
Bilder zu kaufen, statt sie selber zu malen", worauf ihm
 
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