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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Adelung, Sophie von: Das russische Kostüm, [1]: eine Atelier-Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0445

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Line Atelier-Studie, von 5. v. Adelung

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Nach der Wikkagsmeffe. von Louis van Lngelen
Münchener Jahres-Ausstellung 1690
Photographieoerlag der photographischen Union in München

Lensky auf die Schulter klopfte und erwiderte: „Ich
hätte nichts dagegen." Sein Talent, obschon unzweifel-
haft bedeutend, war mehr kritischer als produktiver Natur.
Auf der Staffelei stand selten ein Bild. Statt dessen
Wimmelte es im Atelier und noch mehr in seinem Kopf
von Plänen, Entwürfen und Anfängen aller Art.
Seine Hauptmarotte waren aber Kostüme, Kostüme
aus jeder Zeit und von jedem Schnitt, so lange sie echt
waren. Er fahndete danach in den unmöglichsten Stadt-
teilen, und einmal auf der Fährte, spürte er sie auf wie
der Jagdhund das Wild, und ruhte nicht, bis sie sein
eigen geworden. Er war bereits der Schrecken und das
Entzücken aller Antiquare und Trödler unsrer guten alten
Stadt, denn er hetzte sie nach eingebildeten Möglichkeiten,
redete sie mit gelehrten Abhandlungen fast zu Tode und
ängstigte sie durch die eiserne Beharrlichkeit, mit welcher
er wieder und immer wieder kam.
In Kostümen war er unersättlich, obschon er bereits
eine ganze Sammlung derselben besaß. „Das Kostüm",
pflegte er zu sagen, „ist der beste Spiegel seiner Zeit:
aus ihm sehen wir am deutlichsten die inneren Entwick-
lungsprozesse hervorgehen, die Laster und Tugenden einer
jeden Epoche", und stundenlang konnte er über die Form
eines Frauenschuhes, die Farben eines Haubenbandes de-
monstrieren. Er besaß Trachten aus allen Zeiten und
von allen Nationen bis in die graue Vorzeit zurück.
Die Kunst für Alle V

Remy behauptete, sein größtes Bestreben gehe dahin, die
Kostüme eben jenes blasierten llrelternpaares im Paradiese
zu erlangen — er sei auch bereits auf der Spur. Soviel
ist sicher — Eines fehlte ihm noch, und das war das
alte russische Bojarenkostüm. So lange er in Rußland war,
hatte er nach dergleichen nicht gefahndet — die Sehnsucht
danach war in ihm zugleich mit jener Sammelwut er-
wacht, als er in Deutschland die Kunst zu studieren be-
gonnen, und sie war gestiegen bis sie zur fixen Idee
geworden. Wir alle wußten davon und von den un-
zähligen Briefen, welche er um dessentwillen au die Taute
schrieb. „Das russische Kostüm" war ein stehender Witz
geworden und niemand glaubte mehr daran, ohschon die
Tante von einem Briefe zum andern vertröstete, versprach
und wieder vertröstete.
Diese Tante war es, von welcher Konstantin Andreje-
witsch Lensky erzogen worden. Wir alle hatten lange
gebraucht, bis wir seine etwas verwickelte Lebensgeschichte
und verwandtschaftlichen Verhältnisse begriffen. Seine
Eltern waren früh gestorben und er war auf dem Gute
seines Onkels herangewachsen, der selbst Witwer und
kinderlos, diesen Neffen, sowie die Tochter eines Vetters,
die ebenfalls Waise war, in sein Haus ausgenommen
hatte. Eine alternde einsame Schwester führte ihm den
Haushalt und erzog mit Hilfe eines Hofmeisters und einer
Erzieherin die beiden Kinder. Lensky zeigte von frühester
 
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