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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pecht, Friedrich: Die zweite Münchener Jahres-Ausstellung, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0456

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Die zweite Münchener Iabres-Ausstellung

Grade statt. Ihre Kamst verhält sich zur unsren etwa wie Sancho Pausa zu Don Quichote, wobei der erstere mit
seiner bodenlosen Nüchternheit, aber auch seinem kerngesunden Menschenverstand dem viel reicheren, phantasie-
volleren, edelmütigeren, aber auch launenhafteren und fahrigeren Gesellschafter gegenüber oft noch gar sehr im
Vorteil bleibt. Kömmt dieser im Verkehr mit andern bei seiner Noblesse und Vertrauensseligkeit immer zu kurz,
heute mit den englischen, wie gestern mit den niederländischen, spanischen oder schweizerischen Nachbarn, so
läßt sich Mynheer Pansa tapfer nicht einen Schritt vom selbstgewählten Wege abdrängen, ja behauptet den
Mächtigsten gegenüber seinen Platz. Diese gründlich hausbackene Tüchtigkeit, aber auch das vollständig phantasie-
lose Wesen zeigt sich nun wahrhaft überraschend in der Malerei der Holländer. Ganz einer starken koloristischen
Begabung entsprungen und von der Liebe zur freien Heimat beseelt, fußt sie noch durchaus auf der Kunst der
Vorfahren, beschränkt sich aber doch jetzt weit mehr auf das Nächstliegende, das eigene Land und Volk, als
es die Herren Väter jemals thaten. Denn diese waren stolz auf ihr Bürgertum, dessen Tapferkeit die Rembrandt,
Franz Hals und Van der Helft einen so wunderbar kräftigen Ausdruck gaben, der den Zeitgenossen van Tromps
und de Ruyters so wohl ansteht. Neben ihnen sehen die Herren Israels, Bishopp, Neuhuys, Struys,
Henkes, Artz, van Acken, die alle hauptsächlich alte Weiber oder Kinder malen, doch sehr philisterhaft aus. Um
so mehr als sie Jahr aus Jahr ein immer genau dasselbe machen, wie ein Schuster vom 1. Januar bis znm 31.
Dezember Stiefel macht. Aber das Leder, das sie verarbeiten, ist gut und ihre Nähte halten famos. Man kann
daher nicht in diesen holländischen Saal kommen, in welchem das nationale Phlegma sich besonders dadurch
ausspricht, daß sich eigentlich niemand auch nur eine rasche Bewegung erlaubt, wo nicht nur die Menschen,
sondern auch die Ochsen des Herrn de Haas uns alle so altbekannt erscheinen, ohne vor beiden Respekt zu
kriegen, selbst nachdem man sie schon ein dutzendmal genau so gesehen. Es ist aber eine anspruchslose Wahr-
heit und gesunde Naturempfindnng in beiden, daß sie uns immer wieder dadurch imponieren. Dasselbe gilt
auch von ihren Landschaftsschilderungen, die ebenso ausnahmslos nur die eigene Heimat behandeln. Wie oft
haben wir nicht schon Klinckenbergs köstlich sonnige Amsterdamer Kanäle mit den frischgescheuerten Häusern,
oder Mesdags schaukelnde, bewegte See mit der unermeßlichen Weite des Horizonts, Apols' reizende Winter-
abende im Wald, wie Bouviers so großartige Marinen, de Bocks Weiher und Sümpfe gesehen mit ihren
^ schweren Wolken, und immer wieder mit dem Vergnügen, das uns eine ihren Gegenstand vollkommen beherr-
schende Kraft gewährt! Ebenso befriedigt uns van Essens holländisches Dorf, das sich unter dickem, trübem
Himmel so genügsam in der noch dickeren und trüberen Rheinfluth spiegelt. Erquicklicher wirkt es freilich, wenn
Weißenbruch uns denselben Rhein einmal im Frühlingssonnenglanz vorführt, oder Backhnyzen uns an
einen stillen Parkteich bringt, der, beschattet von mächtigen Bäumen, die im Abendsonnengold glänzen, spiegel-
glatt daliegt. — Etwas vom Geiste des Franz Hals aber und dem stolzen Selbstgenügen seiner Menschen
finden wir eigentlich nur bei van Luytens großem Bilde vespernder Handwerker, das vortrefflich gezeichnet
und komponiert, nur leider wie van Ackens Kaffeeschwestern des Farbenreizes jenes Meisters zu sehr entbehrt.
Leider auch des heroischen Zuges, der seine Schützenbilder, wie die des Rembrandt, so hochinteressant macht.
Jene gehörten eben einem mächtig umgreifenden Volke an, während die heutige holländische Kunst genau wie
die Nation selber sich längst auf die Defensive zurückgeworfen sieht und aufs zähe Festhalten des in besseren
Zeiten Errungenen. — Daß die holländische Malerei das aber mit so merkwürdiger Schärfe thut, daß sie uns
den sittlichen wie den ökonomischen Zustand ihres Volkes und die Grundbedingungen desselben in seiner
amphibischen Natur so getreu und mit so hoher technischer Vollkommenheit abspiegelt, das ist ihr überaus
großes Verdienst. Denn es gibt ihr gerade das, was man Charakter nennt, und was andern, reicher be-
gabteren, aber zerfahreneren gar sehr abgeht. — Speziell unsre Münchener Schule ist auf dem besten Wege,
vor lauter Hin- und Herschwanken bald gar keinen Charakter mehr zu haben und damit den besten Teil
ihres Wertes zu verlieren. — Denn nur wer sich selber treu bleibt, wird auch von andern geachtet. —
2. Engländer
Woran es liegt, daß man im englischen Saal augenblicklich sieht, daß er so gewiß einer großen Nation
angehört, wie der holländische ganz sicher einer kleinen, das wüßte ich eigentlich selbst nicht genauer anzugeben.
Es hat eben alles da einen größeren Zug, die auftretenden Künstler-Individualitäten sind viel verschiedener
von Begabung und Können als die Holländer, die zwar kein einziges schlechtes Bild haben, deren Trefflichkeit
aber durchweg etwas handwerkliches besitzt. Oder demokratisches, wenn man lieber will, während die englische
Schule trotz ihrer Exzentrizitäten, ja bisweilen selbst Narrheiten, ein ausgesprochen aristokratisches Gepräge
keinen Augenblick verläugnet, jene gewisse vornehme Gleichgültigkeit gegen alle Kleinigkeiten, gegen alles Detail,
die so weltmännisch und sympathisch anmutet. So haben fast alle Engländer die breite, malerisch freie Be-
handlung miteinander gemein, wie die Deutschen einen gewissen kleinlichen Zug. Man findet größere Narren
unter jenen, aber keine solchen engherzigen Philister. Das hängt jedenfalls auch damit zusammen, daß jene
eine seefahrende Nation sind, und wir Landratten. Dagegen sind die Deutschen freilich unendlich mannigfaltiger
und reicher als unsre Herren Vettern überm Kanal, die mit wenig Ausnahmen nur für elegante Misses^und
 
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