Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

DOI Artikel:
Pecht, Friedrich: Die zweite Münchener Jahres-Ausstellung, [4]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0458

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
356

Die zweite Münchener Iahres-Ausstellung

Modern ist dann Melden Hawkins' Heuerin, die auf weitem, baumbesetztem Wiesenplan zwei Gänsen, die sich
schnäbeln fast neidisch zusieht, was ein allerliebstes Sommerbild gibt. Dieselbe Stimmung ungefähr spiegelt
Laverys auf der Brücke über einem Fluß stehender Maler wieder, der zwei sich über das Geländer beugende
und schäkernde Mädchen verstohlen beobachtet. Noch interessanter ist von demselben Künstler ein Tennis-Park,
wo wir im Schatten hoher Bäume eine elegante Gesellschaft sich mit ebensoviel Eifer als Anmut dem schönen
Spiel ergeben sehen. Das wirkt aber ganz bezaubernd und man möchte gleich mitmachen. So haben die Eng-
länder noch eine Menge Bilder, die, uns mit der Qual und Not des Lebens verschonend, die Schönheit freien
Daseins in poetischer Weise zeigen, oder selbst das Unglück wenigstens nicht kleinlich quälend, sondern er-
greifend und erhebend wiedergeben. — Auch in der Landschaft haben sie einige reizende, die Schönheit der
spezifisch englischen Natur prächtig wiedergebende Bilder. So von Adams eine weite Aussicht auf die
herrlichen Baumgruppen eines Parks und über diese weg in dämmernde Fernen, während der Vordergrund
ganz durch die Garbenbündel eines frisch abgeernteten Getreidefeldes eingenommen wird.
Das Bildnis ist ebenfalls vortrefflich vertreten durch eine ganze Reihe meisterhafter Köpfe unsres
Landsmannes Herkomer, unter denen der einer Dame in Gelb und der seines greisen Vaters mit zwei Enkeln,
dann der eines Herrn in mittleren Jahren durch ihre Natürlichkeit und scharfe Charakteristik besonders an-
genehm auffallen. Wo möglich noch meisterhafter, jedenfalls aber noch englischer mutet ein des Velasquez nicht
unwürdiger englischer Reverend mit seiner satten Frömmigkeit und wohlgenährtem Christentum von Guthrie
an, in dem sich aber auch zugleich die der ganzen Nation eigene energische Männlichkeit überaus ansprechend
ausprägt. Was aber an dieser Ausstellung besonders angenehm berührt, das ist die totale Abwesenheit irgend
welcher Nachahmung, das feste Selbstgefühl, das sie in jedem ihrer Bilder ausspricht. Man sieht da, wie
jeder dieser Künstler nur auf sich gestellt ist und keine Krücken braucht. Von Pleinairismus oder andren
Modethorheüen keine Spur, selbst die Narren sind es wenigstens auf eigene Faust und ihre Thorheit antikisiert
und französiert nicht, sondern ist echt englisch. —
3. Franzosen
Durch eine Reihe nachträglicher Sendungen, unter denen wir manche berühmte Namen treffen, ist die
Vertretung der französischen Schule eine doch viel reichere geworden, als sie ursprünglich war. Freilich gehört
eine ganze Reihe gerade der besten Produktionen in Paris wohnenden Ausländern, Deutschen, Slaven, Spaniern,
Skandinaviern, Italienern u. dgl. an, so daß die Schule dadurch, genau wie die Münchener, viel von ihrem spezifisch
nationalen Charakter und damit auch an Interesse verloren hat. Denn, wenn man all das Treffliche abzieht, was
die Hynais, Zettel, v. Thoren, Jimenez, Bilinska, Thaulow, Boldini u. a. m. gebracht, so
bleibt nicht übermäßig viel übrig. Darunter aber eine Anzahl so ausgesprochener „Croütes", daß man sich
nur über die Toleranz wundern muß, mit der wir dergleichen fortwährend zulassen, ja auch noch die Trans-
portkosten für einen Schund bezahlen, den wir von unsren Landsleuten unbedingt zurückgewiesen hätten. So
kommt es denn, daß der große französische Saal bunter und weniger harmonisch aussieht, als die meisten
andren, obwohl er eine nicht geringe Zahl hochachtbarer Werke enthält und man die größten Sünder in das
dunkle Vestibül verbannt hat, wo sie weniger beleidigen können. Immerhin wäre es offenbares Unrecht, die
Leistungskraft der ganzen Schule nach diesen Vertretern allein beurteilen zu wollen, obwohl man gerade die
gute Schulung der französischen Künstler durchwegs bewundern muß, aber auch den merkwürdigen Phantasien-
mangel nicht verkennen kann, der dank dem herrschenden Naturalismus an den französischen Malern heute
weit mehr auffällt, als jemals früher, und der sich besonders in den ewigen Atelierszenen und Selbstporträten
derselben langweilig genug ausspricht. Ja, in dieser heutigen Gesellschaft ist ein Delacroix geradezu undenkbar!
Da ich Hynais köstliche Figur des „Friedens" schon besprochen, die in vollkommen einsamer Größe dasteht,
so bleibt mir nur Cazins liebenswürdige „Flucht nach Egypten" übrig, um die freie Schöpfnngskraft unsrer
transvogesischen Nachbarn vor dem Verdachte gänzlichen Bankerotts zu retten. Das ist aber auch das einzige
Bild, wo der Maler nicht vom Modell abhing. Es gleicht in der rein idyllischen Auffassung der heiligen
Mythe unsrem Uhde, ist aber ungleich besser gemalt, ein goldenes Dämmerungsbild ersten Ranges. Von Zorn
sind dann ein paar nackte, dem Rubens wenigstens mit Talent uachgeahmte und den „Sommer" repräsentierende
Damen da, und von Besnard eine eben solche, die, allerdings groß aufgefaßt ist, aber Gott weiß weßhalb,
gar eine erste Medaille erhielt, wohl weil sie des Rubens gesundes Fleisch in Baumwolle auflöst? Anmutig
der Natur abgestohlen sind dann noch Aublets Kinder am Seestrand und ebensolche im Freibad, während sein
großes Bild mit Blumen im Garten pflückenden Damen tapetenartig bunt und schreiend geriet. Den Gipfel
der Geschmacklosigkeit aber ersteigt des Gervex in einem eleganten Zimmer dastehende Dame, die als einziges
Bekleidungsstück eine schwarze Halbmaske trägt, wohl um den Bewohner des Zimmers angenehm zu über-
raschen, die im übrigen aber ein sehr gut gemalter Akt ist. — Vortrefflich ist dagegen das im Halbschatten
gemalte Selbstporträt des Künstlers. Hier in den Porträten und allem Bildnisartigen überhaupt liegt denn
auch der Schwerpunkt und das Hauptverdienst dieser inspirationsarmen und entsetzlich gemütsdürren Ausstellung,
 
Annotationen