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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Adelung, Sophie von: Das russische Kostüm, [2]: eine Atelier-Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0463

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zso

Das russische Kostüm. Line Atelier-Studie

als gemalt. Am allermeisten aber fesselte das Gesicht
mit dem feinen Naschen und den klugen Augen, die vor-
nehm-ruhige Haltung der jugendlichen Gestalt.
„Lensky," fragte ich betroffen, „wo hast du das
Mädchen her — wer ist es? Daß dir kein gewöhnliches
Modell gesessen, brauchst du mir nicht zu sagen."
„Ich dachte, daß es dir gefallen würde," sagte
Lensky, wie es mir scheinen wollte, nicht ohne eine ge-
wisse Verlegenheit. „Ich" — er machte sich an dem
Vorhang am Fenster etwas zu schaffen: „es ist die
russische Kostüm."
„Vortrefflich!" rief ich, die Skizze aufs neue
musternd. „Wenn du das als Bild ausführst, ist dir
der Erfolg gesichert. Ich gratuliere dir! Entwurf,
Stellung und Farbeustimmuug — alles ist ausgezeichnet."
Lensky schien sehr befriedigt. Sorgfältig nahm er
mit der Spitze des Kratzers eine Pinselborste weg, die
auf dem noch feuchten Bilde haftete. „Aber das Mäd-
chen — woher hast du es?" drängte ich.
„Es ist niemand — nur eine Idee — nichts weiter."
„Hast du das Kostüm erhalten?"
„Noch nicht, aber es muß bereits unterwegs sein.
Ich habe die Skizze da" — er wies auf das Bild, „aus
der Phantasie gemacht."
„Alle Ehre! Da muß dir deine Phantasie ja höchst
reizende Bilder Vorspiegeln. Ich hätte gewettet, so etwas
ließe sich nicht erfinden: Der Zug hier um die Augen,
die etwas trotzig aufgeworfene Oberlippe, es ist alles so
lebenswahr, so — erlebt; — du mußt einmal so etwas
gesehen haben."
Irrte ich mich, oder stieg wirklich bei diesen Worten
eine tiefe Glut in Lenskys Gesicht? Befremdet sah ich
ihn an — er wandte sich ab. „Du siehst nun," sagte
er hastig und ohne mich anzublicken, „daß ich dir nicht
allzuviel von die russische Kostüm gesagt habe. Es ist
reizend, kleidsam, vornehm, reich und doch harmonisch in
den Farben. Ich warte jetzt nur noch die Sendung ab
— dann fange ich das Bild gleich an."
„Thue das," versetzte ich, „thue es unbedingt und
wenn du mir gestatten willst, auch dir einmal einen Rat
zu geben — bleibe daran, male einmal etwas fertig, mit
Geduld und Ausdauer."
Lensky goß zwei Gläser voll und stieß mit mir an.
„Das Bild" sagte er bedeutsam und trank sein Glas
bis auf den letzten Tropfen aus. „Und, inon aber,
wenn die Kostüm erst hier ist — ich gebe euch allen
hier in meinem Atelier ein Frühstück — ein gutes Früh-
stück, vous aller voir — mit echtem Astrachankaviar und
einem guten Tropfen Wein."
„Höre," sagte ich, „das erinnert mich an die Geld-
frage: hat denn die Tante geschrieben, was das Kostüm
kosten soll?"
Lenskys bis dahin so freudige Züge wurden plötz-
lich ernst. „Die Tante hat immer noch Rheumatismus,
ich habe den Briefwechsel mit der Nichte fortsetzen
müssen," sagte er.
„Nun also die Nichte — schreibt sie etwas dar-
über?"
Lensky begann mit großen Schritten im Atelier
auf und abzugehen. „Der Nonne hat einen Ausnahms-
preis dafür gemacht," sagte er ungeduldig.
„Das wird ein schöner Ausnahmspreis sein! Ich
kann cs mir lebhaft vorstellen — so etwa fünfzig bis

sechzig Mark, wie der unverschämte Italiener Vatelli für
das Empire-Kleid verlangt hat."
„Es ist mehr als fünfzig Mark," sagte Lensky etwas
kleinlaut. „Aber das alles habe ich schnell eingebracht,
wenn ich das Bild verkaufe. Wenn die Kostüm nur
erst da wäre, damit ich anfangen kann."
„Unglücksmensch — gestehe die Summe," sagte ich
lachend.
Lensky strich sich über das dunkle Haar. „Es sind
dreihundert Rubel," bekannte er endlich freimütig.
Ich wurde ernstlich besorgt. „Dreihundert Rubel?
Das sind ja zu deutsch sechshundert Mark — nicht?
Donnerwetter! das ist ja ein kleines Vermögen!"
„Ich bringe das alles mit dem Bilde ein," ver-
sicherte Lensky eifrig. „Und dann, man aber, bedenke
doch, die Perlen — die kleinen am Kopfputz sollen echt
sein — der Brokat — es ist kein Wunder."
„Hm — ein Wunder ist nur, daß du dich noch
über Wasser hältst. Und nun lebe wohl, mein Magen
gibt sich mit deinen brillanten Aussichten nicht zufrieden."
„Halt," rief mir Lensky noch nach, als ich schon
auf der Treppe war: „das Dejeuner ist also eine ab-
gemachte Sache, sage es den andern, hörst du? In
acht Tagen etwa muß der Paquet hier sein, wir öffnen
ihn dann zusammen!"
Aber es vergingen acht und zehn Tage — es ver-
gingen Wochen — und kein Paquet kam. Meinen armen
Freund hatte eine wahrhaft fieberhafte Unruhe gepackt.
Er malte gar nicht mehr, sondern pendelte bei Tage nur
noch zwischen seinem Atelier und der Post hin und her
— und träumte nachts von seinem Bilde.
Während dessen hatte ich meine Kommerzienrätin
beendet. Sie erklärte sich mit der Größe der Brillanten
an ihrem Halse, mit Kleid und Haltung zufrieden. Das
Bild wurde ausgestellt: es gefiel und ich erhielt darauf-
hin eine neue Bestellung, das Kind eines hohen Aristo-
kraten, etwas gelb und mager und mit verschiedenfarbeuen
Augen, allein was schadete das? Ich konnte nicht wie
Lensky nur von Bildern träumen — ich mußte welche
malen, um leben zu können.
Da, eines Tages, kam mein Freund atemlos zu
mir hereingestürmt.
»L'est lä!« rief er mir entgegen, „die Kostüm ist
da! Ich gebe euch gleich heute Nachmittag das Früh-
stück — komnit alle um vier — ich kann nicht bis
morgen warten."
Seine Freude war so groß, sie wirkte ansteckend.
Bald hatte sich in der Kunstschule die Kunde verbreitet:
„Lenskys russisches Kostüm ist endlich angekommen";
wir waren alle aufs höchste gespannt, es zu sehen.
Vor vier Uhr schon hatte sich eine heitere kleine
Gesellschaft in Konstantins Atelier eingefunden. Der
Raum war festlich geschmückt — ich glaube gar, die
persischen Teppiche waren in aller Eile einmal ausgeklopft
worden — die hundert und aber hundert Kuriositäten,
welche umher hingen, lagen und standen, sahen weniger
staubig aus als gewöhnlich, das ganze Atelier hatte einen
festlichen Anstrich bekommen. Im Hintergründe vor den
zwei ehrwürdigen Schränken mit ihrem Kostümenschatz,
stand auf einer großen Kiste eine stattliche Reihe viel-
versprechender Flaschen, daneben ein kleines Kaviarfäßchen,
eine goldbraune Riesenpastete und italienischer Salat.
Am Fenster war der Tisch gedeckt; sZn der Mitte des
 
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